By a Lady: „Verstand und Gefühl“ – im Interview: Stella Langecker

von | 16.12.2025 | #buch&kunst, Buchpranger, Graphic Novels, Comics, Manga

Vor 250 Jahren wurde am 16. Dezember 1775 im englischen Hampshire ein Mädchen geboren, das mit ihren späteren Veröffentlichungen literarische Klassiker schaffen würde: Jane Austen. Ihr Roman „Verstand und Gefühl“ wurde 15 Jahre nachdem sie ihr Manuskript der Geschichte der Schwestern Marianne und Elinor fertiggestellt hatte, im Jahre 1811 als ihr Debüt herausgebracht. Anna Opel und die Illustratorin Stella Langecker haben die Geschichte als Graphic Novel inszeniert. – von Satzhüterin Pia

Die Schwestern Elinor und Marianne Dashwood stehen sich nahe – und sind doch gänzlich verschieden: Während Elinor Entscheidungen mit dem Verstand fällt, stehen Marianne ihre Gefühle offen ins Gesicht geschrieben. Nach dem Tod ihres Vaters erbt dessen Sohn aus erster Ehe das Gut Norland Park und die Familie Dashwood muss umziehen. Sie finden in Devonshire dank eines Cousins ein günstiges Cottage als ihr neues Zuhause. Während Elinor den ihr sehr zugetanen, freundlichen und zurückhaltenden Edward unglücklicherweise in der alten Heimat zurücklassen muss, lernt die impulsive Marianne in Devonshire den charmanten Willoughby kenne – und lieben. Die impulsive Marianne zerbricht fast daran, als Willoughby sich von ihr abwendet, während Elinor ihr gebrochenes Herz hinter ernster Miene verbirgt. Die Frage ist nun natürlich nicht ob, sondern wie und mit wem beide Schwestern ihr Happy End finden.

„By a lady“

Austen publizierte zeitlebens unter dem Pseudonym „by a lady“. Ihre Geschichten handeln im Prinzip immer von jungen Frauen, die eine gute Heirat als Lebensziel haben, weil sie, wie es zu dieser Zeit üblich war, fast ausschließlich dann eine respektable Stellung und gesicherte Verhältnisse erhalten konnten. Aber es geht auch immer darum, diese „Notwendigkeit“ mit der (wahren) Liebe zu verbinden. In diesem Rahmen eines Liebes- oder auch Gesellschaftsromans finden sich kritische gesellschaftspolitische Themen, karikative und humoristische Überspitzungen, für die Austen bekannt ist. Sie selbst hat nie geheiratet, sondern bei ihrer Familie gelebt, bis sie ein eigenes Häuschen auf dem Anwesen ihres Bruders bewohnen durfte, sich als Autorin etablierte und eher zurückgezogen lebte. Sie starb im Alter von 40 Jahren.

Klassiker im neuen Gewand

Für die Graphic Novel „Verstand und Gefühl“ hat die Schriftstellerin Anna Opel den über 200 Jahre alten Text neu aufbereitet und verkürzt. Den Rest erzählen die handgezeichneten Bilder von Stella Langecker. Die eleganten, leicht verspielten und dann wieder klaren Illustrationen fangen die Geschichte sehr atmosphärisch ein. In den Handzeichnungen, deren Farben gesättigt und gefällig wirken, finden sich keine grellen oder herausstechenden Töne, aber trotz der unaufgeregten Farbwahl ist es weit mehr als „nur sepia“. Der Stil funktioniert für das Setting und die Erzählung wirklich sehr schön. Die Panels sind sehr klar strukturiert, so dass man der Geschichte gut folgen kann.

Die Bilder wirken liebevoll und sind wunderschön, es gibt nur einen Kritikpunkt: Es ist nicht sofort und für jeden klar ersichtlich, wer wer ist und wer zu wem gehört. Das liegt besonders daran, dass die Gesichter nicht sehr markant gezeichnet sind, sondern eher austauschbar wirken. Wie es für jemanden ist, der die Geschichte noch gar nicht kennt, ist für mich schwer zu sagen, aber selbst ich hatte Eingangs meine Schwierigkeiten. Dazu kommt, dass es uns Austens Geschichte selbst nicht immer ganz einfach macht. Ein Beispiel: Edward ist Elinors Schwager (und Schwarm, wir erinnern uns) – er ist der Bruder der Frau von Elinors Halbbruders, der nun Erbe des gemeinsamen Vaters ist. Und ja, das klingt nicht nur etwas verwirrend, in der Graphic Novel ist das ohne Vorwissen durch das Original (oder wenigstens die Verfilmung) auch nicht sofort klar ersichtlich.

Schon beim zweiten Betrachten der Geschichte kam nicht nur meine Erinnerung an Details der Handlung wieder, es rückten auch die Feinheiten der Zeichnungen in den Fokus. Die dunkleren und etwas wilderen Haare der impulsiven Marianne, der sanfte Gesichtsausdruck von Elinor – nach und nach öffnet sich der Blick für solche Details.

Empfehlung

Wer Jane Austen mag, wird auch diese Graphic Novel sehr mögen. Auch wenn man mit dem Stoff gut bekannt ist, bringt diese liebevolle Adaption Lesefreude. Ich selbst kenne alle Bücher von Austen, habe viele Texte mehrfach, oder in verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen gelesen. Die BBC-Verfilmung von „Pride and Prejudice“ (1995 mit Jennifer Ehle und Colin Firth) ist mit Abstand meine liebste Literaturverfilmung – und auch die Verfilmung unter dem Titel „Sinn und Sinnlichkeit“ mit dem wunderbaren Cast rund um Emma Thompson, Kate Winslet, Alan Rickman und Hugh Grant kenne ich natürlich. Diese Graphic Novel berührt aber noch einmal eine andere Saite und ich möchte sie nicht missen. Vielleicht vermag sie auch Austen-Neulingen einen Weg bereiten und die Lust auf das restliche Werk und weitere Adaptionen wecken.

Verstand und Gefühl. Die Graphic Novel nach Jane Austen. Text: Anna Opel. Illustration: Stella Langecker. Knesebeck. 2025.

Fünf Fragen an Stella Langecker

BM: Wie entstehen deine Bilder?

SL: Erst sammle ich Ideen und Referenzmaterial und mache dann ein paar sehr grobe, sehr kryptische Skizzen auf kleinem Format, um verschiedene Kompositionen auszutesten. Sobald ich mich für ein Layout entschieden habe, zeichne ich eine größere, ordentlichere Skizze, scanne sie ein und koloriere sie digital. Manchmal ist das schon der letzte Schritt, meistens aber lasse ich die digitale Koloration recht grob und nutze sie nur als Farbtest für die finale Aquarellillustration. Sobald Skizze und Farbschema feststehen, ziehe ich das Lineart mit Feder und Tinte nach und koloriere mit Pinsel und Aquarellfarben.

BM: Woher nimmst du deine Inspiration?

SL: Aus Fauna, Flora und Geschichte ebenso wie von anderen Künstlern, vor allem im Bereich Comic, Computerspiele, Illustration und Animationsfilm. Wenn ich sehe, was anderer Leute Kreativität hervorbringt, juckt es mich auch in den Fingern.

BM: Welche Geschichten würdest du gerne einmal illustrieren?

SL: Konkrete Wünsche habe ich keine. Momentan hätte ich aber Lust, an etwas Gemütlichem Richtung Slice-of-Life zu arbeiten.

BM: Hat sich dein Beruf im Laufe der Zeit verändert? (Wenn ja, wie?)

SL: Seitdem KI-generierte Bilder überall im Internet auftauchen, ist es nochmal mühsamer geworden, online brauchbare und akkurate Referenzbilder zu finden, z.B. zu historischer Kleidung und Architektur.

BM: Wenn du ein Buch wärst, welches wäre es?

SL: Die Mumins.

Bild: Stella Langecker


Pia Zarsteck

Pia Zarsteck

Pias Liebe zur Literatur hat sie vor Jahren an die Uni Bremen geführt, wo sie bis zum Masterabschluss Germanistik studierte. Heute ist sie Vorsitzende im Bücherstadt e.V., Mama einer Fünfjährigen und beruflich ganz woanders unterwegs - aber immer noch vernarrt in Bücher und Spiele. Ein Leben ohne die Bücherstadt kann sie sich nicht vorstellen.

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