Erst skrupellos, dann tot: Buchstaplerin Maike erkundet einen Teeladen, der ruhelose Geister besänftigt und queere Liebe aufblühen lässt. Aber kann „Das unglaubliche Leben des Wallace Price” mit T.J. Klunes vorherigem gefeierten Roman „Mr. Parnassus’ Heim für magisch Begabte” mithalten?
Eiskalt zu sein bringt ihm am Ende doch nichts: Anwalt Wallace Price fällt tot um und erwacht als Geist bei seiner eigenen Beerdigung. Sehr unangenehm für einen so vielbeschäftigten Mann. Dass sich ihm eine fremde Frau als sein Sensenmann vorstellt und ihn mitnehmen will, hat keinen Platz in seinem Kalender. Leider hat er keine Wahl und folgt Mei – ausgerechnet in den kitschigsten Teeladen aller Zeiten. Geführt wird er von Hugo, der Wallace als „Fährmann” nicht nur dabei helfen soll, weiterzuziehen, sondern leider auch ziemlich gut aussieht. Zwischen den Phasen der Trauer über seinen eigenen Tod muss Wallace erkennen, dass er sein Leben nicht wirklich gut gefüllt hat. Was ist mit Freundschaften? Und mit Liebe?
„‚Habe ich denn eine Wahl?‘
‚Im Leben? Immer. ‘
‚Und im Tod?‘” (S. 44)
Die Charakterentwicklung des skrupellosen Anwalts vollzieht sich fast zu schnell. Zu Beginn ist seine Rolle klar: Sein Job steht über allem und die einzigen Gefühle, die man ihm entgegenbringen darf, sind Angst und Anbetung. T. J. Klune spielt mit der Unsicherheit, ob es tatsächlich Wallace‘ Persönlichkeit oder eine Maske ist. Bald wird klar: Es ist nicht der Tod, der ihn verändert, sondern das Ausbrechen aus einem festgefahrenen Leben. So lässt sich seine Geschichte als Metapher verstehen, dass wir selbst aus unhinterfragten, erstarrten Systemen ausbrechen können.
Was zunächst sehr philosophisch und deprimierend klingt, wird durch viel Situationskomik ausgeglichen: Ein ungestümer Geisterhund, ein schlagfertiger Opa und Wallace ‘ zahlreiche Versuche, endlich Kontrolle über seine Geisterkräfte zu bekommen, machen da nur den Anfang:
„Wallace überlegte, was es über sein Leben (und seinen Tod) aussagte, dass er nun, nur mit einem Bikini bekleidet, in einer Küche in einem windschiefen Haus mitten im Nirgendwo stand.” (S. 134)
Das Worldbuilding bleibt den ganzen Roman über vage und auch einige Auflösungen wirken erzwungen oder gehetzt. Das trübt ein wenig die beiden großen Motive, so als hätte sich Klune zu viel auf einmal vorgenommen. Es geht in erster Linie um Trauer, aber auch um Liebe aller Art. Wie vorhersehbar sich die Romanze entwickelt, stört die Lektüre nicht: Queere Liebe ist keine angedeutete Nebenhandlung, sondern verdient im fantastischen Setting einen Platz im Rampenlicht.
Neben dem Licht muss es auch Dunkelheit geben und Klune spart schmerzhafte Szenen nicht aus: Durch die Geister werden der Schmerz, die Wut, die Verwirrung und Verzweiflung über den Tod lebendiger, als würden sie durch Hinterbliebene vermittelt.
„‚Bevor ich starb. Die Dinge hätten anders laufen können. Wir hätten Freunde sein können.‘ Es fühlte sich an wie ein großes Geheimnis, etwas Großes, Verheerendes.
‚Wir können jetzt Freunde sein.‘” (S. 182)
T.J. Klune weiß, was er liefern kann: seelenwärmende Sätze, seltsamen Humor, queere Liebe und happy ends auf die ein oder andere Art. Was bleibt ist die Botschaft: Man findet Familie an den unerwartetsten Orten und auch wenn man sich selbst verliert, ist jemand da. Bis dahin muss man das Beste daraus machen, und man muss es nicht allein tun.
Das unglaubliche Leben des Wallace Price. T.J. Klune. Aus dem Amerikanischen Englisch von Michael Pfingstl. Heyne. 2022.
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