Neugierig lugte der Mond zwischen den sich in alle Himmelsrichtungen verstreuenden Wolken hervor. Fast eine ganze Woche lang war ihm nun die Sicht auf die Erde versperrt gewesen. Daher freute er sich jetzt umso mehr, den unterhaltsamen Zeitvertreib des Beobachtens des blauen Planeten wieder aufnehmen zu können.
Schon fiel dem Mond etwas ins Auge: eine ruhige Parklandschaft, die – in sein Licht gebadet – ganz bezaubernd aussah. Dort erblickte er eine kleine romantische Brücke, auf der sich zwei Menschlein befanden: ein Mann in schwarzer Hose und weißem Hemd und eine Frau im roten Kleid.
Schweigend standen die beiden nebeneinander am Brückengeländer, den eigenen Gedanken nachhängend, und abwechselnd aufs Wasser hinab oder in die Ferne hinaus blickend. Irgendwann legte der Mann einen Arm um die Frau und zog sie näher zu sich heran. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter. Die beiden wirkten so – glücklich.
Dem Mond wurde ganz seltsam bei diesem Anblick. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er fast gesagt, er wäre eifersüchtig auf die beiden. Aber das war unmöglich, oder? Immerhin war er der Mond. Eifersucht war unlogisch für ihn… Und doch, fühlte nicht auch er sich manchmal einsam?
In diesem Moment begannen die Sterne zu singen. Als ob sie es auch hören könnten, fingen unten auf der Erde der Mann und die Frau im roten Kleid an zu tanzen. Zuerst ein sanftes Sich-Hin-und-Her-Wiegen. Dann wurde das Schaukeln immer stärker, die Schritte mutiger, der Ausdruck leidenschaftlicher.
„Ein Tango!“, stellte der Mond entzückt fest. Begeistert sah er den beiden Menschen zu, bis sie ihren Tanz beendeten und den Park verließen – vielleicht um ihr Beisammensein anderswo fortzusetzen.
Die Sterne waren verstummt. Der Park lag verlassen da. Der Mond war wieder einsam.
Er schloss die Augen und horchte gleichzeitig in sich hinein und hinaus in die Weiten des Weltalls.
Eine Weile lang vernahm er nichts. Dann ein Rascheln. Ein Kichern. Eine sanfte Melodie. Der Mond öffnete die Augen und erblickte den Wind, der durch das Schilf huschte, ihm zuzwinkerte und dabei spitzbübisch grinste.
Bei diesem Anblick wurde dem Mond wieder anders ums Herz. „Hallo, alter Freund!“, rief er, über die Maße erfreut über das Wiedersehen.
Als der Wind diese Worte vernahm, verließ er das Schilf und rauschte schnurstracks zum Mond empor. Sachte, fast zärtlich strich er dem Gestirn über Augen, Wange, Stirn und Nase. „Guten Abend, Liebster.“
Der Mond wurde rot. Der Wind ging galanter Weise nicht näher darauf ein und fragte stattdessen: „Dürfte ich wohl um diesen Tanz bitten?“
Der Mond nickte verlegen, Logik hin oder her. Konnte es sein, dass er tatsächlich nicht länger einsam war?
Die Sterne begannen zu singen. Tango natürlich.
Text: Bücherstädterin Silvia
Illustration: Bücherstädterin Kristina
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