Der Schneesturm

von | 04.01.2015 | Belletristik, Buchpranger

Vladimir Sorokin, geboren 1955 in Bykowo, ist ein bedeutender russischer Schriftsteller. Bekannt geworden ist er mit seinen Werken „Der himmelblaue Speck“, „Der Tag des Opritschniks“ und „Der Zuckerkreml“. Er schreibt über Russland, kritisiert die Politik – nicht nur in Büchern. So findet sich der ein oder andere Gastbeitrag in den Medien, z.B. auf Faz.net.

Sorokin schreibt, was er denkt, und das auf eine sehr unmissverständliche, klare Weise. In einem Interview vom 11. Oktober 2003 sagt er auf Spiegel.de: „Es war schon immer gefährlich, ein russischer Schriftsteller zu sein. Alle unsere Klassiker waren im Konflikt mit der Obrigkeit. Fast ohne Ausnahme. In der Sowjetzeit wurden sie physisch vernichtet. Heute wird ihr Schreiben vernichtet. Der russische Staat hat eine panische Angst vor Schriftstellern, warum auch immer. Das gilt eben auch für mich. Ich bin nicht sicher, ob es die letzte Aktion gegen mich war. In Russland bricht ein neuer politischer Winter an. Die Übermacht der Bürokratie wächst wieder, und eine neue konservative Periode beginnt. In solchen Perioden befasst man sich immer viel genauer mit Schriftstellern. Russland ist ein Land, über das man keine Prognosen treffen kann. Ich weiß nicht genau, was da kommt. Aber es kommt etwas auf uns zu. […] Die Massenmedien werden schon vom Staat kontrolliert, wir haben keinen unabhängigen Fernsehsender mehr. Die Bürokratie hat schon absolute Macht. Reicht das nicht? Aber das, was wir jetzt sehen, ist nur der erste Schneefall, eines langen Winters.“

Um Schneefälle, Schneestürme und einen langen, bitterkalten Winter geht es auch in seinem 2012 im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienenen Buch „Der Schneesturm“. Der Protagonist Platon Iljitsch Garin ist Landarzt und befindet sich zu Beginn der Geschichte in Aufbruchsstimmung, allerdings in keiner guten. Denn er muss sich sputen, den Impfstoff so schnell wie möglich nach Dolgoje zu bringen. Dort verbreitet sich nämlich eine unbekannte Krankheit, die Menschen in Zombies verwandelt.
Es hört sich nach einer russischen Fantasygeschichte an und auch die seltsamen Begebenheiten und Gegenstände scheinen diesen Eindruck zu bestätigen. Ein Radio mit „lebendigen“ Bildern? Eine Paste, die Filz „wachsen“ lässt? Man wird entführt in eine Welt, die scheinbar in der Vergangenheit existiert, und doch so weit entwickelt ist, dass sie keinem bestimmten Zeitraum einzuordnen ist. Im Klappentext liest man von Zwergen und Riesen, doch so richtig tauchen sie in der Geschichte nicht auf – zumindest nicht so, wie wir sie aus unzähligen Fantasyromanen kennen.
Garin, begleitet von seinem Freund Krächz, ist auf dem Weg und gerät in einen heftigen Schneesturm. Wer so einen Schneesturm schon einmal erlebt hat, wird wissen, dass eine Weiterfahrt schier unmöglich ist. Und so rasten die beiden, warten, fahren doch wieder weiter.

„Gegen den Wind zu Felde ziehen! Alle Fährnisse überwinden, allen Wahnwitz und Widersinn. Nichts und niemanden fürchten, unbeirrt seinen Weg gehen, wie das Schicksal es will. Eisern, standhaft, geradeaus. Darin liegt der Sinn unseres Lebens! … So dachte der Doktor.“ (S. 132)

In „Der Schneesturm“ schafft Sorokin ein Universum, in dem Gesellschaftskritik, hohe Technologie, Fantasy- und Märchenwelt vermischt werden. Eine zeitlose Parallelwelt, die erfüllt wird mit der russischen Seele; Wodka, philosophierende Männer und eine gewisse Prise Schwermut. Es ist ein Werk, das erzählerisch an große Schriftsteller wie Gogol und Tolstoi erinnert, und doch wiederum nicht vergleichbar ist. Einzuordnen ist dieses Werk jedenfalls nicht.

Heute lebt der Autor in Berlin und widmet sich der Kunst. Die Malerei sei eine schöne Sache, sagt er in einem Interview vom 15. November 2014 auf Zeit.de. In Moskau konnte er keinen Zugang finden, in Berlin sei es ihm gelungen. Außerdem verrät er: „Ich habe ein Buch geschrieben, das heißt „Tellurium“. Es ist nicht nur ein Buch über Russlands Zukunft, sondern über die Zukunft Europas und Eurasiens. Es geht um europäische Ängste. Dieses Buch wird jetzt ins Deutsche übersetzt. Seither habe ich nichts mehr geschrieben.“

Im November 2014 ist die Taschenbuchausgabe von „Der Schneesturm“ erschienen, ebenfalls im Kiepenheuer & Witsch Verlag.

Alexa

Der Schneesturm, Vladimir Sorokin, Andreas Tretner (Übersetzer),
Kiepenheuer & Witsch, 2012; Ein Beitrag zum Leseprojekt “Russische Literatur”.

„Der Schneesturm“ auch auf: literatourismus.net

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