[tds_note]Den 1. Teil der Operation „Joker“ findet ihr hinter dem 3. Türchen![/tds_note]
Operation „Joker“ (Teil 2)
Auf dem Holzweg
Zeugen fehlten ihm gerade noch. Doch vielleicht konnte er die Situation gleich für sich nutzen. Er hatte da eine Idee.
Die im Robin-Kostüm wendete den Rollstuhl und versuchte, in einem großen Bogen an Joker vorbeizufahren.
Er zog seelenruhig seine Waffe. „Batgirl ist aber auch nicht totzukriegen.“
„Lauf!“, schrie Batgirl. Die andere nahm Fahrt auf, sodass die Rollstuhlreifen auf dem unebenen Boden ins Trudeln gerieten.
„Bloß keine Eile!“, brüllte der Joker ihnen hinterher.
„War die Wand vorher schon da?“, schrie Batgirl wenig später. „Ich glaube, wir hätten da links in den Gang rein gemusst.“
„Welche Wa- … oh neiiiiiin!“ Robin hielt genau darauf zu. Mit einem Ruck fuhr sie eine Kurve. Der Rollstuhl knarzte, kam aber zwei Millimeter vor der Wand zum Stehen.
Der Joker trat langsam näher, dabei drehte er die Waffe in seiner Hand. Die Frauen wichen in Richtung Rollstuhltoilettengang aus. „Na, was habt ihr alles beim Telefonat mitgehört?“
„Nichts!“, sagten beide gleichzeitig und eine Sekunde zu schnell.
Er würde zu anderen Mitteln greifen müssen. Lässig befestigte er einen Schalldämpfer an der Waffe. Das hatte er lange vor dem Spiegel geübt, damit es gut wirkte. „Und was habt ihr wirklich mitgehört?“
„Hilfe! Security! Feuer!“
Nun musste er grinsen. „Netter Versuch, Batgirl! Du bist doch sonst viel … ernster.“
Langsam trat er einen Schritt auf die beiden zu. Er sah, wie sie zitterten, inklusive Rollstuhl. „Ich frage noch einmal – was habt ihr gehört?“
Bevor der Joker sich versah, schob Robin Batgirls Fußrasten mit Schmackes in seine Beine. Sie trafen seinen Knöchel. Er jaulte kurz auf und die Waffe fiel zu Boden.
„Gib Gas!“
Trotz aller offensichtlich vorhandenen Angst schafften es die beiden, über die Pistole des verblüfften Jokers zu fahren.
Batgirl wurde sauer. „Plasteschrott! Wehe, du entsorgst den im Meer!“ Dann sah der Joker, wie Robin in Richtung der Haupthalle abdüste.
Er schüttelte den Kopf und hob die kaputte Spielzeugpistole auf. Vielleicht war er der Riege wirklich nicht würdig, wenn er nicht einmal eine Rollstuhlfahrerin und ihre Begleitung in Schach halten konnte.
Wütend rannte er auf die beiden zu.
In dem Moment hörten sie eine Explosion. Na bitte, wenigstens etwas funktionierte heute.
Robin trat drei Schritte zurück und wendete den Rollstuhl.
Batgirls Gesicht war puterrot. „Fliegt jetzt alles in die Luft? Du Spinner weißt aber schon, dass es in diesem Teil des Messegeländes keinen Ausgang gibt?“
„Wieso, könnt ihr etwa nicht schwimmen? Ohhhh!“ Er rannte zu den Panoramafenstern, die sich direkt auf der Kanalseite befanden. Dort war eine kleine Tür eingebaut. Er stieß den Nothebel mit dem Stiefel auf. „Schau mal, Batgirl, ein kleines Weihnachtsgeschenk für die Fische.” Demonstrativ ließ er die Spielzeugpistole in den Kanal fallen.
Dann ging alles rasant. Beamte stürmten den Gang und richteten ihre Waffen auf ihn. „Polizei! Bleiben Sie stehen!“
„Was haltet ihr von meinen selbstgebastelten Rauchbomben?” Schnell warf er eine in Richtung der Ordnungshüter. „Bye bye!“ Er schaute kurz ins Schneetreiben über dem Kanal und verschwand dann aus dem Türrahmen, in dem er stand.
„Hinterher!”, brüllte Darius seine Kollegen an. „Ich kümmere mich um die Ladies.”
Im Gegensatz zu seinen Männern, die versuchten, den Witzbold vom Ufer aus zu verfolgen, war er sich sicher, dass er längst verschwunden war.
Moritz stand am offenen Notausgang und starrte hinaus auf den Kanal.
„Kommt, jetzt raus hier, alle!”, kommandierte Darius.
Nachdem sie die Messehallen verlassen hatten, fragte er die beiden Cosplayer:
„Was habt ihr mit diesem Typen zu schaffen?”
„Nichts!” Die Frau im Rollstuhl guckte genauso verdutzt aus der Wäsche wie ihre Begleitung. „Wir waren nur auf dem Klo!”, antwortete die andere kleinlaut.
Darius stöhnte. „Na gut, von vorne …”
Er durfte sich gar nicht vorstellen, was das für ein Aufwand werden würde. Vor allem, wenn dieser Irre wirklich der Freund seines Neffen war … und dann durfte er den nächsten Wutanfall Brummers über sich ergehen lassen.
„Also, es war so …”, begann die Frau im knallbunten Robin-Kostüm erneut und erklärte ihm endlich, was geschehen war.
Danach setzte Darius sich in seinen Streifenwagen. Er drehte sich zur Rückbank um. Dort saß gedankenverloren sein Neffe. „Kommst du mit zur Wache? Ich muss das Protokoll zu diesem Einsatz schreiben. Da bei der Spurensicherung nichts rauskam, wird Brummer mich garantiert ungespitzt in den Boden rammen. Na, wenigstens haben wir ein paar Leute gerettet … können ja später Döner essen.”
„Ja, komme mit … muss nachdenken.”
Darius nickte und ließ den Wagen an.
„Marian, warte!“ Moritz’ Stimme hallte im Joker nach, als er ins eiskalte Wasser tauchte. Was machte sein Freund in diesem abgelegenen Gang? Und wie konnte er ihn erkennen? Hatte er ihm etwa hinterherspioniert? Die Kälte nagte an seinen Gliedern. Er wusste, dass es gegenüber eine Leiter gab, die aus dem Wasser führte. Er schwamm zur anderen Seite, verfehlte aber die Metallsprossen. Mist! Der Wasserplan hätte im Sommer besser funktioniert.
Zum Glück streckten sich ihm ein paar Arme entgegen, die ihn aus dem Kanal und in einen unscheinbaren Van zogen. Während er einen der Rücksitze durchnässte, blickte er in die grinsenden Gesichter der anderen Cosplayer. An ihren Revers steckten kleine Anstecknadeln, die einen Dolch zeigten. Eine nasse Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht.
„Hätte nicht gedacht, dass du das durchziehst”, kommentierte Gundel und reichte ihm eine Decke.
„Natürlich …”, grummelte Joker und hüllte sich in die Wolle.
Der Van setzte sich in Bewegung und fuhr direkt zum RAC-Hauptquartier, wo er sich umziehen und das Urteil über seine Prüfung erhalten würde.
Auf der anderen Seite des Kanals sah er, wie sich die die Polizisten sammelten. Unweigerlich huschte sein Blick zur Nottür, aus der er gesprungen war. Moritz war nicht zu sehen. Oder hatte er sich seine Stimme im Adrenalinrausch nur eingebildet?
„Ich hab ein Rätsel für dich.” Der Riddler war dem Joker unsympathisch, aber das musste er ihm nicht auf die Nase binden. Allein, dass sie kaum durch die Tür waren und er total durchgefroren noch Ratespiele lösen sollte, war eine Frechheit!
„Der Händler hat es, wenn seine Bilanz positiv ist. Der Dieb hat es, wenn er nicht gefasst wird. Der Spieler hat es, wenn er richtig antwortet. Was bin ich?”
Alle Augenpaare waren auf ihn gerichtet, als sie sich auf dem alten Teppich vor dem großen Banner einfanden.
„Erfolg”, löste er das recht einfache Rätsel mühelos, was dem Riddler gar nicht zu passen schien.
Loki, der regionale Anführer, trat vor. „Du hast dich bewiesen, Joker, unter Zeugen hast du deinem Comic-Charakter entsprechend Chaos gestiftet. Vielleicht sogar ein bisschen zu viel Chaos. Nimmst du den Aufstieg in die Riege der außergewöhnlichen Charaktere an?” Loki öffnete die Schachtel mit dem Pin, den er sich schon so lange gewünscht hatte. Ein Dolch, in dessen Klinge das Akronym RAC eingraviert war.
„Ja. Ich nehme an.” Seine Worte klangen ruhig und selbstbewusst, auch wenn ihm die Knie schlotterten und sein Herz raste. Ehrfurchtsvoll hob er die mittlerweile auch durchgeweichte Decke, sodass Loki den Pin an seinem Revers befestigen konnte.
„Willkommen, Joker.” Loki hielt ihm die Hand entgegen und er schüttelte sie mit einem sinistren Grinsen. Endlich hatte er, worauf er so lange drauf hingearbeitet hatte.
Leider ließ ihn der Gedanke an Moritz den Triumph nicht so recht genießen. War er vorhin tatsächlich mit den Bullen in den abgelegenen Bereich gekommen? Was, wenn er unangenehme Fragen stellte?
Als hätte Gundel seine Gedanken gelesen, sagte sie: „Du kennst ja die Richtlinien der RAC! Kein Wort zu irgendwem. Die Herren Ordnungshüter haben uns eh schon im Visier, weil dieser Pinguin bei seiner Prüfung zu unaufmerksam war.”
„Außerdem hat Riddler gestern einen Pin verloren”, fügte Loki beiläufig hinzu.
Joker grinste. „Keiner ist unfehlbar. Aber ja, ich kenne den Codex. Darf ich jetzt duschen?”
Kaum war er im Bad alleine, holte er sein Smartphone aus der vorher dort deponierten Tasche. Zwanzig verpasste Anrufe und diverse Nachrichten von Moritz waren auf dem Display verzeichnet. Mit einem Seufzen rief er ihn an. „Hey Momo. Mann, tut mir leid! Ich bin bei Julius und wir haben beim Arkham-Zocken voll die Zeit verpeilt!”, log er.
„Geht’s dir gut? Ich hab’ mir Sorgen gemacht …”, sein Freund klang ernsthaft beunruhigt. Verdammt, er hätte das alles besser vorbereiten sollen.
„Ich mache mich auf den Weg nach Hause!”, versprach er.
„Okay, bis gleich.”
Aus dem Augenwinkel beobachtete Darius im Dezernat seinen Neffen, der ratlos auf sein Smartphone starrte. Vor ein paar Minuten hatte der Typ sich endlich gemeldet und Moritz war sofort rangegangen. Und eigentlich hätte Darius den Anruf zurückverfolgen lassen müssen. Das Gespräch selbst war kurz gewesen und Moritz’ Stimmung hatte sich dadurch nicht unbedingt gebessert.
Langsam löste sein Neffe den Blick vom Handy. „Er kommt heim.”
Darius erhob sich, schaute ernst auf Moritz hinab. „Du weißt, was das heißt?”
Dessen Miene erstarrte. „Lass mich bitte vorher mit ihm sprechen. Vielleicht sind wir ja auf dem Holzweg …”
„Wir wissen, dass er mit einem gesuchten Kriminellen auf einem Foto zusammen ist. Ich bin gezwungen, der Spur nachzugehen.”
Als Joker die Wohnungstür aufschloss, wurde ihm kurz klar, wie unterschiedlich seine Rollen waren. Marian übertrat die Schwelle, nicht der Joker! Er atmete einmal tief durch, dann ging er hinein. Moritz stand bereits im Flur, lief auf ihn zu. „Ich hab’ mir solche Sorgen gemacht …”
Marian schloss ihn fest in seine Arme. „Sorry …” Es tat ihm wirklich leid, Moritz so niedergeschlagen zu sehen. Hätte er ihn einweihen sollen?
Wie so oft nahm Moritz seine Hand und Marian sah, wie ihm sämtliche Fragen ins Gesicht geschrieben standen. Erst als sie sich auf ihr Sofa gesetzt hatten, wagte er, sie auszusprechen.
„Was bedeutet RAC? Es ist nicht nur Cosplay, oder?”, flüsterte er, ohne Marian anzusehen.
„Das hab’ ich dir doch schon erzählt?”, versuchte er abzulenken, „Es ist eine Riege von Elite-Cosplayern.”
„Bitte sag mir die Wahrheit.” Moritz flehte ihn geradezu an.
Marian haderte mit sich. Es widersprach dem Codex, aber er wollte Moritz nicht verlieren. „Okay. Es geht um weit mehr …”, bestätigte er mit einem Seufzen, „Es geht darum, den gewählten Charakter ins wirkliche Leben zu holen.”
„Also auch deren Kriminalität?” Moritz Stimme zitterte und sein Blick huschte an ihm vorbei.
„Nicht im gleichen Ausmaß. Bei der Villain Fraktion der RAC geht es um kleine Streiche und Chaos. Bei den Heroes um kleinere Heldentaten. Und manchmal bekriegen wir uns gegenseitig”, erklärte er ruhig.
Moritz blickte ihn an. „Du weißt, dass ich dich liebe, ja?” Seine Augen wirkten müde. Und traurig.
Marian schluckte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das hatte sein Freund bisher nie so klar formuliert. Marian nahm das Gesicht seines Freundes in beide Hände. „Und ich dich”, erwiderte er am Kloß in seinem Hals vorbei.
„Deswegen kann ich nicht zulassen, dass du dich in Gefahr bringst.” Moritz’ Stimme zitterte. Kurz darauf ertönte eine fremde Stimme hinter Marians Rücken: „Marian Holz, Sie sind verhaftet!”
Er spürte, wie seine Arme nach hinten gezogen wurden und hörte Handschellen klicken. Die Worte nahm er gar nicht so wahr; er sah nur die Tränen auf Moritz’ Gesicht als der Kommissar ihn abführte.
Der Joker in ihm wollte widersprechen, aber Marian fühlte sich einfach nur leer. Er hatte versagt. Nach dem ersten offiziellen Coup schon verhaftet, überführt und verraten von seinem eigenen Freund. So etwas durfte er als Joker nicht auf sich sitzen lassen. Aber Marian liebte Momo. Deshalb würde der Joker den anderen der Riege auf keinen Fall die Wahrheit über die Umstände seiner Verhaftung erzählen.
June Is (@ypical_writer) & Anne Zandt (randompoison.com)
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