Das Zuhause sollte ein Ort sein, an dem man sich sicher und geborgen fühlt. Seitentänzerin Michelle-Denise ließ sich durch Lucy Clarke und Linus Geschke eines Besseren belehren.
„Die Verborgenen“
Nach außen führen Sven und Franziska ein scheinbar perfektes Leben. Gemeinsam mit ihrer Tochter Tabea wohnen sie in einem schönen Haus, in einem beschaulichen Küstenort. Eben dort, wo andere nur Urlaub machen können. Die Idylle trügt jedoch. Als sich jemand heimlich Zutritt zu ihrem Haus verschafft und unbemerkt von der Familie den Dachboden bezieht, beginnt ihre Fassade zu bröckeln. Der ungebetene Gast ist gekommen, um zu bleiben und im Verborgenen Zwietracht zu sähen.
Linus Geschke beschäftigt sich in seinem neuen Thriller „Die Verborgenen“ mit dem Thema Phrogging. Beim Phrogging leben Menschen, sogenannte Phrogs, heimlich für einen kurzen Zeitraum in den Häusern anderer Menschen. Sie hüpfen, ähnlich wie Frösche (englisch: frogs), von Haus zu Haus. Jedoch wird auch von Fällen berichtet, in denen die Fremden sogar monatelang unbemerkt mit den Hausbewohnern leben, ihre Kleidung tragen, ihre Zahnbürste benutzen und sich an ihrem Kühlschrank und ähnlich Privatem ungeniert bedienen.
Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Mal aus der Sicht des Phrogs, mal aus der Sicht der Protagonisten Sven, Franziska oder Tabea. Recht schnell wird klar, dass der Phrog nicht vorhat, allzu schnell wieder zu verschwinden. Und wie die Familie, bei der er lebt, trägt auch er ein Geheimnis mit sich. Sie alle haben verborgene Wünsche, von denen die anderen nichts wissen. In dem Psychothriller geht es nicht um Gewalt oder besonders blutrünstige Taten. Es ist vielmehr ein Spiel mit Ängsten. Ängste, die jede*r haben kann. Die Protagonisten sind Menschen wie du und ich. Sie sind keine Superhelden oder Personen mit besonderen Fähigkeiten. Gerade aus diesem Grund ist es ein Leichtes, sich in die Personen hineinzuversetzen und ihre Ängste und Sehnsüchte zu nachzuempfinden.
„Die Verborgenen“ überzeugt durch die innovative Erzählperspektive eines Phrogs und offenbart erst in den letzten Abschnitten, wie alle Ängste miteinander verwoben sind.
„You Let Me In“
Die Bestseller-Autorin Elle lebt in einem wunderschönen, prachtvollen Haus auf einer Küstenklippe in Cornwall. Als sie arbeitsbedingt für zwei Wochen verreisen will, vermietet sie ihr geliebtes Haus an eine junge Familie über Airbnb. Nicht ahnend, dass sie sich nach ihrer Rückkehr in ihrem eigenen Zuhause nicht mehr sicher fühlen wird. Das Gefühl, dass immer noch jemand in dem Haus sein Unwesen treibt, lässt sie einfach nicht los.
Als klar wird, dass die Protagonistin nicht weiß, wer sich in ihrer Abwesenheit in ihrem Haus aufgehalten hat, verändert sich die Stimmung des Buches bereits auf den ersten Seiten schlagartig. Eines steht fest: Die Familie, die das Haus während ihrer Abwesenheit über eine Wohnungsvermietungsplattform gebucht hat, war nicht da. Oder doch? Die Unwissenheit ist beklemmend. Immer wieder gibt es Hinweise darauf, dass Elle nicht allein ist oder war.
Lucy Clarke schafft mit wenigen Worten die traumhafte Strandkulisse der Handlung in eine dunkle, drückende Atmosphäre zu tauchen, von der Bedrohung ausgeht. Durch die kurzen Passagen, in denen der Eindringling immer wieder selbst zu Wort kommt, nimmt man die Angst der Protagonistin noch stärker wahr, denn man bekommt als Leser und Leserin einen Beweis, dass sich Elle die mysteriösen Dinge, die in ihren vier Wänden passieren, nicht einbildet. Oder doch? Die Autorin spielt gekonnt mit der Angst. Der Angst, dass da jemand an dem vermeintlich sicheren Ort namens Zuhause befindet. Der Angst, dass diese Person Geheimnisse herausfindet, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen sollten.
„You Let Me In“ ist kein gewalttätiger Thriller. Vielmehr spielt sich die Gefahr im Kopf ab. Ich konnte mich direkt in die Protagonistin hineinversetzen. Trotz all des Erfolgs und des beeindruckenden Eigenheims ist sie verletzlich, unsicher und nahbar. Beim Lesen befand ich mich durchgehend in einer gewissen Anspannung und konnte das Buch nicht zur Seite legen, ohne zu erfahren, ob Elle wirklich bedroht wird. Ich stellte immer wieder neue Theorien auf, ob und wer sich in ihrem Haus aufhält oder aufgehalten hat. Bis zum Ende des Buches habe ich sicherlich jede erwähnte Person einmal verdächtigt. Clarke hält die Spannung gekonnt bis zur letzten Seite aufrecht und lässt die Geschichte erst in den letzten Zeilen des Epilogs mit einer erneuten und ungeahnten Wendung enden.
- Die Verborgenen. Linus Geschke. Piper. 2023.
- You Let Me In. Lucy Clarke. Übersetzung: Claudia Franz. Piper. 2024.
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