kopfschnee treibt
von westen. bring mir den begriff von zeit.
die vögel sitzen aufgeplustert dick auf dem
balkon: gelbbauch rote käppchen. amseln
herrschen übers futterhaus.
kranke bäume fallen langsam auf dem bergzu tode. der märz ist schwer zu leben. ein
betäubtes taubenpaar verliebt sich übern
ast. äugt zu den fernsehschüsseln und wählt
wiederum die dauerehe.
wann wird dienstag nach dem winter sein?
[…]
Dass Evelyn Schlag experimentierfreudig ist, beweist sie in ihrem Lyrikband „Verlangsamte Raserei“, der 2014 im Paul Zsolnay Verlag erschien. Ihre Gedichte laden dazu ein, aufzubrechen, sich auf eine Reise und Suche zu begeben und die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Evelyn Schlag versucht die Regeln der Sprache zu brechen: Ihre Texte sind durchgängig in Kleinschreibung verfasst, kein einziger Großbuchstabe findet sich in ihnen. Eine gewisse Rhythmik wird durch Zeilen und (Doppel-)Punkte vorgegeben, doch lässt uns die Autorin durch Weglassung von weiterer Interpunktion die Freiheit, das eigene Tempo zu finden. „Verlangsamte Raserei“ scheint hier ein treffendes Thema zu sein – jeder ist dazu aufgefordert, die eigene Stimme im Kopf zu finden und den Klang des Textes mitzubestimmen. Da Länge und Anzahl der Zeilen wechseln und sich der Ton der Texte verändert, muss man sich immer wieder auf Neues einlassen. Genauso vielfältig sind auch die Themen: Alltag, fremde Kulturen, Reisen. Man ist in einem Strudel der Zeit, in dem man der Bestimmer ist: sei es die Richtung, der Ort, die Interpretation eines Textes. Und wenn einem der Spaziergang auf den Zeilen zu langweilig wird, kann man zwischen den Zeilen gehen und noch viel mehr sehen.
Unterhaltsam und abwechslungsreich sind Evelyn Schlags Gedichte. Mal schreibt sie aus Frauen-, mal aus Männersicht. Mal endet ein Gedicht pointiert, mal offen und scheinbar fragmentarisch. Sie schafft dabei eine Balance aus Spielerei und Ernsthaftigkeit, die Spaß macht.
Verlangsamte Raserei, Evelyn Schlag, Paul Zsolnay Verlag, 2014
Ist mir noch nie untergekommen, diese Lyrikerin – aber schon die Verse, die ihr zitiert – beeindruckend. Werde ich mir näher ansehen. Danke fürs Vorstellen!
Ich kannte die Lyrikerin bisher auch noch nicht. Schön, was man in der Stadtbücherei Bremen so findet! Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und bin gespannt auf deine Meinung. (Alexa)
schließe mich birgit an. sehr schöne verse!