Was wäre, wenn … wir jetzt nicht handeln? Diesen Gedanken spinnt Jasmin Schreiber in ihrem Roman „Endling“ weiter. Klimawandel, Artensterben, Rechtsruck, Frauenfeindlichkeit und das alles in zeitlicher Nähe, im Jahr 2041. – Von Satzhüterin Pia
Zoe ist Biologin und forscht weit entfernt von ihrer Familie an Käfern. Die Welt ist nicht mehr die, wie wir sie kennen. Der Klimawandel ist deutlich fortgeschritten und Artensterben steht an der Tagesordnung. Zu Hause lebt noch ihre Mutter mit der deutlich jüngeren Schwester Hanna und der Tante Auguste, der Schwester des verstorbenen Vaters. Wie stark die Probleme ihrer Familie sind, ahnt Zoe nur – der letzte Besuch ist bereits Jahre her. Doch dann entscheidet sich ihre Mutter dazu, in eine Reha zu gehen (das inoffizielle Stichwort lautet Alkohol) und Zoe springt ein, sich um ihre 16-jährige Schwester zu kümmern. Zurück zu Hause erkennt Zoe erst das Ausmaß der Zustände, in die die Familie nach dem Tod des Vaters geraten ist.
Roadtrip mit Startschwierigkeiten
Die einst so abenteuerlustige und Zoe tief verbundene Tante Auguste lebt inzwischen in einem erschreckenden Zustand, verlässt die Wohnung nicht mehr und hat panische Angst vor allem, was ihr Krankheiten einbringen könnte, nachdem ihr Bruder qualvoll bei einer der letzten Pandemien verstarb. Als die beste Freundin von Auguste aber verschwindet, machen sich die drei auf den Weg, Sophie zu finden – mit deutlichen Anlaufschwierigkeiten, dank der Angstzustände von Auguste.
So bauen sich einige Themen nach und nach auf. Beispielsweise die Frauenfeindlichkeit, die zwischen den Zeilen schon früh erkennbar ist, aber mit der Zeit immer konkreter und nachdrücklicher wird. Bis deutlich wird, dass das Ausmaß sogar die Leben einiger Frauen bedroht. Dagegen sind die Themen Klimawandel und damit einhergehend das Artensterben von Anfang an unmissverständlich. Pandemien gibt es immer wieder, vor einigen Jahren auch ein großes Baumsterben.
Dystopie mal anders
Schreiber bricht im Roman diese großen, schwerwiegenden und unbequemen Themen auf kleine, nahbare Punkte herunter. Die Welt ist insgesamt eine eher kleine, in die uns die Autorin mitnimmt. Neben Zoe, der sympathischen Biologin und Hauptfigur, begegnen wir nur Hanna und Tante Auguste, und wenigen Nebenfiguren. Dadurch werden die Themen erlebbarer und greifbarer aufbereitet. Wie wirkt sich die frauenfeindliche Regierung aus? Warum arbeitet der schwule Nachbar nicht mehr als Arzt? Warum verschwindet eine renommierte, aber für die Politik unbequeme Frau wie Sophie?
Spannender Genre-Mix
Der Roman startet langsam, baut die Spannung auf, nimmt zwischendurch Tempo raus und gibt dann wieder etwas mehr Gas. Sogar gruselig wird es – zumindest ein kleines bisschen. „Endling“ ist wohl am ehesten eine Dystopie, aber auch eine Roadnovel mit Gruselelementen und einem Hauch Übernatürlichem. Erklärt wird nicht viel, das Ende eher offen – aber dazu schreibe ich nicht mehr. Lest einfach selbst! Eine gewisse Ähnlichkeit durch den Mehrgenerationen-Road-Novel-Aspekt kann man besonders zu „Marianengraben“, Schreibers Debüt, nicht leugnen. Darüber hinaus sind die Geschichten, das Setting und die Figuren aber sehr verschieden.
Beim Lesen hatte ich stark den Eindruck, dass sehr, sehr viel von der Autorin selbst in diesem Buch steckt. Von der Biologie (die Autorin ist selbst Biologin) bis hin zum Hund, der wie einer der Hunde von Jasmin Schreiber ein Podenco ist. Das wird nicht allen Lesenden auffallen, aber diejenigen, die ihr auf ihren Social-Media-Profilen folgen, die werden mit der Nase drauf gestoßen. Manches ist mir fast negativ aufgefallen, weil es mir zu viel Ähnlichkeit war, aber wenn man drüber hinwegsieht, ist es einfach ein gut lesbares, spannendes und auf vielen Ebenen auch erschreckendes Buch – hoffen wir mal, dass wir eine solche Zukunft, wie diese in zwanzig Jahren, noch abwenden können.
Übrigens: Große Liebe für die Eastereggs, denn auch hier gibt es wieder so einige Verweise auf die anderen Romane von Jasmin Schreiber.
Endling. Jasmin Schreiber. Eichborn Verlag. 2023.
Weiterlesen:
- Rezension zu „Abschied von Hermine“
- Rezension zu „Der Mauersegler“
0 Kommentare