„Beklaute Frauen“: Wie Frauen im Patriarchat unsichtbar gemacht wurden

von | 18.06.2024 | Buchpranger, Hörbeitrag, Sach- und Fachbücher

Die Historikerin, Journalistin und Moderatorin Leonie Schöler hat in ihrem Sachbuch-Debüt „Beklaute Frauen“ ebenjene zum Thema gemacht: Sie schafft Sichtbarkeit für all die Frauen, deren Namen beinahe oder komplett vergessen sind – von Männern aus der Geschichte getilgt. – Von Satzhüterin Pia

Ein intersektionales, feministisches Sachbuch-Highlight, so möchte ich „Beklaute Frauen“ ganz klar bezeichnen. Das Buch ist enorm umfangreich und bei all dem geballten Wissen ungemindert unterhaltsam und fesselnd – eine gekonnte Mischung für ein Sachbuch. Aber erstmal zurück auf Anfang:

Schöler rückt in „Beklaute Frauen“ ebenjene in den Fokus, die Großes geleistet haben, aber deren Namen vergessen oder schlichtweg bewusst aus der Geschichte gestrichen wurden. Den Ruhm ihrer Leistungen schreibt man Männern zu. Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Sportlerinnen und viele mehr, sie alle verkamen in den letzten zweihundert Jahren allzu oft zur „Muse“, zur „Sekretärin“ oder einfach nur zur „Ehefrau“. Es bleiben große Männernamen, die natürlich alle mindestens weiß und hetero waren, sowie keine anderen „Abweichungen“ von dieser selbsternannten Norm mit sich bringen.

„Aber die Geschichte kennt für Frauen eben meisten nur eine dieser drei Rollen: Ehefrau/Familienangehörige, Sekretärin oder Muse.“ (S. 137)

Das Buch beinhaltet umfangreiche Exkurse, die auf mehr als „nur“ die einzelnen Schicksale eingehen. Es geht um die Entstehung und weitreichenden Auswirkungen des Patriarchats. Dabei bleibt die Autorin aber nicht stehen, sondern zeigt auch auf, wie sehr neben Sexismus auch Rassismus, Ableismus und Fremdenfeindlichkeit gelebt und verbreitet werden. Damit leistet das Buch einen umfangreichen und wichtigen Beitrag zum intersektionalen Feminismus, heißt, sie bleibt in „Beklaute Frauen“ nicht bei weißen, privilegierteren Schicksalen stehen, sondern bezieht auch zusätzlich marginalisierte Personen mit ein. Schwarze Frauen, People of Colour oder Frauen mit Behinderungen, um nur einige davon zu nennen.

Frauen schreiben Geschichte …

Gekonnt analysiert Schöler zahllose Ereignisse, zeigt tiefgreifende patriarchale Strukturen auf und hebt Schicksale hervor, die sonst ungesehen bleiben würden. Es ist schon beinahe frustrierend, aber sicherlich Natur der Sache an sich, dass die Erzählung zu den vergessenen Frauen, ihren Namen und Errungenschaften, nicht ohne all die bekannten Männernamen auskommt. Die Geschichten der Frauen zu erzählen, bedeutet eben auch, ausführlich die der Männer zu beleuchten. Eigentlich ist das Buch an vielen Stellen auch und vor allem eine Demontage der großen (männlichen) Namen der Geschichte – denn hinter all diesen Namen verbirgt sich mindestens eine Frau, die all das möglich gemacht hat. Wir alle kennen sicherlich das Sprichwort „Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau.“ Ein bitterer Satz, was mit jeder Seite von Schölers Buch nur umso deutlicher wird.

„Wenn Frauen alles machen können und dürfen, was Männer machen können und dürfen, was macht einen Mann dann noch zum Mann? Ist eine geschlechtsabhängige Aufgaben- und Rollenverteilung etwa doch keine Vorgabe der Natur, sondern Ergebnis einer patriarchalen Gesellschaft?“ (S. 247)

Der Erzählstil von Leonie Schöler ist fesselnd und hilft sehr dabei, die Unmengen an Infos und Namen gut verarbeiten zu können – über wie viele Sachbücher kann man schon sagen, dass man sie kaum aus der Hand legen konnte? Zusätzlich wird das Sachbuch durch Infokästen und Abbildungen aufgelockert. Damit wird der Anspruch, den Frauen Sichtbarkeit zu verschaffen, doppelt erfüllt – ein Gesicht zu dem Namen oder eine abgebildete Szene zu der geschilderten Situation prägt sich noch mehr ein, als „nur“ einen Namen zu lesen. Die Bilder holen die Frauen zusätzlich ins Rampenlicht.

… und Männer ernten den Ruhm

Das Buch eignet sich gleichermaßen für den Einstieg in feministische Debatten, ist aber auch darüber hinaus so umfangreich und fundiert, dass auch all diejenigen, die nicht neu in dem Thema sind, sehr viel Neues erfahren. So viele spannende Geschichten von einzelnen Frauen oder ganzen Gruppen offenbaren sich uns Leser*innen, wertschätzend, bissig, umfangreich recherchiert. Nicht selten habe ich ungläubig den Kopf geschüttelt, wurde wütend oder fühlte mich machtlos, ob der ganzen Ungerechtigkeit und unsagbaren Dreistigkeit, die dazu führten, dass das Patriarchat so unglaublich stark verankert ist. Aber auch hierfür findet Schöler Worte – Schlussworte, die Mut machen.

„Beklaute Frauen“ ist nicht nur augenöffnend, sondern vor allem verändert es grundlegend den Blick auf unsere Gesellschaft und Geschichte. Damit macht das Buch aber auch wütend – es ist durchaus emotional mitnehmend, wenn man so geballt den Spiegel der Gesellschaft vorgelegt bekommt. Viel hat sich gebessert, ebenso viel bleibt uns noch zu tun. Dieses Buch ist so wichtig, dass ich ihm nicht nur viele, viele, viele Leserinnen und Leser wünsche, sondern es direkt für den Geschichtsunterricht vorschlagen möchte. Lest und lernt!

Beklaute Frauen. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte. Leonie Schöler. Penguin Verlag. 2024.

Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Vierjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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