Ein italienisches Café in Wales, der Duft von Lasagne, die erste Verliebtheit und dazu Opernmusik. Giancarlo Gemins zweiter Roman „Café Morelli“ klingt nach dolche vita! Worteweberin Annika hat sich einen Platz im Café Morelli und einen Teller voll Pasta gesucht und erzählt, was sie an diesem Roman mehr oder weniger buonissimo fand.
Joes Vorfahren kamen vor dem zweiten Weltkrieg aus Italien nach Wales, um dort Arbeit zu finden und eröffneten ein Café. Inzwischen sieht es so aus, als müsse das Café Morelli bald schließen: Die Kaffeemaschine ist kaputt, die Sitze sind rissig, und außer zwei Stammkunden kommt sowieso niemand mehr. Doch der vierzehnjährige Joe will nicht aufgeben. Er interessiert sich sehr für seine italienischen Wurzeln und bittet seinen Nonno, also seinen Großvater, ihm die Geschichte des Cafés zu erzählen. Da Nonno einen Schlaganfall hatte, muss er vom Krankenhaus mit Tonaufnahmen erzählen. Zur Unterstützung im Café kommt Joes Cousine Mimi. Sie ist eine vollblütige Italienerin, findet Joe: eine ausgezeichnete Köchin, selbstbewusst und wunderschön!
„Ihre Augen waren groß und dunkel wie schwarze Oliven, aber in ihnen lag auch ein Hauch von Traurigkeit. Ihre Lippen waren voll und rot wie Chilischoten.“ (S. 46)
Erwachsene = Spielverderber?
Von nun an entwickelt Joe eine Leidenschaft fürs Kochen und für gesundes Essen, schmiedet Pläne, um das Café durch unorthodoxe Methoden vor dem Untergang zu retten und gerät so mit seiner Mam aneinander. Der nämlich stinkt die Arbeit im Café gewaltig und sie will den Klotz am Bein endlich loswerden. Lange besetzt Joes Mam die Rolle der nervigen Mutter per excellence: Ständig wedelt sie mit Gemüse und gesundem Essen, meldet den leicht übergewichtigen Joe zu allerhand Sportkursen an und ist gegen jede seiner Ideen. Am Ende verändert sich ihre Position, gleichzeitig werden ihre Motive deutlicher. Dennoch wirkt sie etwas eindimensional, nach dem Motto: Erwachsene verhalten sich manchmal gemein und sind Spielverderber, aber sie haben ihre Gründe dafür.
Viel sympathischer als die Mutter ist Joes Nonno, den der Vierzehnjährige abgöttisch liebt. Auf den Tonaufnahmen erzählt er nicht nur von der Geschichte des Cafés, sondern auch von seinem eigenen Vater, der während des Zweiten Weltkriegs wie viele andere Italiener und Deutsche in Großbritannien interniert wurde. Auf dem Schiff SS Arandora Star sollte Nonnos Vater weit weg nach Kanada gebracht werden, doch ein deutscher Torpedo verhinderte das. Während mehr als 800 Menschen im Ozean starben, wovon im Anhang des Romans noch einmal berichtet wird, schafft es Nonnos Vater zu überleben. Sein Schicksal verleiht Gemins Roman Tiefe und schafft Aufmerksamkeit für einen Teil der Geschichte, der vielleicht (bei jungen Lesern) weniger bekannt ist.
Andiamo, cuciniamo!
Essen ist im Roman allgegenwärtig. Joe beginnt Kochbücher zu lesen und sich von Mimi Handgriffe abzugucken, bald kocht er auch selbst. Im Zusammenhang mit Essen verwendet Gemin viele Metaphern und Vergleiche, die aus dem sprachlich sonst sehr schlichten Roman herausstechen:
„Essen war plötzlich anders – seine Geschmacksnerven schienen Cha-Cha-Cha zu tanzen.“ (S. 48)
Joe und Mimi kochen italienisches Essen: Pasta, Lasagne, Gemüse. Später wird Joe selbst kreativ und setzt seine Idee für eine „süße Pizza“ um (was für ein toller Einfall!). Das Rezept dafür, sowie auch für verschiedene Pastasoßen, findet sich im Anhang des Romans. Eine schöne Idee für junge Leser, die mit Joe die Lust am Kochen entdeckt haben! Ansonsten werden auch Spezialitäten aus anderen Ländern erwähnt, es gibt indisches und osteuropäisches Essen. Der Verzehr all dieser Gerichte ist stets mit viel Spaß in guter Gesellschaft verbunden, so wie man sich das wünscht.
Gegenübergestellt werden im Roman immer wieder das gesunde selbstgekochte, zumeist italienische Essen und das ungesunde Essen, von dem Joe und sein Freund Combi am Anfang große Freunde sind: Pommes und Hähnchen vom Imbiss nebenan zum Beispiel. Der Gedanke ist wunderbar, mit dem Lesen gleich noch das Bewusstsein für gesundes Essen zu wecken. Die Kategorisierung scheint mir jedoch etwas starr. Immerhin könnten selbstgemachte Pommes mit dem richtigen Gemüse dazu auch eine gesunde Mahlzeit abgeben und jeden Tag Pasta zu essen ist auch nicht zwangsläufig die Lösung aller Probleme. Eine so differenzierte Ansicht wäre aber sicherlich zu viel verlangt von einem Roman für jugendliche Leser.
Liebe geht durch den Magen
Neben dem Essen spielen insbesondere die Oper, die erste Verliebtheit und Freundschaft wichtige Rollen im Roman: Sobald Mimi im Dorf auftaucht, spielen ausnahmslos alle Halbwüchsigen verrückt und drücken sich die Nasen an den Fensterscheiben des Cafés platt. Auch Joe ist begeistert, doch von Mimi erfährt er, wie es sich eigentlich anfühlt, verliebt zu sein:
„Ich sehe ihn an und er sieht mich an… und dann… PATTACRACK!“ (S. 90)
Fürs Verlieben ist für Mimi außerdem eines viel wichtiger als das Aussehen: das Essen! Und vielleicht findet Joe ja auch noch die Person, bei der es für ihn PATTACRACK macht? Auch in der Oper geht es um große Gefühle, und nicht nur Nonno, sondern bald auch Joe ist davon ganz begeistert. Ungewöhnlich für einen Vierzehnjährigen, doch im Anhang gibt der Autor auch seinen Lesern einen Tipp, wie sie die Oper kennenlernen können, ohne, dass die Musik nur wie Geschrei klingt. Wie auch schon im Hinblick auf das gesunde Essen und die Geschichte der Italiener im Zweiten Weltkrieg verpackt Gemin in seine Handlung einen zusätzlichen Bildungsaspekt. Es gelingt ihm gut, dass der Roman trotzdem leicht daherkommt und sich nicht wie eine Schullektüre liest.
Die Altersempfehlung des Verlags für „Café Morelli“ ist 13 Jahre. Das scheint im Hinblick auf die dramatische Geschichte rund um Nonno und seinen Vater vielleicht berechtigt – wenn ich aber überlege, was ich als Kind gelesen habe und mit welchen Medien Kinder heute aufwachsen, hätte mir dieser Strang der Handlung auch schon früher nicht geschadet. Durch seine einfache Sprache und teils simple, fast etwas blutleere Charaktere ist „Café Morelli“ vordringlich kein All-Age-Roman, sondern für junge Leser. Für sie haben die Thematiken erste Verliebtheit und Freude am Kochen und gesunden Essen, dazu eine spannende Geschichte in der Vergangenheit und ein junger Mensch, der weiß, was er will, viel Potenzial. Für erwachsene Leser ist das auch ganz nett, mir haben aber Authentizität und ein gewisser Überraschungseffekt gefehlt.
Café Morelli. Giancarlo R. Gemin. Aus dem Englischen von Gabriele Haefs. Königskinder. 2017. Ab 13 Jahren. BK-Altersempfehlung ab 11.
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