Ein Spaziergang durch das Terrain Vladimir Nabokovs

von | 26.07.2016 | Kreativlabor

Nabokov_Übersetzung

Das Terrain ist eine wichtige Metapher im wissenschaftlichen Diskurs rund um das Werk Vladimir Nabokovs. Der russische Emigré-Literat in Berlin, der amerikanische Schriftsteller – er vereinigt viele Persönlichkeiten in sich, unter anderem auch jene des Lehrenden und des Übersetzers. Vladimir Nabokovs Werk als Übersetzer ist dabei, abgesehen von einer großen Ausnahme, nur wenig beachtet, und begleitet doch den Kurs seines Lebens. Elizabeth Beaujour geht gar so weit, zu erklären, „Nabokov‘s translations are of such prodigious extent and diversity that they must be regarded as a principal part of his life’s work.“[1]

Vladimir Nabokov wuchs mit den Sprachen Russisch, Englisch und Französisch auf und konnte die Sprachen in verschiedenen Konstellationen übersetzen. Nabokov begann relativ früh mit der Übersetzung, wobei er sich zu einem großen Teil auf Dichtung – das Spiel mit der Sprache – konzentriert.[2] Die Motive hierfür sind vielfältig und verändern sich im Laufe seines Lebens, unter anderem beeinflusst von seiner beruflichen Tätigkeit und Meinung als Schriftsteller.

Erste Schritte auf dem Terrain der Übersetzung

Zunächst war die Übung in den verschiedenen Sprachen, die er beherrschte, von Bedeutung. Nabokov war Sohn einer wohlhabenden russischen Familie, die vor den Konsequenzen der Russischen Revolution ins Exil flüchtete. Die Familie ließ sich zunächst in Berlin nieder, wo Nabokov erstmals unter dem Pseudonym „Sirin“ seine eigenen Werke zu veröffentlichen begann. Ein Faktum, das gerade in Bezug auf Nabokovs Tätigkeit nicht wenig Bedeutung trägt, ist, dass er, bevor er sich daran wagte, eigene Texte zu schreiben, bereits übersetzte.
Das erste Werk, das er vom Englischen in französische Alexandriner[3] übertrug, war Mayne Reids „The Headlss Horseman“ und später Lewis Carolls „Alice in Wonderland“ („Аня в стране чудес“/“Anja im Land der Wunder“) vom Englischen ins Russische. Nabokov bezeichnete gerade letzteres selbst als eine einfache, spaßige Aufgabe.
In diesem ersten sich-Ausprobieren am Übertrag von einer Sprache in die andere überführte Nabokov Alice auch in die russische Kultur, was sich etwa an ihrem Namen ablesen lässt. Später kritisiert er diese Praxis stark.[4]

Russische Kultur auf U.S.-amerikanischem Terrain

Die beiden nächsten sehr prägenden Motive für eine Tätigkeit als Übersetzer hängen mit Nabokovs Tätigkeit an amerikanischen Universitäten zusammen. Er unterrichtete 1948-1959 an der Cornell University russische Sprache und Literatur und hielt unter anderem Vorlesungen zur Weltliteratur. Nabokov äußerte häufig sein Erstaunen darüber, wie wenig russische Literatur in den USA bekannt war und wie schmal die Resonanz hierbei war. So begann er, einerseits um seinen Studenten und Studentinnen, die der Sprache nicht mächtig waren, die russische Literatur zugänglich zu machen. Im Zusammenhang damit steht auch das Motiv, sie überhaupt unterrichten zu können.

So entstehen Übersetzungen verschiedener bekannter, russischer Autoren: Gogols „Der Mantel“, Puschkins „Das Fest während der Pest“ sowie die Übersetzung des von einem anonymen Verfasser stammenden „Song of Igor’s Compaign“. Hier beginnt sich bereits abzuzeichnen, dass ein Denkprozess in Bezug auf die Übersetzung begonnen hat. Die Übersetzung von „The Song of Igor’s Compaign“ erachtet er später als „zu lesbar“, also als zu wenig wörtlich. Wenngleich der 1944 erschienene Lyrikband „Three Russian Poets“ noch relativ treu übersetzt wurde, empfindet Nabokov die formalen Zwänge des Reimschemas in der Übersetzung als „absurd, and impossible to reconcile with exactitude“.[5]

Kein Bruch, ein Prozess: „Eugen Onegin“

Bereits gegen Ende der 1940er Jahre fasste Nabokov den Entschluss, Puschkins Versepos „Eugen Onegin“ (Евгeний Онeгинъ) zu übersetzen, weil er enttäuscht von den vorhandenen Übersetzungen im englischen Raum war.[6] Er begann bereits davor, sich über die Übersetzung genauer Gedanken zu machen, wie etwa das Buch „The Art of Translation“ (1941) beweist. Nabokov versuchte sich bereits 1951 an einer Übersetzung in Versform, die allerdings nicht mehr erhalten ist.[7]

Zur Veröffentlichung der Übersetzung kam es 1964 – ursprünglich interlinear konzipiert, wurden Übersetzung und Kommentar in vier Bänden veröffentlicht, da Nabokovs Konzept das Volumen des Bandes gesprengt hätte.[8] In ebendiesem Kommentar proklamiert Vladimir Nabokov eine sehr radikale Einstellung der Übersetzung: Der Haupttext von „Eugen Onegin“ ist weniger die Übersetzung als der ausführliche Kommentar hierzu, der Puschkins Text auf vielschichtige Art und Weise aufschlüsselt. Hierbei kann man die Übersetzung aufgrund ihrer Wörtlichkeit nicht mehr als alleinstehenden Text lesen – man müsse das gesamte Werk viel mehr als Studienleitfaden“ sehen, der parallel mit dem russischen Text und dem Kommentar gelesen werden sollte.[9]

Viel diskutiert: eine Philosophie der Übersetzung

Nabokov stellt sich im Vorwort zur Übersetzung von „Eugen Onegin“ die Frage: „Can a rhymed poem like Eugene Onegin be truly translated with the retention of its rhyme?“[10] Die Antwort lautet klar und deutlich: Nein. Nabokov übersetzt wörtlich, mit der Erklärung, er habe zwischen „rhyme and reason“[11] entscheiden müssen und sich für letzteres entschieden. Dies geschah auch, um seinem Lesepublikum die Problematik der Übersetzung nahezubringen.[12] Hierbei erklärt er deutlich, dass nur eine wörtliche Übersetzung sich überhaupt gegenüber dem Original behaupten könne.

Der Übersetzer brauche dabei genaue Kenntnis beider Sprachen und Kulturen sowie des Hintergrundes des betreffenden Autors. Er müsse gerade den Autor und seine politischen, sozialen, auf Bildung bezogenen Hintergründe genau kennen, um eine ideale Version des Ausgangstextes anzufertigen.[13] Dies würde die Kapazitäten eines Lebens sprengen, weshalb jeder Übersetzer sich auf einen Autor beschränken müsse – im Falle Nabokov, der sich Zeit seines Lebens mit einem kanonischen russischen Dichter besonders beschäftigt hat, trifft dies auf Puschkin zu.[14]
Diese Übersetzung, gemeinsam mit dem Kommentar, der Nabokovs Theorie der Übersetzung verbreitete, provozierte „what can be called the great debate on translation norms in the 1960s’.”[15]

Selbst übersetzt: Ein gefährliches Metier

Doch Nabokovs Karriere endet nicht einfach an dieser Stelle. Es kommt eine weitere Komponente zu den Aspekten der Übersetzung hinzu: die Selbstübersetzung. Nachdem die amerikanische Ausgabe von „Lolita“ 1958 eingeschlagen war wie eine Bombe und Vladimir Nabokov zum amerikanischen Schriftsteller und Bestseller erhob, wurde das Interesse an seinen ersten, unter dem Pseudonym Sirin veröffentlichten Büchern auf Russisch laut.

Während viele mehrsprachige Autoren gerade die Übersetzung als schwierig bis unmöglich empfanden, überbrückte Nabokov dieses Problem durch Fremdübersetzungen, die unter anderem sein Sohn Dmitrij Nabokov anfertigte. Eine Übersetzung durch den Autor selbst hebelt das Problem der Autorschaft, das normalerweise vorliegt, aus. Vielmehr produziert der übersetzende Autor kein Faksimile in einer zweiten Sprache, sondern oftmals eine zweite Version, die das Werk in der Ausgangssprache „gefährden“ kann, weil sich Verbesserungen und Veränderungen darin finden. Dies trifft etwa auf die englischen Übersetzungen der russischen Romane Nabokovs zu, wo die englische Übersetzung zum Referenzwerk für jede weitere Übersetzung erklärt wurde.

Ein holpriges Terrain

Gerade in Bezug auf Vladimir Nabokov wird deutlich, wie stark die Übersetzung eigentlich zu problematisieren ist. Die Entwicklung, die er selbst durchgemacht hat, führt von der getreuen Übersetzung von einer Sprache in die andere über einen Umschwung zur wörtlichen Übersetzung und zurück zur Selbstübersetzung, wo die zuvor etablierten Regeln ausgehebelt sind. Vor der Autorität des Autors muss der Übersetzer die Waffen strecken: Doch was, wenn beide in einer Person vereint sind?

Nabokovs Schaffen schlägt jedoch schließlich doch den Bogen zu seinem schriftstellerischen Werk, wobei besonders die späten Romane – „Pnin“ und „Ada or Ardor“ seien hier zu nennen- dieses nächste Phänomen deutlich machen. Vladimir Nabokov schreibt nämlich nicht nur in mehreren Sprachen, er schreibt auch durch sie hindurch. Nabokov selbst meint dazu, er habe „the ability to render an exact nuance by shifting from the language I am now using to a brief burst of French or to a soft rustle of Russian”.[16]

Text: Erika
Illustration: Aaron

[1] Beaujour 1995, S. 714
[2] Vgl. Boyd 2011, S. 215
[3] Ein Versmaß, das im Französischen sehr gebräulich ist. Es besteht aus 12 Silben im jambischen Versfuß (erste Silbe unbetont, zweite Silbe betont).
[4] Vgl. Yablokova 2009, S. 249
[5] Beaujour 1995, S. 714
[6] Vgl. Yablokova 2009, S. 253
[7] Boyd 2011, S. 221
[8] Vgl. Boyd 2011, S. 219
[9] Vgl. Beaujour 1995, S. 718
[10] Nabokov 1964, I, S. ix
[11] Nabokov 1973, S. 7
[12] Yablokova 2009, S. 254
[13] Vgl. Yablokova 2009, S. 259
[14] Vgl. Beaujour 1995, S. 717
[15] Boyd 2011, S. 221
[16] Beaujour 1995, S. 723

Weiterlesen:
Boyd, Brian: Nabokov as Verse Translator. In: ders.: Stalking Nabokov. Selected Essays. New York: Columbia University Press 2011, S. 214-229 | Beaujour: Translation and Self-Translation. In: Alexandrov (Hg.): The Garland Companion to Vladimir Nabokov. New York: Garland 1995 | Proskurina, Vera: Nabokov’s Exegi Monumentum. In: McMillin/Meyer/Grayson (Hg.): Nabokov’s World (II). London: Palgrave 2002 S. 27-39 | Yablokova, Zhanna: Trajectory of Vladimir Nabokov’s Literary Translation Practices. In: Forum, Vol.7, 2009. S. 247-275 | Dolinin, Aleksej: Eugene Onegin. In: Alexandrov (Hg.): The Garland Companion to Vladimir Nabokov. New York: Garland 1995, S. 117-128 | Nabokov, Vladimir: Strong Opinions. New York: Vintage 1973

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

Wir sind umgezogen!

Wir sind vor einer Weile umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner