Die Abenteuer der tapferen Buchmesser

von | 21.10.2015 | Buchpranger

Frankfurt. Volle S-Bahnen, überfüllte Rolltreppen, ratternde Koffer und eine ganze Menge Bücher. Das kann nur eines bedeuten: Es ist wieder Zeit für eine Buchmesse. Vom 14. bis 18. Oktober waren die Frankfurter Messehallen belegt von eifrigen Buchbegeisterten. Fünf waghalsige Bücherstädterinnen haben sich für euch in den Trubel gestürzt, auf die Gefahr hin nie wieder aus diesem verlockenden Labyrinth der Literatur heraus zu finden.

Mittwoch, 14. Oktober: Mittag

Das Pressezentrum der Frankfurter Buchmesse war eine Oase der Ruhe neben den belebten und geschäftigen Hallen. Eine einsame Person wartete an der Bar. Sie blickte auf ihr Handy. Sie wühlte in ihrer Tasche. Und wartete. Und wartete.
Da endlich! Sie erblickte das erst bekannte Gesicht an der Tür. Beide begrüßten sich erfreut. Es war einige Monate her, seit sie sich gesehen hatten. Nun dauerte es nicht mehr lange bis sich erst eine dritte und dann eine vierte Person dazu gesellte. Die fröhliche Gruppe war komplett. Darf ich vorstellen? Die Buchmesser: Fußnotarin Natalie, in der Rolle der Wartenden. Bücherbändigerin Elisabeth, Bücherhorterin Claudia und meine Wenigkeit, Zeilenschwimmerin Ronja. So begann unser Abenteuer.

Mit heldenhaftem Mut verließen wir das sichere Pressezentrum und zogen hinaus in die Weiten des Messegeländes. Schon nach wenigen Metern trennte sich unser Weg zum ersten Mal. Während die anderen sich aufmachten, die Hallen 3 und 4 zu erkunden, bog ich ab und sah beim „Blauen Sofa“ vorbei. Dort wurde gerade Thees Uhlmann interviewt. Sein erstes Buch „Sophia, der Tod und ich“ ist gerade im KiWi-Verlag erschienen. Mit einem Augenzwinkern erklärte er, dass er wenigstens ein weiteres Buch noch schreiben müsse, denn eines von diesen schicken schwarz-weiß Autorenportraits, die im Verlagsgebäude hängen, bekommt man bei Kiepenheuer & Witsch erst mit dem zweiten Buch.

Inseln der Literatur

Danach folgte auch für mich der obligatorische erste Rundgang. Etwas planlos lief ich durch die Hallen 5 und 6, internationale Verlage, dann einmal durch Halle 4, Bildung, Sachbuch, Literatur. Dort sollte angeblich auch die antiquarische Abteilung sein. Ich fand sie nicht. In Halle 3 sind fast alle großen Verlage untergebracht. In der oberen Etage die Erwachsenen-Literatur und unten auch nochmal zusammen mit den Kinder- und Jugendbüchern. Das sollte für die erste Orientierung reichen. Alles kann man am ersten Tag sowieso nicht sehen.

Das Forum beherbergt neben der ARD-Bühne, auf der sich regelmäßig bekannte und wichtige Leute niederlassen, immer auch das Gastland. Dieses Jahr war das Indonesien. Der größte Inselstaat der Welt warb mit Sprüchen wie „Island of Imagination“ und „Island of Illumination“ und setzte diese grandios in der Hallengestaltung um. Die Halle des Gastlandes war abgedunkelt. Von der Decke hingen viereckige, sanft in Grün- und Blautönen beleuchtete Röhren bis fast auf den Boden. Es wirkte wie ein dichter Wald. Dazwischen fanden sich kleine Vitrinen und Tische, auf denen antike und aktuelle Bücher des Landes ausgestellt wurden: Kleine Inseln der Literatur. Es herrschte eine andächtige Ruhe, obwohl Menschen umherliefen und sich unterhielten. Nur einen Schritt aus der Halle heraus und selbst dieser weniger bevölkerte Bereich der Messe wirkte laut.
Nach einem kurzen Treffen aller Buchmesser war der erste Tag auch schon vorbei. Unsere Füße dankten uns jeden Sitzplatz, den wir ergattern konnten.

Donnerstag, 15. Oktober: 10:00 Uhr

Die anderen waren noch nicht da, denn ihr Weg zur Messe war weiter als meiner. So musste ich erst mal allein auf der Messe umherstreifen. Dem Morgen widmete ich ganz Halle 3. Dort war gerade das morgendliche Gespräch „Lesart“ von Deutschlandradio Kultur im Gange. Zu Gast war – neben Richard David Precht, Lena Gorelik und Jenny Erpenbeck – auch Paul Maar, der auf die Eingangsfrage, ob er wisse, wie viele Schulen mittlerweile nach ihm benannt sind, lächelnd antwortete: „Ja. 14 Schulen und ein Kindergarten.“
Neben dem Buch „Der Galimat und ich“ (Oetinger, 2015), das schon auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse vorgestellt wurde, sprach Maar auch über den neuen Sams-Band „Ein Sams zu viel“ (Oetinger, 2015). Keine Fortsetzung der bekannten Geschichten, wie er betonte, sondern vielmehr eine Ergänzung. Denn hier geht es nicht um Herr Taschenbier und sein Sams, sondern darum, wie es zur Hochzeit von Frau Rotkohl und Herr Mohn kam.

Leseproben sind verzichtbar

Schließlich: Mein erster offizieller Auftritt als Vertretung des Bücherstadt Kuriers gegenüber einem Verlag. Frau M. von Kiepenheuer & Witsch gab mir einen kleinen Ausblick auf die Neuerscheinungen im Frühjahr 2016. Mehr darf noch nicht verraten werden. Nur so viel: Ich freue mich schon darauf, wenn ich ein paar dieser Bücher lesen darf.
Nach diesem Termin folgte ein weiterer Rundgang, der mir ein paar Leseproben zutrug. Mit diesen sind die Verlage jedoch sparsam geworden. Die meisten findet man mittlerweile nur noch online. Auch wenn ich das anfangs schade fand, hat sich meine Meinung geändert. Denn mal ehrlich: Eine Tasche voller kleiner Leseproben hat auch ihr Gewicht, das man nicht den ganzen Tag herumtragen möchte und hat noch dazu einige Bäume gekostet. Und eine Werbetasche, aus der die Prospekte und Werbegeschenke fast herausquellen, macht nicht gerade einen professionellen Eindruck. Das meiste davon landet am Ende eh im Müll. Wieso also mitnehmen?

Tag der großen Namen

Beim Mittagessen hörte ich einem Gespräch auf der ARD-Bühne zu und erfuhr erstaunt, dass der ehemalige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert nicht nur Sachbücher, sondern auch schon mehrere Krimis geschrieben hat. Der neuste Band heißt „Das Schloss in der Normandie“ und ist im Verlag Hoffmann und Campe erschienen. Schließlich fiel mir auf, dass am Tisch schräg gegenüber der Hörbuch-Sprecher Oliver Rohrbeck (bekannt geworden, durch seine Rolle als Justus bei den „Drei ???“) saß. Als auf dem Weg zu den anderen Buchmessern in Halle 4 auch noch Helge Schneider an mir vorbei lief, erklärte ich diesen Tag zum Tag der großen Namen.

In Halle 4 lauschten wir Buchmesser einer Diskussion der indonesischen Science-Fiction-Autoren Djokolelono und Tere Liye und hatten unseren Spaß dabei. Mehr darüber wird Fußnotarin Natalie noch berichten. Anschließend verschlug es mich erneut zum Blauen Sofa. Diesmal hatte dort Isabell Allende Platz genommen. „Der japanische Liebhaber“ (Suhrkamp, 2015) erzählt ähnlich wie „Das Geisterhaus“ (Suhrkamp, 1984) nicht nur die Geschichte der Hauptfiguren, sondern auch die Geschichte einer Epoche.

Bücherhorterin Claudia dagegen zog es in eine andere Richtung. Als großer Hai-Fan hatte sie den Stand der Meeresschutzorganisation Sharkproject International e.V. natürlich sofort entdeckt: Mit vielen Hairepliken und in maritimer Optik bewarb die Organisation nicht nur ihre vielfältigen Buchveröffentlichungen, allem voran das interaktive Buch „Blind Dates“ vom Gründer und Präsidenten der Organisation Gerhard Wegner, sondern verdeutlichte auch, was für eine Kraft in Büchern stecken kann. Die Kraft, für die Erhaltung aussterbender Arten zu kämpfen.

Der Homo Sapiens Buchmessus

Etwas später folgte am Blauen Sofa großes Stühlerücken. Aufnahmeleiter, Kameraleute und Beleuchter bereiteten alles eifrig vor für eine Diskussionsrunde zu der Frage, ob man Astrid Lindgrens Werk nach Erscheinen drei neuer Bücher anders betrachten müsse. Astrid Lindgrens „dunkle Seite“ – wie in der Diskussion ihre Nachdenklichkeit und ihre ersteren Schriften einmal genannt wurden – ist jedoch auch vorher nicht unbekannt gewesen. Die drei neu erschienenen Bücher sind: „Die Menschheit hat den Verstand verloren. Kriegstagebücher 1939-1945“ (Ullstein, 2015), „Astrid Lindgren. Ihr Leben“ von Jens Andersen (Deutsche Verlags Anstalt, 2015) und „Deine Briefe lege ich unter die Matratze. Ein Briefwechsel 1971-2002“ von Astrid Lindgren und Sara Schwardt (Oetinger, 2015).

Zum Abschluss des Tages versammelten sich die Buchmesser noch einmal. Wir gingen zum Empfang der unabhängigen Verlage und beobachteten ein typisches Verhalten des Homo Sapiens Buchmessus. Die unabhängigen Verlage sind in einer Halle untergebracht, in der es meistens eher ruhig zugeht. Es sind dort weniger Menschen unterwegs als z.B. in Halle 3. Nun war da aber ein Empfang, jedoch nur in einem Gang. Während die anderen Gänge genauso leer – wenn nicht gar noch leerer – waren wie zuvor, quoll der Empfangs-Gang schier über. Ein Durchkommen war unmöglich. So bogen wir ab und kamen schließlich an einem kleinen Stand vorbei, der faszinierende Buchskulpturen ausstellte. Aus dem einen Buch schaute ein Marder hervor und ein anderes war halb in eine Koralle verwandelt. Die Buchobjekte stammen vom Künstler Martin Schwarz, mit dem wir uns eine Weile unterhielten. Über diese und andere Werke von ihm wird demnächst noch ein Bericht folgen. Wer mag, kann sich aber hier schon mal einen ersten Eindruck holen.

Freitag, 16. Oktober: 10:30 Uhr

Dieselbe Messe. Dieselben Gänge. Und wieder Neues entdeckt. Verlage und Bücher, an denen ich bestimmt schon dreimal vorbeigelaufen war. Endlich fand ich auch die Antiquariatsmesse, nachdem ich zwei Tage danach gesucht hatte.
Erste Veranstaltung dieses Tages war für mich ein Vortrag zur Machbarkeit einer Mondbesiedelung von Dr. Nebel. Rechtzeitig zur 19. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers mit dem Thema „Science Fiction“ wird auch zu diesem Vortrag noch ein Bericht erscheinen. Währenddessen lauschten die anderen einem Gespräch der Süddeutschen Zeitung mit Kerstin Gier, deren Silber-Trilogie nun mit „Silber – Das dritte Buch der Träume“ (Fischer FBJ, 2015) abgeschlossen ist. Nach dem Gespräch und der anschließenden Signierstunde wussten die drei Buchmesser nur Positives über Buch und Autorin zu berichten.

Bücher, Bücher, Unterschriften…

Wieder einmal fanden sich fast alle Buchmesser zusammen, nur Bücherhorterin Claudia ist an einem Stand hängen geblieben und konnte sich nicht lösen. So eilten denn drei Bücherstädter zum Stand des Carlsen Verlags, wo der britische Illustrator Jim Kay die von ihm bebilderte Neuausgabe von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ signierte. Natürlich hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Während wir anstanden, blickten wir natürlich in die benachbarten Bücherregale. Eines der ausgestellten Exemplare verhöhnte uns Wartende gnadenlos mit seinem Titel: „gehen, immer weiter“ (Thienemann, 2015). Aber schließlich kamen wir doch schneller voran als gedacht und erhielten Buch und Unterschrift. Mit typisch britischer Höflichkeit bedankte sich Jim Kay sogar bei den Anstehenden fürs Warten. Dabei nimmt man doch für schöne Bücher jede Wartezeit in Kauf.
Direkt im Anschluss folgte ein weiterer Höhepunkt: Kai Meyer las aus dem zweiten Band von „Die Seiten der Welt“ (Fischer Jugendbuch, 2015) und signierte diesen auch gleich im Anschluss. Gute Nachrichten für alle, die wissen wollen wie es weiter geht: Der dritte Band ist „so gut wie fertig“. Meyer sagte, er werde das Manuskript „in den nächsten Tagen“ abgeben, sodass Teil drei rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse 2016 erscheinen könne.

Mit diesen Eindrücken gingen die Fachbesucher-Tage zu Ende. Sätzchenbäckerin Daniela hat sich am Sonntag auf die Messe getraut und sie in ganz anderem Licht erlebt:

Kaufen oder nicht kaufen!?

Schon im Parkhaus begann der Rummel. Ein Auto nach dem anderen. Dann der überfüllte Shuttlebus. Zum Glück haben die meisten Besucher ihr Ticket. Also rein ging‘s in die Buchmesse und in die überfüllte Halle 3. Es war Sonntag und damit einer der beiden Tage, an denen die Buchmesse für das normale Publikum geöffnet war – und das merkte man direkt. Es waren viele Familien mit Kindern da und alle schrieben sich durch die Messegänge oder tummelten sich vor Lesebühnen. Ihre dritte Lieblingsbeschäftigung an diesem Tag würde ich erst später herausfinden.
Denn lange hielt man es in den vollen Hallen nicht aus. Ein kurzer Abstecher über den Messeplatz offenbarte unzählige Essensbuden. Von dort aus ging es auch in die anderen Hallen. Hier befand sich die andere Frankfurter Buchmesse: Die internationalen Verlage. Während man auf dem Gang noch meinte, gleich wieder Gedränge vor sich zu haben, erwarteten einen hier leere Gänge, aber leider auch leere Stände. An vielen standen nur noch Regale und Stühle. Vereinzelt lagen dort noch Bücher.

Eine Geistermesse?

Die Hallen wirkten zunehmend verlassener und als ich an dem Stand von Penguin Books vorbeikam, der aus einer Landschaft von leeren Tischen und Stühlen bestand, wusste ich auch, warum. In der Mitte des Standes befanden sich Tische, auf denen sich Bücher stapeln. Daneben ein Tresen mit Mitarbeitern und unzählige Leute, die sich durch die Wühltische schoben. Bald war klar: Hier wurde gekauft und das reichlich.
In der dritten Etage entdeckte ich schließlich eine noch verlassenere Halle. Die Schilder munkelten, dass sich hier Literaturagenten befanden. Gesehen habe ich aber keinen. Ich vermutete, dass sie sicher genug damit zu tun hatten, die Literatur vor Bösewichten zu schützen. Ein weiterer Blick auf die Karte verriet mir, warum Halle 3 eigentlich so voll war: Es war die einzige Halle für deutsche Bücher und Verlage. Also wieder rein ins Getümmel.

Karamellbonbons und die Freude über Bücher

Mittlerweile war es Nachmittag und etwas leerer geworden. Doch auch hier ging es nur um eins: Kaufen! Die Leute trugen ihre Bücher zu den Kassen, als könnte man nirgendwo sonst Bücher kaufen. Beinahe ein Viertel der Halle bestand aus Merchandising-Ständen. Dort konnte man Wein, Schneidebrettchen, Tassen, Postkarten und vieles mehr kaufen.
Man sagt, die Frankfurter Buchmesse sei wirtschaftlicher ausgerichtet als andere Buchmessen. Das gilt sowohl für Geschäftsbeziehungen als auch für diesen Sonntag. Hätte ich keine gratis Karamellbonbons bekommen, so hätte ich frustriert nach diesem Tag aufgegeben. Meine Träume von Literatur waren zerstört. Doch als ich dann wieder die Freude in den Gesichtern der Leute sah, als sie Unterschriften von bekannten Schriftstellern bekommen und Bücher gekauft hatten, wusste ich wieder, dass Bücher trotz der Wirtschaftsindustrie, die dahinter steht, etwas Tolles sein können.

Daniela & Ronja

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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