Seit sie arbeitsbedingt in den Süden ziehen musste, vermisst Zeilenschwimmerin Ronja ihre Wahlheimat Norddeutschland. Um eine frische Meeresbrise nach Bayern zu holen, hat sie sich nun mit „Mit dem Meer leben“ von Karsten Reise ins Watt gehört.
Dass man mit einer solchen Begeisterung von Wattwürmern sprechen kann! Da bekommt man selbst (fast) Lust, einen Quadratmeter Wattboden Schicht für Schicht abzutragen, bei eisigen Temperaturen Wattwürmer zu zählen und Farbe und Größe ihrer Sandhäufchen zu notieren … Mindestens aber eine Wattwanderung würde ich gern mal wieder machen.
Karsten Reise erzählt auf drei CDs vom Watt, von Dünen und von Deichen und wie alles zusammenhängt. Das Besondere daran ist: Reise liest keinen geschriebenen Text vor, sondern plaudert scheinbar einfach so vor sich hin. Das ist das Konzept des Verlags supposé (mit Sitz auf der Insel Föhr): Aus langen Gesprächen mit verschiedensten Personen entstehen durch gekonnten Schnitt Monologe, die erzählerisch sind und dennoch das Gefühl eines privaten Gesprächs vermitteln. Und es funktioniert ganz wunderbar!
Mit einer angenehmen Erzählstimme, verschmitztem Humor und Erklärungen, die auch Laien verstehen, verbindet Karsten Reise hier Fakten mit Anekdoten aus seiner eigenen Forschung. Der Blick aufs große Ganze kommt dabei nicht zu kurz. Immer wieder thematisiert Reise die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten – wirtschaftliche Interessen, Globalisierung, Landgewinnung, Umweltverschmutzung, Klimawandel.
Trotz aller Ernsthaftigkeit bei diesem Thema und der Mahnung, die in seinen Berichten steckt, erzählt er auch von den Erfolgen und glücklichen Entwicklungen, die eingetreten sind. So stand nach der Einführung der pazifischen Auster (zwecks Zucht und Verkauf) zu befürchten, dass sie die heimische Miesmuschel verdrängen würde. Wegen der Klimaerwärmung fühlt sich die pazifische Auster mittlerweile sehr wohl in der Nordsee und siedelt sich überall dort an, wo eigentlich Miesmuschelbänke sind. Die Miesmuschelbestände gingen daher lange zurück – bis eine neue Art der Muschelbank entstand: die „Auschelbank“. Die Miesmuscheln setzen sich zwischen die größeren Austern und sind so besser vor Fressfeinden und den Gezeiten geschützt.
Diese akustische Watt- und Dünenwanderung hat mich vollends überzeugt, wunderbar unterhalten und einiges gelehrt. Für alle, die auch den Geruch der Nordsee, schwarzen Schlick an den Füßen und das Blöken von Schafen auf dem Deich vermissen, eine klare Empfehlung!
Mit dem Meer leben. Erzählt von Karsten Reise. Supposé. 2021. Ca. 208 Minuten.
0 Kommentare