#5. Türchen

von | 05.12.2015 | #litkalender, Kreativlabor

Der Geist der Weihnacht

Seit ich etwa fünf Jahre alt war, hatte ich nur einen Traum: Ich wollte einmal den Weihnachtsmann sehen. Wer Kinder in diesem Alter kennt, weiß, wie hartnäckig diese sein können. Warum ich damals grade diesen Wunsch so stur verfolgte, kann ich heute nicht mehr sagen, doch für mich war das in diesem Moment eindeutig.
Ich galt in den Augen meiner Eltern immer als ziemlich hartnäckig und ihre Versuche mich in der Nacht vor Heiligabend vor acht ins Bett zu schicken, gaben sie irgendwann auf. So saß ich noch lange, nachdem sie eingeschlafen waren, auf dem Sofa im Wohnzimmer und wartete auf die Ankunft des Weihnachtsmannes.
Ich glaube, ihr könnt euch vorstellen, wie diese Geschichte damals für mich ausgegangen war. Trotz größter Anstrengung und der Bitte an meine Eltern, mir ihr Geheimnis zu verraten, um nicht einschlafen zu müssen, welches sie stets mit der Antwort „Das ist eine geheime Kraft eines Erwachsenen“ beließen, fielen mir noch vor der Geisterstunde die Augen zu. Wie erwartet bekam ich den Weihnachtsmann nie zu Gesicht.
Bis ich zwölf Jahre alt war, hielt ich an meinem Versuch fest. Meine Eltern sahen es schon fast als weihnachtliches Ritual an. Schon mit acht oder neun Jahren hatten die anderen Kinder verstanden, dass der Weihnachtsmann eine reine Erfindung der Eltern war und diese die Geschenke unter den Baum legten. Doch ich erwähnte, dass ich als ziemlich hartnäckig galt. Ich konnte es nicht erklären, doch irgendwie schien sich mein Körper an diesem Aberglauben festzuhalten.

Die Ernüchterung kam dann schließlich nicht durch die Tatsache, dass ich meine Eltern dabei erwischte wie sie selbst die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legten, oder durch die Witze meiner Klassenkameraden, die mein Verhalten als Kinderei abtaten. Noch nicht einmal, dass meine selbstgebaute Weihnachtsmannfalle fehlschlug, war der Auslöser.
Vielleicht hatte der Weihnachtsmann meine Fallen einfach umgangen, denn Geschenke gab es trotzdem. Der Punkt war schließlich: obwohl der alte Mann wusste, welche Kinder gut und welche böse gewesen waren – und Stolperdrähte aufzustellen, welche jemanden hätten verletzen können, war doch eine ziemlich unartige Tat – bekam ich dennoch Geschenke.
So endete mein Glauben an den Weihnachtsmann jedoch nicht, nur hatte er ziemlich von seinem Zauber eingebüßt. Nach diesem Weihnachtsfest endete meine nächtliche Wacht und ich ging wie meine Geschwister um 22 Uhr schlafen, denn schließlich war am nächsten morgen ein ziemlich aufregender Tag.

Obwohl mein Interesse an Weihnachten mit den Jahren abgenommen hatte, konnte ich dem Feiertag schwer aus dem Weg gehen. Hier auf Arbeit lebten wir zu dritt auf engstem Raum zusammen und man konnte kaum irgendwo hingehen, ohne dass einem die kommenden „Festtage“ ins Gesicht sprangen.
Angefangen beim mit rotem Edding dick im Kalender eingekreisten 25ten Dezember, welcher genau über der Kaffeemaschine im Gemeinschaftsraum hing. Zum Frieden aller hatten wir den 25ten für die Bescherung gewählt.
Hinzu kam ein ziemlich kitschiger Adventskalender, der eine Winterlandschaft mit einem verschneiten Dorf zeigte, über dem ein dicker Mann in roten Klamotten mit seinem Schlitten kreiste. Wenigstens war die Schokolade lecker, dachte ich jedes Mal, wenn er mir ins Auge fiel.
Natürlich durfte auch ein Adventskranz nicht fehlen. Es brannten bereits drei Lichter und heute würde auch die vierte Kerze angezündet werden. Dieser Anblick machte mir ebenfalls bewusst, dass es übermorgen soweit sein würde.
Zu guter Letzt wäre da noch der kleine, hüfthohe Plastikweihnachtsbaum zu erwähnen, welcher in einer Ecke des Gemeinschaftsraumes stand. Da eine meiner Kolleginnen eine Nadelallergie hatte, war dies die beste Möglichkeit, um einen Weihnachtsbaum zu simulieren und mit den paar Christbaumkugeln und Lichterketten, welche wir in einer alten Kiste im Vorratsraum gefunden hatten, fiel es kaum auf, dass er aus Plastik war. Bis auf die fehlenden Nadeln, welche sich sonst mit der Zeit auf dem Boden darunter verteilten, war die Illusion perfekt. Jedoch schien das Nadelnlassen keinen von uns wirklich zu stören, da es uns Arbeit ersparte.
Jetzt fragt ihr euch natürlich, was ich nun tat, wenn ich erwähne, dass wir zu dritt auf engstem Raum arbeiteten. Schließlich war meine damalige Resignation schon fast 20 Jahre her. Ich weiß, einige von euch werden jetzt lachen, doch ich war Techniker eines Forschungsteams, welches am Nordpol Eisbohrungen durchführte und ich musste dafür sorgen, dass die Maschinen ihren Dienst taten. Ja, ich erkenne die Ironie dahinter, denn wie heißt es in dem Sprichwort: „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg halt zum Propheten“. Jedoch kann ich euch versichern: damit hatte es nichts zu tun. Für mich war dies hier einfach Arbeit.

Die Tage vergingen mit der üblichen Routine und so saß ich am 24ten Dezember schließlich alleine in unserer Unterkunft und schraubte an einem Bohrerteil herum, welches sich verhakt hatte. Meine beiden Kollegen waren die 18 Kilometer runter ins nächste Dorf gefahren, um dort irgendetwas Leckeres für die Feiertage zu besorgen und so wunderte es mich, als ich eine halbe Stunde nach ihrer Abreise etwas an der Eingangstür hörte. Hatten sie vielleicht etwas vergessen und waren umgekehrt?
Zuerst dachte ich, es wäre ein Eisbär, der das Licht gesehen hatte und nun nach Nahrung suchte, was hier draußen nichts Ungewöhnliches war. Jedoch klang es nicht wie das Kratzen von Krallen. Ich verharrte komplett starr in meiner Position. In diesem Moment hätte ich schwören können, dass es ein Schlüssel war, der ins Schloss gesteckt wurde. Mit einem Klicken schob sich der Riegel zurück. Vielleicht doch meine Kollegen?
Die Tür öffnete sich mit einem vorsichtigen Quietschen und ich wartete mehrere Sekunden darauf, dass eine vertraute Stimme mir zurief. Es blieb still, bis auf die Tür, die zurück ins Schloss fiel.

Angespannt stand ich auf. Wer könnte das sein? Ein Einsiedler hatte doch keinen Schlüssel für diese Hütte und solche Scherze spielten wir einander nicht.
Ich war froh, dass ich meine dicken Wollsocken trug, welche meine Schritte komplett dämpften. So schlich ich zur Zimmertür und schaute vorsichtig hinaus auf den Gang, von dem aus ich die Eingangstür genau im Blickfeld hatte.
Zuerst war sie nur schemenhaft zu erkennen, doch als ich genauer hinschaute, erblickte ich eine breite Person, welche mit Daunenjacke und Wollmütze im Gang stand und mir den Rücken zukehrte, während sie seine Schneeschuhe auszog.
„Hallo?“, rief ich und fragte mich schnell, warum ich das gemacht hatte. Irgendetwas Vertrautes ging von dieser rundlichen Person aus, was mir jegliche Angst nahm, obwohl er einfach „eingebrochen“ war.
Die Person zuckte zusammen und fuhr herum. Als sie mich sah, beruhigte sie sich schnell wieder und lächelte mir zu. Das überrumpelte mich etwas. „Oje, du darfst mich doch nicht so erschrecken, junger Mann. Schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste.“
Dieser rundliche Mann, vielleicht lag es auch an seiner Kleidung, strahlte eine wärmende Ruhe und Fröhlichkeit aus. Fast war es so, als ob ich ihn schon seit meiner Kindheit her kannte und er nur ein Verwandter zu Besuch wäre.
„Du bist der Weihnachtsmann“, platzte es aus mir heraus, mit solch einer Sicherheit in meiner Aussage. Obwohl er nicht aussah wie derjenige, der einem immer beschrieben wurde, war ich mir 100-prozentig sicher, dass er es war.
Der Mann nickte, immer noch dieses fröhliche Schmunzeln auf seinen Lippen. Er zog nun auch den zweiten Schneeschuh aus, schulterte seinen Sack und kam langsam auf mich zu. Ein leichter Duft von Glühwein und Spekulatius stieg mir in die Nase.
„Ich dachte, du kommst durch den Kamin.“
Der alte Mann lachte und hielt sich dabei den Bauch. „Früher, Junge, früher ging das noch.“ Es folgte ein nachdenkliches Schweigen.
„Weißt du, dass ich dich immer schon mal sehen wollte? Als Kind…“ Ich konnte den Satz gar nicht mehr beenden, denn erneut nickte der Weihnachtsmann lächelnd. „Warum bist du nie vorbeigekommen?“
„Vielleicht bin ich es und du bist einfach nur vorher eingeschlafen“, erwiderte der fröhliche Mann.

Zusammen gingen wir in den Gemeinschaftsraum und während ich mich zurück an den Tisch vor das verklemmte Bohrerteil setzte, begann der Weihnachtsmann damit die Geschenke unter dem kleinen Plastikweihnachtsbaum zu verteilen.
„Ich glaube nicht. Ich kann es dir nicht genau sagen, doch irgendwie weiß ich, dass du nie da warst“, erklärte ich nachdenklich und beobachtete den alten Mann dabei wie er seine Arbeit verrichtete.
„Hör zu, Junge“, er unterbrach sein Tun und schaute mich ernst an. „Zwar habe ich meine Möglichkeiten schnell von einem Ort zum nächsten zu kommen, doch ich habe dafür nur zwei Tage zeit. Ich kann nicht überall gleichzeitig sein. Deine Eltern haben mir da sehr geholfen.“ Er sagte das so, als wäre es das normalste der Welt. Als wäre meinen Eltern klar, dass sie für den alten Mann arbeiteten.
Ich nickte einfach nur.
„Gibt es denn irgendetwas, wie ich es wieder gut machen kann?“, fragte der Weihnachtsmann und schenkte mir erneut dieses friedliche Lächeln.
Ich überlegte. Eigentlich fiel mir grade nichts ein. Wünsche wie unendlicher Reichtum, ewige Gesundheit oder solch ein Zeug erschien mir irgendwie witzlos und unbedeutend in dieser Situation. Wahrscheinlich überstieg das auch die Fähigkeiten des alten Mannes.
„Weißt du, obwohl ich damals unartig war, habe ich trotzdem Geschenke bekommen und so ging für mich die Faszination für dich verloren.“
„Oh, so ist das“, meinte der Weihnachtsmann wieder lächelnd nickend, als könne er Gedanken lesen. „Na gut.“
Als er meine Geschenke wieder einsteckte, empfand ich keine Trauer über den Verlust. Eher war es eine innere Zufriedenheit, dass ich endlich das bekommen hatte, was ich mir die letzten zwanzig Jahre gewünscht hatte. Auch wenn es nun seltsam klingt, so hatte er mir durch diese Geste den Zauber wiedergegeben, welcher mich als Kind so fasziniert hatte. So ließ ich den alten Mann wieder ziehen. Er hatte, wie ich, schließlich noch zu arbeiten.

Adrian Leonardo Winkowski
Bild: Celina

Kurzvita:

Mein Name ist Adrian Leonardo Winkowski. Ich bin 24 Jahre alt und komme aus Berlin. Seit meinem 13. Lebensjahr schreibe ich und meine Vorliebe umfasst kurze Abenteuer und Kurzgeschichten. Für mich ist Schreiben ein Hobby, welches hilft Kopf und Seele aufzuräumen und anderen eine Freude macht. Außerdem ist es billiger als ein Psychiater. Ich hoffe, euch mit dieser Geschichte eine Freude zu machen. Viel Spaß beim Lesen und hineinträumen.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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