Foto © Matthias KabelJedes Jahr am 5. Dezember war es erneut soweit. Das Highlight eines jeden Jahres. Weihnachten? Schön. Sommerferien? Entspannend. Aber kein zweiter Tag war so spannend, lustig und auch adrenalitreibend für mich als Kind wie der Krampustag.
In den Tiroler Bergen aufgewachsen, geht eben nichts über Brauchtum. Und dort ist Krampus auch weiterhin der ständige Begleiter vom Nikolaus. Guter Cop, böser Cop, sozusagen. War man brav, wurde man vom Nikolaus gelobt, falls nicht, hat schon der Krampus mit der Kette gerasselt und mit der Rute gedroht. Zur Erklärung: Wahrscheinlich kommt unser Krampus einem Knecht Ruprecht am nächsten. Von Kopf bis Fuß in Fell gekleidet, mit höchst aufwendigen, handgeschnitzten Holzmasken, die Teufelsfratzen bezeichnen, großen Hörnern und riesigen Schellen und Glocken, die schon mal bis zu 50 kg wiegen können, so war ein Krampus ausgestattet. Dazu einen „Buckelkorb“, Ketten und eine Rute und die Schauergestalt für Kinder war perfekt.
Er kam jedes Jahr in die Schule. Oh, wie nervös wir waren, schon am 4. Dezember. Wir waren ganz leise, jedes Geräusch forderte einen Aufschrei und am Ende waren es sogar die „Nicht-Geräusche“, die irgendjemand doch gehört hatte. In der Turnhalle mussten sie sein, die Krampusse, die konnte man ja auch so gut hören, über zwei Stockwerke und massive Betonmauern hinweg. Kinder waren erfinderisch. Und ich möchte nicht wissen, wie wir unseren Lehrern an diesen Tagen auf die Nerven gegangen sind mit unserer Schreckhaftigkeit. Heute stehe ich auf der anderen Seite der Front und ja… es nervt.
Das allerdings war noch nicht einmal das Highlight. Der Abend war viel besser. Der 5. Dezember war „Tuifltag“ oder „Krampustag“, also der Tag der Krampusse. Eigentlich Abend, denn am Tag ließen sich die Jungs (die Dorfjugend, die stark genug war, diese schweren Masken und Kostüme zu tragen). Ich war eine von den wenigen Mädchen, die nicht weinend und erschreckend hinter den großen Brüdern oder dem Papa hängen geblieben sind. Nein, ich war draußen, an der Front, mit den Jungs. Krampusse ärgern. Das war ein Sport für die, die noch nicht selbst Krampus sein durften. Wir rannten ihnen hinterher (bis sie uns entdeckten), ärgerten sie (wer da wohl wen geärgert hatte), schrien ihnen zu und rannten dann wieder weg. Nicht selten wurde einer von uns erwischt und dann ordentlich um Schnee vergraben (von Kopf bis Fuß versteht sich). Wir versuchten, ihnen die Ruten zu klauen und ja, hin und wieder gab es auch mal einen blauen Fleck. Aber es war jedes Jahr den Schreck, den Spaß und das Adrenalin wert.
Ich komme vom Dorf, 500 Einwohner inklusive Schafe und Kühe. Daher kennt jeder jeden. Und den meisten Spaß hatte man immer dann, wenn die Krampusse unsere Eltern kannten, sogar befreundet waren (was ja oft der Fall war) und es dann fast schon zum guten Ton gehörte, die Kinder dieser „Freunde“ zu ärgern. Dadurch hatte der ein oder andere Krampus schon auch mal die Erlaubnis, in Wohnungen zu gehen und hinter Kindern herzurennen, egal, wohin die gingen, rannten oder versuchten, zu flüchten. Dahingehend blieb ich verschont, meine Mutter war dagegen, sodass die Krampusse immer nur meinen Vater zum Quatschen im Stall besucht hatten. (Ob sich die Kühe da gefreut hatten, wage ich zu bezweifeln, aber zumindest war die Milch nicht sauer geworden).
Allerdings sollte die Rache erst Jahre später kommen, als ich schon zu alt war, um noch cool zu sein und hinter Krampussen herzurennen. Immerhin ging ich mit denen, die sich in die Masken warfen, wochenends aus. Dumm nur, dass diese Jungs genau wussten, wann ich im Schulbus sitze und nach Hause komme (natürlich, unser Dorf hat ja nur eine Bushaltestelle). So kam es dann, dass eine Freundin und ich – die natürlich die einzigen beiden im Bus waren – am Krampustag von insgesamt 10 solchen dunklen Gesellen erwartet wurden. Diese kannten natürlich den Busfahrer gut und stiegen vorne ein, baten ihn dann (er lachte sich natürlich kaputt), die hintere Bustür geschlossen zu lassen. Fünf Mann (nein Krampusse) rein in den Bus. Durch deren kleines Sichtfeld schaffte ich es halb, zu entkommen, da ich mich zwischen zwei Sitze duckte und die fünf so direkt zu meiner Freundin rannten. Ich dachte, ich wäre gerettet, als ich die Krampusse hinter mir ließ und aus dem Bus sprang. Tja, wer zählen kann, ist klar im Vorteil. Da warteten dann nämlich die anderen fünf. Das Ende vom Lied.
Ich steckte im Schnee bis über die Haarspitzen, meine Freundin wurde aus dem Bus bugsiert und in den großen Rücken-Flechtkorb gesteckt, wo er dann einem Krampus auf den Rücken gepackt wurde und der eine Runde mit ihr am Dorfplatz gedreht hatte. Nass und zwischen Horror und Lachen gefangen, entkamen wir dann nur in das Auto einer Mutter (wobei das Auto auch noch ordentlich durchgeschüttelt wurde, ehe wir fahren konnten). Und dann bemerkte ich, dass mein jüngerer Bruder, der noch cool genug war, die Krampusse alljährlich zu ärgern (mittlerweile ist er auch einer der Maskierten), am Eingang zur Kirche stand – immerhin durften die Zottelwesen da nicht hin – und sich scheckig gefreut hatte, dass es nun mal die ältere Schwester und nicht ihn erwischt hatte. (Er sollte die Nacht aber auch nicht unbeschadet hinter sich bringen).
Ganz egal, was man darüber sagt, ob manche Angst haben oder meinen, es wäre zu brutal. Nach wie vor sind das eine der schönsten und spannendsten Kindheitserinnerungen und jedes Jahr, wenn ich heutzutage meinen Schülern von diesem speziellen Tag erzähle, sitzen sie da mit großen Augen und offenem Mund, lachen mit mir oder zittern fast vor Spannung. Schon allein das ist es wert, jedes Jahr aufs Neue den Krampustag für eine Erzählstunde auszupacken.
Krampustag muss superwitzig sein! Hier in Norddeutschland gibt es sowas leider nicht…
Ja, ich kannte das vorher auch nicht. Lebe auch in Norddeutschland, da bekommt man das nicht so sehr mit. Aber wirklich interessant, was für Bräuche es gibt. 🙂 [Alexa]
Der Krampustag ist für Kinder der Stress pur. Man versucht sich tagsüber zu verstecken und abends dem Krampus nicht zu begegnen. Will‘ man aber den
Nikolaus sehen und seine Geschenke abholen, dann kommt man um den Krampus nicht herum. Ruck-Zuck hat er dich mit seinen Ketten gefangen und wird dich in den Sack stecken. Jetzt kann dich nur noch Nikolaus mit seinem großen Buch retten. Dieser Tag war in meiner Kindheit ein Horror.
Oh so was hab ich mal völlig unbedarft erlebt … ich kannte den Brauch damals gar nicht und hatte wirklich Angst vor diesen Gestalten .. und das, obwohl ich damals schon Anfang 20 war 🙂