Im Rahmen des Specials Kunterbunt haben sich Geschichtenerzähler Adrian, Federschreiberin Kristina, Zeilenschwimmerin Ronja und Wortklauberin Erika auf ein cineastisches Blind Date eingelassen. Wie es ihnen ergangen ist, erfahrt ihr in vier Teilen. Den Anfang macht Wortklauberin Erika mit „Die Taschendiebin“.
Wortklauberin Erikas Blind Date führt sie ins Korea der Dreißigerjahre, wo eine gerissene Taschendiebin den Posten einer Dienstmagd im Hause eines reichen japanischen Büchersammlers einnimmt. Eigentlich soll sie dessen Nichte dazu bringen, sich zu verlieben. Zu blöd, dass sie sich selbst verliebt.
Das besetzte Korea, Dreißigerjahre: Sook-He (Kim Tae-ri) wusste bereits als Mädchen, wie man echte Edelsteine von falschen unterscheidet und fälscht sie genauso meisterhaft, wie sie die Taschen von Passanten leeren kann, ohne dass diese etwas davon bemerken. Sie lebt mit anderen Betrügern zusammen, bis der Hochstapler Fujikawa eines Tages mit einem Angebot vor der Tür steht, das sie nicht ausschlagen kann.
Der Fälscher arbeitet für einen japanischen Büchersammler, der seine wertvollen Handschriften um nichts in der Welt aus der Hand geben will. Stattdessen verkauft er Fälschungen als die Originale – um möglichst keine Verluste zu erleiden. Er hat eine Nichte, die ein großes Erbe erwartet. Fujikawa will diese Erbin, Hideko, heiraten, um an ihr Vermögen heranzukommen. Um es schließlich vollends zu besitzen, will er sie nach der Hochzeit für verrückt erklären lassen.
Doch um dies zu erreichen, braucht er Hilfe von Innen. Hier kommt Sook-He ins Spiel: Sie geht unter falschem Namen als Dienstmädchen für „Lady Hideko“ in den Dienst, um sie davon zu überzeugen, dass Fujikawa der richtige für sie ist. Was Sook-He niemand gesagt hat: Hideko ist wunderschön. So schön, dass sie sich hoffnungslos in sie verliebt.
Viktorianisches Korea?
„Die Taschendiebin“ basiert auf dem Roman „Fingersmith“ (dt. „Solange du lügst“), der im viktorianischen England spielt. Park Chan-Wook, der als Regisseur vor allem für „Oldboy“ (2003) bekannt ist, adaptiert die Dienerin-Herrin-Dynamik und transportiert sie gelungen in den neuen kulturellen Kontext.
Die Geschichte wird – wie im Roman auch – in drei Teilen erzählt. Zunächst beginnt die Geschichte aus der Perspektive Sook-Hes, einem einfach gestrickten, ungebildeten Mädchen vom Land. Sie kann nicht lesen, hat viel Schabernack im Kopf und will zugleich erwachsen sein. Man merkt als Zuschauer jedoch schnell, dass dem nicht so ist. Sook-He hat Spaß an ihrer Arbeit, insbesondere da sie Lady Hideko nicht immer wie eine Dienstmagd behandelt, sondern manchmal aus ihrer Rolle heraustritt. Die jungen Frauen bauen eine Beziehung zueinander auf, aus der schnell mehr wird.
Es entsteht ein Bruch mit dem zweiten Teil der Geschichte, in dem nun Hideko zu Wort kommt: Man erfährt einiges über ihre Hintergründe, ihren Onkel und dessen Gewohnheiten und Vorlieben. Sie ist weitaus weniger naiv, als man zu Anfang erwarten könnte. Auch sie hegt Gefühle für Sook-He, die sie nur als Tamako kennt. Und eigentlich ist doch alles anders: Doch das wird hier nicht verraten.
Barocke Intrigen
Der Film wirkt in seiner Inszenierung beinahe barock mit seinen malerischen Landschaften und einem beeindruckenden Set sowie wunderschönen Hauptdarstellerinnen. Die Adaption des Romans aus dem viktorianischen England nach Korea ist definitiv gelungen.
Zugleich spricht „Die Taschendiebin“ eine Filmsprache, die in Hollywood nicht mehr üblich ist – oder: niemals üblich war. Angefangen bei der dreigeteilten Handlung, die unterschiedlich perspektiviert einen Einblick in die beiden weiblichen Hauptdarstellerinnen gibt. Über ein geschickt geflochtenes Netz aus Intrigen bis hin zu expliziten Erotikszenen überrascht dieser Film Hollywood-gewöhnte Zuschauerinnen und Zuschauer.
Kunterbunt?
Das Motto des Blind Dates des Bücherstadt Kurier-Specials lautet „Kunterbunt“ – und tatsächlich ist „Die Taschendiebin“ aus mehreren Gründen ein passender Film zum Thema. Zum einen treffen verschiedene Welten aufeinander: England, aus dem die Romanvorlage stammt und das im Film selbst mit architektonischen Details vertreten ist; Korea, das von den japanischen Truppen besetzt ist und dessen Bevölkerung trotzdem versucht, ein normales Leben zu führen; Japan, die Besatzermacht und das Land am Horizont.
Sook-Hes und Hidekos Beziehung ist – davon abgesehen, dass es eine lesbische Beziehung ist – eine interkulturelle Beziehung. Sie ist nicht nur voller sexueller, sondern auch voller kultureller Spannung: Hideko bringt etwa der ungebildeten Sook-He Koreanisch bei und spricht auch selbst im Film vorrangig Koreanisch. Sie kommt der Koreanerin entgegen, was diese – freudig überrascht – als Zeichen der Freundschaft deutet.
Eine Taschendiebinnen-Romanze
Auf den ersten Blick wirkt „Die Taschendiebin“ wie eine Verfilmung einer klassischen Romanze. Die vielen Überraschungen, die der Film auf unterschiedlichen Ebenen bietet, machen ihn zu einem empfehlenswerten Seh-Erlebnis. „Die Taschendiebin“ ist für Publikum ab 16 Jahren empfohlen, dem Wortklauberin Erika zustimmt: Die drei Handlungsteile gipfeln nämlich jeweils in expliziten Erotikszenen.
Die Taschendiebin. Regie: Park Chan-Wook. Drehbuch: Chung Seo-Kyung, Park Chan-Wook. Mit Kim Tae-ri (Sook-He), Kim Min-hee (Lady Hideko), Ha Jung-wo (Count Fujiwara). Filmladen. Japan/Südkorea. 2016. BK-Altersempfehlung: ab 16 Jahren.
Ein Beitrag zum Special #Kunterbunt. Hier findet ihr alle Beiträge.
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