Urban Fantasy Jugendbücher… das kennen wir doch. Jugendliche mit übernatürlicher Begabung retten die Welt, indem sie gegen böse Kreaturen kämpfen, und nebenbei wuppen sie noch die Schule. Es gibt einen Auserwählten, der mit seinem Schicksal hadert und in so manches Fettnäpfchen tritt. Und dann ist da noch die traumhafte erste Liebe zwischen einem Jungen und einem Mädchen, die – STOPP! Rainbow Rowells „Carry On“ macht vieles davon, aber das letzte nicht – und die anderen Dinge macht es irgendwie… anders. Buchstaplerin Maike hat sich das gleichzeitig ungewöhnliche und gewöhnliche englische Jugendbuch genauer angesehen.
Simon Snow ist der Auserwählte. Er geht nun schon das achte Jahr auf die britische Zauberschule Watford, und jetzt bahnt sich der Showdown an: Die Beziehung zu Simons Freundin kriselt. Simons Erzfeind und Mitschüler Baz lässt sich nicht blicken, um Simon zu schikanieren. Und dann ist da noch das böse Wesen, das die Zaubereiwelt bedroht, und das genauso aussieht wie Simon mit elf Jahren. Was hat der Schulleiter mit all dem zu tun? Und wie bringt Simon in all den Schlamassel seine plötzliche Liebesbeziehung zu Baz unter?
Hä? Klingt das nicht irgendwie nach Harry Potter? Ganz genau! „Carry On“ muss sich dem Vergleich stellen, denn ursprünglich wurde die Welt um Simon Snow für Rainbow Rowells Roman „Fangirl“ erfunden – als Äquivalent für Harry Potter, als Buchserie, für die die Protagonistin Cath eben schwärmt und epische Fanfiction verfasst. Was uns zu „Carry On“ bringt. Das ist nun eben die Fanfiction, die Cath in „Fangirl“ schreibt. Verwirrend? Vielleicht. Aber ganz schön gewitzt, besonders, wenn man „Carry On“ als Kommentar auf Fandoms, Jugendbücher und deren Konventionen liest. Das Buch wird eben nicht zu Unrecht oft als Meta-Fanfiction bezeichnet.
Vom Plot klingt es wie der achte Band einer Jugendbuchreihe, steht aber für sich allein. Das bringt einige Schwierigkeiten mit sich, die leider nicht immer besonders gut gelöst werden. Sieben Jahre Abenteuer an einer Zauberschule in Nebensätzen zu erklären, das wirkt eher störend. Denn anstatt die LeserInnen selbst die Lücken füllen zu lassen, wird manches gleich doppelt und dreifach erläutert. Und auch die Aufteilung der Kapitel hilft mir nicht, das Buch flüssig zu lesen. Von Kapitel zu Kapitel ist die Geschichte aus der Ich-Perspektive einer anderen Figur erzählt, was sie uns einerseits näher bringt und möglich macht, dass wir mehr wissen als die einzelnen Figuren. Aber andererseits ist dadurch einiges vorhersehbar. Und die unterschiedlichen Stimmen ähneln sich zu sehr, sodass man beim Lesen durcheinander kommt.
Doch inhaltlich wartet „Carry On“ mit einem großen Augenzwinkern auf: Harry Potter und andere Jugendbücher werden liebevoll parodiert, etwa sprechende Namen und die Sache mit dem „Auserwählten“. Die Zaubersprüche sind eine Innovation: keine lateinischen Wörter, sondern geflügelte Worte aller Art (auch aus der Popkultur und Werbung) helfen der Magie auf die Sprünge. Auch die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen wird besser getroffen – sie fluchen, machen sich Gedanken über Beziehungen und Sex, zweifeln und reflektieren. Was mich zum letzten Punkt bringt: Die Beziehung von Simon und Baz. In diesem Jugendbuch, das Klischees mal mehr und mal weniger gelungen auf den Kopf stellt, verlieben sich endlich mal selbstverständlich zwei Jungs ineinander.
Ehemals Erzfeinde, erkennen sie, dass ihre Feindschaft vielleicht doch etwas anderes war, und dass sie sich im Kampf gegen das Böse ergänzen. Doch in der zögerlichen neuen Liebe geht nicht alles glatt – Simon und Baz werden von Zweifel und Identitätskrise durcheinander gebracht. Das ist unglaublich erfrischend. Bei Fanfictions ist das die Regel, doch „normale“ Geschichten für Jugendliche, die unverkrampft mit queeren Beziehungen aufwartet, sind dünn gesät. Allein dafür lohnt sich ein Blick in „Carry On“, das leider noch nicht auf Deutsch erschienen ist.
Wer also gerne Vergleiche zu Harry Potter zieht oder die Nase voll von den immer irgendwie gleichen Jugendbüchern hat, sollte mal bei „Carry On“ reinschauen. Denn auch wenn die Erzählweise etwas holprig daherkommt, ist Rainbow Rowells neuer Roman mal was ganz Neues – obwohl man alles irgendwie zu kennen glaubt.
Carry On. Rainbow Rowell. St. Martin’s Griffin. 2015.
Bisher nur auf Englisch erschienen. www.rainbowrowell.com.
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