Ein besonderer Autor wird 100 Jahre alt

von | 20.10.2023 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Am 20. Oktober 2023 wäre Otfried Preußler 100 Jahre alt geworden. Zur Feier des Tages hat Worteweberin Annika „Das kleine Gespenst“ in der Sonderausgabe zur Hand genommen und zurück in ihre eigene Kindheit geschaut.

In meinem Kinderzimmer gab es einen Kassettenspieler in Rot mit blauen und grünen Knöpfen. Während ich ins Spiel vertieft war, lief auf dem Gerät meistens eine Hörspielkassette. Sehr gerne hörte ich damals „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler, die Geschichte über eine Junghexe, die – anders als von ihr erwartet wird – freundlich und hilfsbereit ist. Außerdem gab es die Kassette „Das kleine Gespenst“. Die Plastikhülle, in der die Kassette steckte, war milchig trüb, sodass es so aussah, als flöge das Gespenst auf dem darunterliegenden Papierheft durch Nebel, bis ich das Papier herauszog. Aus irgendeinem Grund faszinierte mich diese Tatsache.

Auch die Geschichte selbst hörte ich immer wieder und fieberte mit dem kleinen Gespenst mit. Eines Tages wacht das Gespenst nicht wie sonst zur Geisterstunde, sondern tagsüber auf. Was für ein Glück! Immerhin wollte es schon immer die Burg Eulenstein bei Tag erkunden! Doch dabei stolpert das kleine Gespenst in eine Schulkasse hinein und wird von einem Sonnenstrahl getroffen: Von nun an ist es schwarz. Es flieht in den Burgbrunnen, landet in der Kanalisation und sorgt in der Stadt für Tohuwabohu! Nun ist es auf Hilfe angewiesen, um wieder zurück zur Burg zu gelangen, seine Farbe zurückzubekommen und das Rätsel zu lösen, warum es plötzlich tagsüber erwacht.

Frisch wie früher

Klar, in der Sonderausgabe, die ich jetzt in den Händen halte, steht die gleiche Geschichte wie damals. Auch der Text ist unverändert. Einige Wörter muss ich meinem Sohn heute beim Vorlesen erklären, entstand Preußlers Kinderroman doch schon 1966. Aber was macht das schon? Die Geschichte funktioniert noch heute und erzählt von Neugier, Hilfsbereitschaft und dem Vorstoß in eine neue Welt. Das kleine Gespenst begutachtet die Menschenwelt am Tag etwa wie Kinder, die in die Sphäre von Erwachsenen schnuppern wollen.

An die Buchausgabe, aus der meine Mutter damals vorlas, erinnere ich mich weniger als an die Kassette. Dieses Buch beinhaltete die Illustrationen von F. J. Tripp, die sich auch in der neuen Sonderausgabe finden, allerdings waren sie damals nicht farbig – bis ich einige von ihnen mit Buntstift anmalte. Die Koloration in meiner neuen Ausgabe gefällt mir und meinem Sohn heute ausgesprochen gut und sorgt dafür, dass er leichter zuhören kann. Ich liebe die besondere Aufmachung mit dem Scherenschnitt – dem kleinen Gespenst und dem Uhu Schuhu, die aus dem ausgestanzten Schlüssel hervorschauen. Besonders toll findet mein Sohn natürlich die Wandsticker der Sonderausgabe, mit denen wir das Kinderzimmer in eine Preußler-Geschichten-Welt verwandelt haben. Auf der Raufasertapete halten sie bisher sehr gut.

Otfried Preußler

Während ich mich an die bekanntesten Geschichten dieses Autors noch sehr gut erinnere, stelle ich fest: Über Otfried Preußler selbst weiß ich kaum etwas. Also befrage ich das Internet und erfahre: Preußler wurde am 20. Oktober 1923 in Liberec (früher Reichenberg) in der damaligen Tschechoslowakei geboren und verstarb im Jahr 2013. In seiner Jugend erzählte ihm seine Großmutter viele böhmische Volksmärchen, aus denen der erwachsene Preußler später seine Geschichten entwickelte. Bei Wikipedia lese ich, dass auch die Geschichte vom kleinen Gespenst von einer Erzählung der Großmutter inspiriert ist. Sie erzählte nämlich von einer Weißen Frau, die den Schwedischen General Torstenson aus dem Schloss ihrer Nachfahren verjagte. Und dieser General spielt auch in Preußlers Geschichte eine wichtige Rolle.

Nach dem Abitur kämpfte Preußler im Zweiten Weltkrieg und geriet für fünf Jahre in sowjetische Gefangenschaft. Danach studierte er Pädagogik und war viele Jahre als Schulmeister tätig (dass er auf diese Bezeichnung bestanden hat, kann ich in einem Interview nachlesen und tue ihm den Gefallen). Gleichzeitig und zuerst nebenberuflich schrieb er Stücke fürs Kinderradio, dann auch Romane. „Der kleine Wassermann“ wurde 1956 mit einem Sonderpreis zum Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Es folgten unter anderem „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“ und „Der Räuber Hotzenplotz“. Preußlers Geschichten spielen in magischen Welten und stellen wichtige Werte in den Mittelpunkt. Das, so glaube ich, sorgt auch dafür, dass Kinder die Geschichten heute noch so lieben.

Insgesamt entstanden 38 Bilder-, Kinder- und Jugendbücher, lese ich – nur einen Bruchteil davon kenne ich bisher. Es gibt also einiges nachzuholen. Meinen Sohn habe ich schon mal dazu anstiften können. Immerhin fragt er im Moment jeden Abend, ob wir im „Räuber Hotzenplotz“ weiterlesen können. Und das tun wir von Herzen gern.

Das kleine Gespenst. Otfried Preußler. Illustration: F. J. Tripp. Sonderausgabe zum 100. Geburtstag von Otfried Preußler. Thienemann. 2023. Ab 6 Jahren oder früher.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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