Ein Leben im Rausch

von | 08.02.2017 | Belletristik, Buchpranger

„Warum nicht mal wieder einen Klassiker?“, hat sich Worteweberin Annika gefragt, und zu Stefan Zweigs „Rausch der Verwandlung“ gegriffen.

Die 28-jährige Christine Hoflehner stammt aus niederen Verhältnissen, aus den Kriegsjahren ist sie allerlei Entbehrungen gewöhnt. Nun, 1926, lebt sie mit ihrer kranken Mutter auf dem Land, und wenn sie sich nicht um die Pflege oder den Haushalt kümmert, arbeitet sie in einem kleinen Büro als Postassistentin. Dort erreicht sie ein Telegramm der reichen, amerikanischen Tante, die sie in ein nobles Hotel in der Schweiz einlädt. Wie zu erwarten, findet hier die Verwandlung von Christine statt. Elegante Kleidung und eine neue Frisur müssen her, und vor den wichtigen Hotelgästen auch gleich noch eine neue Identität: Christiane van Boolen. Die blüht auf, ist lustig und verlebt verspätet eine Art Jugend zwischen den unbeschwerten Gästen. Doch als die Täuschung auffliegt, muss Christine zurück in ihr altes Leben, das ihr noch nie so sinnlos erschienen war.

Auf die Aschenputtelgeschichte im Hotelmillieu folgt in der zweiten Hälfte des Romans eine weitere Verwandlung, die schließlich ein unerwartetes Ende nimmt. Hier beschreibt Zweig die Verzweiflung der Armut, aus der es fast nur einen Ausweg zu geben scheint: den Freitod, den später der Autor selbst wählte. Für Christine eröffnet sich allerdings eine weitere, ebenfalls drastische Möglichkeit. Im Roman werden Christines Beweggründe sehr detailliert und psychologisch nachvollziehbar geschildert.

Stilistisch ist am Roman die adjektivreiche Sprache auffällig, die mit einer Liebe zum Detail einhergeht. Insbesondere auf den ersten Seiten des Romans, wenn die Ausstattung des Postbüros detailreich und ausführlich beschrieben wird, ist dies bemerkbar. Wirkt der Stil zu Anfang noch gewöhnungsbedürftig, zeichnet er den Roman doch insgesamt aus. Neben anderen Werken von Stefan Zweig diente „Rausch der Verwandlung“ Wes Anderson außerdem als Inspirationsquelle und Vorlage für seinen Film „Grand Budapest Hotel“. Die Detailverliebtheit kann man auch in den Filmszenen wiederfinden – ebenso natürlich wie das Hotel, das im ersten Romanteil eine wichtige Rolle spielt.

Rausch der Verwandlung. Stefan Zweig. Fischer Taschenbuch. 2000.

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