„Deephaven“: Ein etwas anderer Sommerroman

von | 09.05.2022 | Belletristik, Buchpranger

Sommerromane über junge Mädchen in Küstenorten gibt es ja wie den sprichwörtlichen Sand am Meer. Sarah Orne Jewetts „Deephaven“ ist allerdings anders, findet Worteweberin Annika.

Die beiden Freundinnen Helen und Kate bekommen im Jahr 1877 die Gelegenheit, den Sommer im Haus von Kates verstorbener Großtante im Küstenstädtchen Deephaven zu verbringen. Sie packen ihre sieben Sachen und ihre Dienstboten zusammen und los geht’s! So weit, so gewöhnlich.

Kapitäne, Leuchtturmwärterinnen, Einsiedlerinnen

Doch in Deephaven angekommen erwartet uns Leser*innen keine Erzählung über Nachmittage am Strand, unglückliche Liebschaften und Missverständnisse – auch wenn das für den Umschlag ausgewählte Bild das nahelegt. Nur kurz werden wir in den Alltag der beiden in Deephaven eingeführt und erfahren davon, dass es darin durchaus auch lange Nächte voll Gelächter und Gruselgeschichten gibt. Um mich im Setting einzufinden und die Figuren kennenzulernen, hätte dieser Part für mich auch länger ausfallen dürfen.

In den folgenden Kapiteln erfahren wir hingegen von dem, was für Helen und Kate den Reiz ihres Sommers ausmacht: den Bekanntschaften mit den Einheimischen. Helen erzählt im Rückblick auf den Sommer ihrer Jugend von Gesprächen mit Kapitänen, einer dementen Dame, die in der Ruine ihrer einstigen Villa haust, einer Einsiedlerin im Wald, einer armen Bauernfamilie, der Leuchtturmwärterin und vielen mehr. So entsteht eine Sozialstudie des Küstenortes, dessen Umgebung und der Zeit, in der der Roman spielt. Sarah Orne Jewett gelingt es, das unterhaltsam und charmant zu erzählen.

Vergessene Autorin wiederentdeckt

„Deephaven“ erschien 1877 als Sarah Orne Jewetts Debütroman und erzählt von einem fiktiven Ort in Maine, ist aber angelehnt an die Erfahrungen der Autorin, wie ihr Vorwort verrät. Leicht kann man sich vorstellen, dass es auch für die zahlreichen, detailliert geschilderten und untypischen Figuren Vorbilder im wahren Leben gab.

Obwohl Jewett mit vielen bekannten Schriftsteller*innen wie Mark Twain, Rudyard Kipling oder Harriet Beecher Stowe befreundet war und ihr Werk bewundert wurde, sind ihre Texte kaum auf Deutsch lieferbar und sie selbst ist wenig bekannt. Dank der neuen „Deephaven“-Übersetzung von Alexander Pechmann ändert sich das nun zum Glück! Wer mehr über Jewett erfahren möchte, wird im interessanten Nachwort fündig. Besonders schön ist die bibliophile Ausstattung mit Leineneinband und Schuber – da schlägt mein Bücherstädterinnenherz höher!

Selbst wenn es im Roman auch um lange Spaziergänge entlang der Klippen, Bootsfahrten und eine innige Freundschaft geht, ist „Deephaven“ doch alles andere als eine seichte Sommerlektüre. Der Roman ist klug beobachtet, lebendig beschrieben und voller Zeitgeist, mit einem liebevollen Blick auf die Menschen am Meer.

Deephaven. Sarah Orne Jewett. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Mare. 2022.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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