Der unappetitliche Serviervorschlag der Literatur

von | 11.12.2017 | Gedankenkrümel, Kreativlabor

Ein Gedankenkrümel von Buchstaplerin Maike im Rahmen der Blogparade #Ende von schraeglesen.

Es gibt Bücher, die es einfach verdienen, nicht zu Ende gelesen zu werden. Das klingt jetzt hart, aber ich meine es nur gut mit ihnen. Viel zu häufig hat mir das letzte Kapitel die langsam aufgebaute Leseliebe im letzten Augenblick ruiniert. Der Schrecken lauert potenziell in jedem ungelesenen Buch, das harmlos im Bücherregal steht. Er wartet darauf, in den unpassendsten Momenten zuzuschlagen. Das Grauen hat sogar einen Namen: Epilog.

„Was? Das war’s jetzt?! Echt?? Das macht doch gar keinen Sinn!!“

Was eine Schlussrede oder ein Nachspiel sein soll, nimmt bisweilen groteske Formen an, die mir nichts als Augenrollen entlocken. Sei es bei „Harry Potter“ oder „Die Tribute von Panem“, um die zwei bekanntesten Beispiele zu nennen. Plötzlich wird mir ein erzwungen harmonisches, um nicht zu sagen kitschiges und höchst unplausibles Ende vorgesetzt, das nur einen Zweck zu haben scheint: Mir ein wohliges Gefühl zu geben. Aber vielleicht möchte ich das nicht? Vielleicht mag ich ja die Ambivalenz, die Unbestimmtheit und die Freiheit, mir die Zukunft der Figuren selbst auszumalen? Vielleicht war die Gratwanderung zwischen ungeschöntem Realismus und Hoffnung genau das, was mir die ganze Zeit über gefallen hat? Zumal Harmonie nicht das ist, was sich über Hunderte oder gar Tausende Seiten ausgerollt hat. Tja, und sofort schlägt die Wohlfühl-Intention des Epilogs ins Gegenteil um: Er lässt mich ratlos, verwirrt, wütend, zurück. Sehr ärgerlich, so ein Schluss bei langen Buch-Reihen.

„All was well.“ And boring.

Also bin ich dazu übergegangen, solche mehr oder weniger explizit benannten Epiloge als „Serviervorschlag“ zu begreifen. Genau wie auf den Maggitüten zeigen solche unappetitlichen Epiloge mir sonst ein hübsches retuschiertes Bild, ein unerreichbar perfektes Was-Wäre-Wenn, ein Und-Sie-Lebten-Glücklich-Bis-Ans-Ende-Ihrer-Tage. Wozu muss ich nun wissen, dass Harry und alle seine Freund*innen glücklich heteroromantisch verpartnert und mit Kindern gesegnet sind? Dass er und Ginny ihren Kindern die denkbar schlechtesten Vornamen gegeben haben? Wozu hat Katniss plötzlich all ihre Prinzipien über Bord geworfen, um mit Peeta glückliche Kleinfamilie zu spielen? Mir ist egal, was so und so viele Jahre später alles rosarot Schönes passiert. Schlechte, sprich aus der Luft gegriffene Enden bedeuten wohl einfach: viele hitzige Gespräche, Texte und Memes.

„I tell him: ‚Real.‘“ Really?

Was also tun? Nun, ich halte mich nicht an Serviervorschläge. Ich sage mir: „Das ist nicht das feststehende Ende. Dieses Kapitel ist genauso plausibel wie jedes ungeschriebene andere auch. Richtig ist nur, was sich richtig anfühlt.“ Klar, manchmal ist diese metaphorische Garnitur mit Petersilie und Photoshop toll, aber es gibt Grenzen des guten Geschmacks. Manchen Büchern tut es einfach gut, den Epilog zu überspringen. Wer sagt, dass ich Bücher wider besseren Wissens bis zur letzten Seite lesen muss? Und falls ich es versehentlich doch tue, gibt es zum Glück immer noch Fanfiction.

Und ihr? Braucht ihr Epiloge? Mögt ihr sie? Oder habt ihr auch Lieblingsbücher mit Albtraum-Enden? Erzählt uns davon.

Illustration: Buchstaplerin Maike

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

  1. Avatar

    Liebe Maike – ersteinmal auch hier wieder: Vielen Dank für deinen Beitrag 🙂 An Epiloge hatte ich bisher noch gar nicht gedacht. (Dafür sind ja aber Blogparaden auch da.)

    Vielleicht habe ich aber auch noch gar nicht dran gedacht, weil ich sie zugegebenermaßen ein wenig verdränge. Deinen Frust kann ich nämlich überaus gut verstehen. Ich kann mich auch an keinen einzigen wirklich sinnvollen Epilog erinnern.Du hast es schon recht gut beschrieben – kitschig, langweilig und „Friede, Freude, Eierkuchen“ trifft es da wohl ganz gut. Eben nicht mehr als ein Fanservice.
    Nervig (aber auf eine andere Art und Weise) finde ich übrigens auch Epiloge in Horrorfilmen. Dieses ständige „scheinbar ist alles gut – aber dann!“ – nur damit noch etwas Unbehagen für einen möglichen 2. Teil bleiben kann. (Das ist ja mittlerweile leider in vielen Filmen mit den After-Credit-Scenes auch schon gang und gäbe geworden.)
    Liebe Grüße, Caecilia

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