Auf den Spuren eines Oscargewinners

von | 21.01.2017 | Filme, Filmtheater

Der US-Filmregisseur Billy Ray wagte sich jüngst an das oscarprämierte argentinische Kriminaldrama „El secreto de sus ojos“ (In ihren Augen) von Juan José Campanella heran und verfilmte es neu unter dem Titel „Secret in their eyes“ (Vor ihren Augen). Trotz prominenter Besetzung und hohem Budget hinterlässt der Film gemischte Gefühle. – Von Bücherstädter Florian

Um dem Publikum ausländische Filme zugänglich und schmackhaft zu machen, werden sie hierzulande seit jeher per Synchronisation in die deutsche Sprache übertragen. In den USA dagegen möchte man dem Publikum ausländische Filme gar nicht erst zumuten, deshalb dreht man den Film lieber ganz neu – natürlich in amerikanischem Gewand mit amerikanischem Staraufgebot. In die lange Liste amerikanischer Neuverfilmungen reiht sich nun auch „Secret in their eyes“ ein.

Ray (Chiwetel Ejiofor) und Jess (Julia Roberts) sind Ermittler beim FBI und gut befreundet. An einer Moschee, die Jess und Ray aufgrund des Verdachts von terroristischen Aktivitäten observieren, wird eines Tages die Leiche eines jungen Mädchens entdeckt. Der Schock: Es handelt sich um die Tochter von Jess. Ray begibt sich mit Hilfe der Staatsanwältin Claire (Nicole Kidman), in die er verliebt ist und seinem Kollegen Bumpy (Dean Norris) auf die Suche nach dem Täter. Der einzige Hinweis: Ein verdächtiges Foto.

Durch unkonventionelle Ermittlungsmethoden kommt Ray dem Täter näher, doch gleichzeitig macht er sich innerhalb des FBI, das an der Bearbeitung des Falles nicht interessiert ist, viele Feinde. Schließlich können sie den vermeintlichen Täter fassen, müssen ihn jedoch aus Mangel an Beweisen wieder freilassen. 13 Jahre später trifft Ray – längst nicht mehr beim FBI, aber immer noch wie versessen darauf, den Täter hinter Gittern zu bringen – auf eine neue Spur und gemeinsam mit seinen alten Kollegen rollt er den Fall neu auf – um schließlich auf ein schockierendes Geheimnis zu stoßen.

„Secret in their eyes“ hat zwei Erzählstränge: Zum einen den Rückblick auf die 13 Jahre zurückliegenden Ermittlungen direkt nach dem Mordfall und zum zweiten die Darstellung der gegenwärtigen Ermittlungen. Zwischen den beiden Plots wird munter hin und her gewechselt, was mitunter verwirrend sein kann. Durch Alterungsmerkmale wie die ergrauten Haare von Ray wird zumindest verdeutlicht, dass sich die dargestellten Szenen in der Gegenwart abspielen.

Etwas zu viel des Guten

Ein zentrales Problem dieses Filmes ist die etwas überladen erscheinende Handlung. Insbesondere der Gegenwartsplot wirkt sehr konstruiert und vieles zu „erzwungen“, so als ginge es Regisseur Billy Ray primär darum, im Film möglichst viel Action und Überraschung unterzubringen. Zu selten allerdings kommt dabei wirklich Spannung auf. Darüber hinaus tritt der Gegenwartsplot gegenüber dem Vergangenheitsplot zu sehr in den Hintergrund.

Im 2009 erschienenen Originalfilm „El Secreto de sus ojos“, der auf den Roman „La pregunta de sus ojos“ von Eduardo Sacheri basiert, funktioniert das Zusammenspiel von Vergangenheits- und Gegenwartsdarstellung wesentlich besser. Dort wird der Mordfall in der Gegenwart nicht neu aufgerollt, sondern es wird lediglich auf ihn zurückgeblickt. Genauer gesagt verarbeitet der Hauptcharakter Benjamín (entspricht der Rolle von Ray, gespielt von Ricardo Darín) den Fall in einen Roman und im Zuge dessen trifft er sich mit der damals an den Ermittlungen beteiligten Anwältin (das Äquivalent zu Claire, gespielt von Soledad Villamil). Im Gegenwartsplot stehen vor allem die Beziehung der beiden und die Erinnerungen an die früheren Geschehnisse im Vordergrund.

Viel Tragik und eine misslungene Liebesdarstellung

Der größte Unterschied zwischen beiden Filmversionen findet sich beim Opfer des Mordfalls. In der Originalfassung handelt es sich um ein Mädchen, zu dem die Ermittler in keiner Beziehung stehen. Die Rolle der schockierten Mutter, die ihre Tochter verloren hat, gibt es in der Version folglich nicht. Dort ist es der Freund, der den Tod seiner Freundin betrauert und der im Verlauf des Filmes noch eine Schlüsselrolle einnimmt.

Die Tatsache, dass die FBI-Ermittlerin Jess in dem Mordfall persönlich involviert ist, und Ray nicht nur ihr Kollege, sondern auch guter Freund ist, verleiht der Handlung in „Secret in their eyes“ eine sehr tragische Komponente und sorgt für eine düstere und bedrückte Stimmung. Folglich verpflichtet sie die Charaktere sich dementsprechend zu verhalten. Leider wird dadurch auch der Charme des Originals aufgegeben, einschließlich einiger amüsanter Dialoge.

Am deutlichsten lässt es sich an der Beziehung zwischen Ray und Claire erkennen. In „Secreto de los ojos“ erlebt der Zuschauende eine wachsende Zuneigung und zunehmend tiefe Gefühle zwischen den beiden Protagonisten. In „Secret in their eyes“ sieht man den halbherzigen Versuch des Regisseurs eine solche Beziehung darzustellen, doch die Dialoge der beiden Charaktere wirken verkrampft, es bleibt stets eine Distanz zwischen den beiden und zu keinem Zeitpunkt scheinen echte amouröse Gefühle in der Luft zu liegen. Insbesondere Claire wirkt immer ein wenig abweisend gegenüber Ray, der immerhin hier und da seinen Charme spielen lässt. Es wäre akzeptabel gewesen, den Faktor Liebe in der Neuverfilmung ganz auszuklammern. Doch so ist es ein halbgarer und gescheiterter Versuch, eine innige Beziehung darzustellen, um der argentinischen Filmvorlage gerecht zu werden. Weder Fisch noch Fleisch.

Mäßige Charaktere & fehlende Identität

Generell sind die Protagonisten in „Secret in their eyes“ blass und wenig facettenreich gezeichnet. „Secreto de los ojos“ gibt mehr über Eigenschaften und Angewohnheiten seiner Charaktere preis. Der heimliche Star dieses Filmes ist der zerstreute, geschwätzige und impulsive Ermittler Pablo (Guillermo Francella), der sich nach Feierabend gerne mal betrinkt und deshalb oft Ärger mit seiner Frau hat. Wenngleich er nicht zu den Hauptfiguren gehört, ist er doch interessanter und komplexer als jeder Charakter in der amerikanischen Version.

Von den vorher genannten Beispielen abgesehen, hält sich Billy Ray sehr nah an die Vorlage. Teilweise wirkt es ein wenig lächerlich wie einzelne Details, Dialogpassagen und kleinere Szenen, auch jene, die auf die Handlung keinen großen Einfluss haben, unverändert übernommen wurden. Die Chance, dem Werk eine eigene Identität zu verleihen, wurde verpasst. Andere Details wurden wiederrum „amerikanisiert“: Die Entscheidung der FBI-Bosse, den Mordfall herunterzuspielen, wird damit begründet, dass der Anti-Terror-Kampf höhere Priorität habe. Ein Fundstück, das die Ermittler im Haus des Verdächtigen entdeckten, ist hier nicht ein Brief, wie in der argentinischen Version, sondern ein selbstgezeichnetes Comicheft.

Schauspieler*innen in Topform

Lobend hervorzuheben sind die darstellerischen Leistungen, allen voran die von Julia Roberts als traumatisierte Mutter. Es ist fast schon erschütternd, wie elend und niedergeschlagen sie in nahezu jeder Szene ausschaut, der Schock steht ihr permanent ins Gesicht geschrieben. Es fällt nicht schwer, mit der Protagonistin Jess mitzuleiden. Zudem ist das Finale des Filmes ähnlich überraschend und schockierend wie im Original. Da aber Billy Ray auch hier viele Einstellungen und Szenen fast eins-zu-eins übernimmt, ist es fraglich, wie viel Eigenleistung in der Inszenierung des Finales steckt.

„Secret in their eyes“ ist trotz aller Kritikpunkte immer noch ein passables Remake, das durchaus interessant anzuschauen ist. Den Originalfilm außer Acht gelassen handelt es sich sicherlich um einen guten Film mit einem gelungenen Ende. „El secreto de sus ojos“ bietet jedoch das gleiche – nur viel besser, ausgereifter, authentischer. Der ganze Film wirkt runder und besser durchdacht. Mit „Secret in their eyes“ verhält es sich wie mit einer Tiefkühlpizza: Sie schmeckt vielleicht ganz gut, aber gegen eine echte Pizza aus dem Steinofen nach altem Familienrezept kann sie nicht mithalten, egal wie sehr sie es versucht.

Secret in their eyes (Vor ihren Augen). Regie: Billy Ray. Drehbuch: Billy Ray. Schauspieler: Chiwetel Ejiofor, Nicole Kidman, Julia Roberts. FSK 12. USA. 2015. 111 Minuten. / El Secreto de sus ojos (In ihren Augen). Regie: Juan José Campanella. Drehbuch: Juan José Campanella, Eduardo Sacheri. Schauspieler: Ricardo Darín, Soledad Villamil, Pablo Rago. FSK 12. Argentinien. 2009. 129 Minuten.

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