Drei Debüts für den Herbst

von | 07.12.2025 | Belletristik, Buchpranger

Worteweberin Annika liebt es, neue literarische Stimmen zu entdecken. Diese drei Debüts und ihre Autor*innen haben sie im Herbst 2025 besonders in ihren Bann gezogen.

Sophia Klink: „Kurilensee“

Eine Gruppe Wissenschaftler*innen verbringt den Sommer seit Jahren auf einer Forschungsstation am Kurilensee in Kamtschatka, zählt Mikroorganismen, Lachse und Bären. Das Leben auf der Station ist karg. Inmitten giftiger Pflanzen ist die Nahrung rationiert, nur selten landet ein Hubschrauber. Jedes Jahr kommen weniger Lachse an, jedes Jahr nähert sich das Ökosystem mehr dem Kollaps. Jetzt müssen die Forscher*innen eine Entscheidung treffen: Soll der See gedüngt werden, um die Lachsbestände zu retten? Oder würde das nur eine noch größere Katastrophe heraufbeschwören?

Sophia Klink, selbst Mikrobiologin und Poetin, stellt in ihrem Roman die sachliche Wissenschaftssprache und poetisches Naturewriting gegenüber und bringt beide zusammen. Es gelingt ihr, die Poesie der Albumine und Aminosäuren eines Mückenstichs heraufzubeschwören oder den Zauber des Mikroskopierens in Worte zu fassen. Dabei kreist der Text um die Frage: Was sind die Grenzen und Reibungspunkte der Forschung? Dazu geht es um die Natur und den Klimawandel, unsere Rolle als Menschen und die der erzählenden Frau in der Gesellschaft und der Wissenschaft. Sophia Klink ist mit „Kurilensee“ ein beeindruckendes Debüt gelungen!

Leon Engler: „Botanik des Wahnsinns“

Seit vielen Jahren begleitet den Erzähler in Leon Englers Debütroman die Furcht davor, in der Psychiatrie zu landen, wie seine Mutter, sein Vater, sein Großvater… Tatsächlich steht Leon bald vor den Türen einer Psychiatrie, allerdings als studierter Psychologe. Während er die verschiedenen Stationen der Psychiatrie durchläuft, arbeitet er sich an seiner Familiengeschichte ab, durchleuchtet die Beziehung zur Großmutter, zum Vater und zur Mutter und versucht, seine Prägungen und die Vergangenheit zu fassen zu bekommen, von der nur drei Kartons voll Müll in einem Lagerraum in Wien übriggeblieben sind: „Meine Familie war ohne Erzählung. Jetzt, da ich etwas aufschreibe, rückt sie ins Licht. Es war ein weiter Weg aus der Sprachlosigkeit.“

Englers Ton ist oft wissenschaftlich-sachlich und emotional distanziert – er geht in die Tiefe, ohne in Schmerz und Leid zu baden. Die Erzählung springt zwischen der Gegenwart des Erzählers und der Familienhistorie. Engler erzählt ungeschönt von persönlichen Misserfolgen, gesellschaftlichen Missständen, toxischen Beziehungen, Sucht und Abhängigkeiten. Psychische Krankheiten sind in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, aber Engler führt den Leser*innen vor Augen: Sie betreffen sehr viele! Dem studierten Psychologen und (bisher) Theaterschriftsteller gelingt es, Reflexion und Erkenntnis mit einer starken, frischen literarischen Stimme auszukleiden.

Anna Maschik: „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“

Schon der Titel von Anna Maschiks Debütroman sticht heraus und auch die literarische Qualität, mit der die junge Wienerin erzählt, überzeugt ab der ersten Seite. „Wir betreten die Geschichte durch die Innereien eines Schafes“, erklärt die Erzählerin Alma, die uns mit klarem Blick durch den Text führt. In dem geht es weniger um Schafe, sondern vor allem um eine Familie über vier Generationen hinweg. Alma zeigt, wie bestimmte Muster sich in dieser Familie wiederholen – neben dem Auftauchen der Hebamme Anna und der Leichenfrau Nora auch das Ungleichgewicht zwischen Geschwistern, das Gärtnern, die Gewalt.

In kurzen Kapiteln spielt Anna Maschik mit verschiedenen Formen: Sie stellt Szenen aus zwei Perspektiven gegenüber, zum Beispiel das Kennenlernen der Urgroßeltern Georg und Henrike auf einem Volksfest und formuliert immer wieder lange und kurze Listen zu Themen wie „WARUM ES MICH GIBT“ oder „WAS DIE GROSSMUTTER KOCHT“. Nach und nach halten immer mehr magische Elemente in den Text Einzug, die Auskunft über das geben, was in der Familie ungesagt bleibt. Durch die hohe Schlagzahl, die Leerstellen und die abwechslungsreiche Form ist Anna Maschiks „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ ein rasantes, erkenntnisreiches Lesevergnügen.

  • Kurilensee. Sophia Klink. Schöffling & Co. 2025.
  • Botanik des Wahnsinns. Leon Engler. Dumont. 2025.
  • Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten. Anna Maschik. Luchterhand. 2025.
Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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