Ein zeitloser Mordfall

von | 16.03.2022 | Stadtgespräch

Am 27. Februar feierte das Schauspiel „Der Richter und sein Henker“ nach dem Roman von Friedrich Dürrenmatt im Altonaer Theater in Hamburg Premiere. Büchertänzerin Michelle-Denise durfte dabei sein und berichtet von ihrem Abend.

Bereits vor einem Jahr hätte „Der Richter und sein Henker“ zur Feier des 100. Geburtstags des Autors Friedrich Dürrenmatt seine Premiere haben sollen. Durch die Corona-Pandemie verschob sich die Vorstellung auf Dürrenmatts 101. Geburtstag. Für den Regisseur Mathias Schönsee ist dies jedoch kein Grund gewesen, die Inszenierung noch einmal zu überarbeiten, denn das Stück ist ein Klassiker, der sowohl im Gestern, als auch im Heute funktioniert. Dürrenmatt schrieb stets über menschliche und gesellschaftliche Abgründe. Er war ein Meister der Groteske und verstand es, das Krimi-Genre Literatur werden zu lassen.

Dürrenmatts erster Kriminalroman

„Der Richter und sein Henker“ war sein erster Kriminalroman. Dieser wurde zunächst 1950 als Fortsetzungsgeschichte in der Schweizer Monatszeitschrift „Der Beobachter“ gedruckt. Bis heute begeistert das Buch viele Leserinnen und Leser mit der Geschichte, die gekonnt zeigt, wie groß die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit sein kann.

Der Roman beginnt direkt mit einem Mord. Ein Mann wird erschossen in seinem Wagen aufgefunden. Es handelt sich bei der Leiche um Polizeileutnant Schmied, einen Kollegen von Kriminalkommissar Bärlach. Mit Unterstützung des jungen engagierten Polizisten Tschanz versucht Bärlach, dem Täter auf die Spur zu kommen und den Fall zu lösen. Bereits nach kurzer Zeit ist ein vermeintlicher Hauptverdächtiger gefunden und diesen kennt Bärlach bereits persönlich. Es handelt sich dabei um Gastmann, mit dem Bärlach einst eine Wette einging. Gastmann behauptete, dass er das perfekte Verbrechen begehen könne, ohne dass ihm jemals die Täterschaft nachzuweisen wäre. Die Wette läuft bereits seit 40 Jahren und in dem gesamten Zeitraum beging Gastmann tatsächlich gleich mehrere Morde, die ihm alle nicht nachgewiesen werden konnten. Obwohl Bärlach schnell klar ist, dass Gastmann im Mordfall Schmied nicht als Täter in Frage kommen kann, nutzt er seine Chance, um diesen für seine anderen Taten zu bestrafen. Doch wer ist der wahre Mörder?

Foto: G2 Baraniak

Endlich wieder Theater

Ich habe das Buch damals in der Schule im Deutschunterricht gelesen und war regelrecht gefesselt von der spannenden Geschichte, in der Gerechtigkeit als Mythos entlarvt wird. Mit diesem Vorwissen machte ich mich mit meinem Freund am 27. Februar auf dem Weg zur Premiere des Theaterstücks des Altonaer Theaters. Mein Freund besuchte die Vorstellung, ohne den Inhalt des Buches zu kennen. Wir hatten also beide unterschiedliche Voraussetzungen bei der Aufführung.

Obwohl wir seit Beginn der Corona-Pandemie schon des Öfteren im Kino waren, war es tatsächlich ein komisches Gefühl, wieder ein Theater zu betreten. An der Eingangstür fanden direkt die üblichen 2G+-Kontrollen und Hygienemaßnahmen statt. Der Eingangsbereich war noch recht leer, als wir diesen durchquerten und uns auf den Weg zum Rangbereich machten. Auf der Suche nach unseren Plätzen waren wir zunächst etwas verwirrt, denn ungefähr jeder dritte Platz war bereits durch eine Platzkarte mit Namen reserviert. Auf den zweiten Blick merkten wir jedoch, dass etwas nicht stimmte. Auf den Platzkarten standen Namen berühmter literarischer Persönlichkeiten wie Agatha Christie, Georg Büchner oder Ferdinand von Schirach. Diese Reservierungen waren Teil des Corona-Konzepts und dienten als Abstandhalter. Wir nahmen unsere Plätze ein und nach und nach füllte sich der Saal nahezu komplett.

Was uns beiden jedoch direkt auffiel, war, dass wir in den roten Samtsesseln in dichter Nähe zu unseren Nachbarn saßen. Obwohl die Plätze direkt neben uns von den prominenten Platzhaltern besetzt waren, hatten wir nach vorne keine Beinfreiheit und saßen gefühlt mit zu geringem Abstand zwischen den Sitzreihen vor und hinter uns. Ich empfand leichtes Unbehagen, aber nicht direkt wegen des Corona-Virus, sondern eher, weil ich es schlicht und ergreifend nach all der Zeit des Lockdowns und der Abstandsmaßnahmen nicht mehr gewohnt war, so dicht neben anderen Zuschauerinnen und Zuschauern zu sitzen. Im Theatersaal ist der Platz einfach enger als im Kino.

Minimalistisches Bühnenbild und ein charakterstarker Bärlach

Bevor die Aufführung begann, hatte man bereits uneingeschränkten Blick auf das Bühnenbild. Rebecca Raue, die für die Ausstattung verantwortlich ist, hat den Raum als Rundraum gestaltet, der zum Publikum geöffnet ist. Er ist wie eine Art Marktplatz aufgebaut, auf dem sich in der Mitte eine große verhüllte Skulptur befindet. Links, rechts und hinter der Skulptur am Rande des Marktplatzes befinden sich drei Stühle und zwei Tische aus weiß angestrichenen Paletten. Raue hat sich bewusst für dieses Arrangement und die minimalistischen, karg anmutenden Requisiten entschieden. Die Bühne soll den Zuschauerinnen und Zuschauern einen Verhandlungsraum zeigen, der von allen Seiten bespielbar ist.

Zu Beginn der Aufführung agierten alle Darsteller für sich auf der Bühne, oft langsam schwofend oder nachdenklich gehend. Alle bewegten sich alleine zur Musik, die im Laufe des Stücks immer wieder zwischen den Szenenübergängen abgespielt wurde.

Mit wenigen Mitteln wurde die Komplexität des Mordfalls dargestellt und geschildert. Es fiel sowohl mir mit, als auch meinem Freund ohne Vorwissen über die Geschichte leicht, uns in die Handlung einzufinden. Videoprojektionen an den Wänden schafften neue Räume auf der Bühne. Mal zeigten sie Jalousien und verwiesen dadurch auf reale Räume. Mal ließen sie durch eigenwillige, nicht genauer definierbare, bewegte Bilder die Zuschauerinnen und Zuschauer in den physischen Schmerz und innere Zustände des Protagonisten bei seinen Überlegungen eintauchen.

Die Charaktere wurden durch die Schauspielerinnen und Schauspieler gekonnt dargestellt. Bärlach trug einen vornehmen älteren Anzug mit Weste und Uhrenkette, dazu legere weiße Sneaker, wie sie nicht unbedingt üblich für einen Ermittler zu sein scheinen. Das ließ ihn seriös und lässig zugleich wirken. Franz-Joseph Dieken, der Bärlach in dem Stück verkörpert, spielte die Rolle sehr überzeugend. Die wahnhaften Zustände, die den Protagonisten durch seinen körperlichen Schmerz in eine Art Zwischenwelt schweifen lassen, wurden lebhaft dargestellt. Man litt nahezu mit ihm, wenn er sein Gesicht vor Schmerzen verzerrte und zusammensackte. Gerade während dieser Zustände, in denen der Darsteller ganz bei sich war, schien Bärlach fähig zu sein das Böse zu besiegen.

Der von Mathias Schönsee verkörperte Ermittlerkollege Tschanz wirkte optisch eher wie ein Mitarbeiter des Finanzamtes und genauso wie Bärlach weniger wie ein Polizist. Er war eher unnahbar. Seine Gedanken sind den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht zugänglich. Trotz oder gerade wegen aller Unterschiede war das Zusammenspiel beider Hauptcharaktere durchweg spannend.

Foto: G2 Baraniak

Das Rätsel um das Design der Skulptur

Szenenwechsel wurden kraftvoll von Julia Weden eingeleitet. Obwohl sie neben der Tätigkeit als Erzählerin auch die Rollen der Polizeichefin und Bärlachs Ärztin verkörperte, konnte man trotz der gleichen Kleidung zwischen ihrer Rolle als Erzählerin und Polizeichefin unterscheiden.

Nach dem ersten Drittel der Aufführung wurde die seltsam anmutende Skulptur in der Mitte der Bühne enthüllt. Sie zeigt unter anderem menschenähnliche Figuren mit bläulichem Gesicht und eine Art Tier mit langen spitzen Hörnen. In einer Kampfszene mit einem Hund steht Bärlach gegenüber der Skulptur und agiert mit dieser, jedoch ist auf ihr kein Hund dargestellt. Es hat sich uns beiden leider nicht erschlossen, weshalb diese prominent platzierte Requisite optisch so aufgebaut wurde. Es wurde auch zu keiner Zeit näher darauf eingegangen oder erklärt.

Die Aufführung erstreckte sich über 90 Minuten und fand ohne Pause statt. Die Zeit verging dabei wie im Flug. Wir empfanden die Inszenierung beide als kurzweilig und spannend. „Der Richter und sein Henker“ ist eine klassische, zeitlose Kriminalgeschichte, die Jung und Alt mitfiebern lässt. Das Ensemble des Altonaer Theaters hat diese Erzählung gekonnt mit wenigen Mitteln umgesetzt. Bis zum 9. April finden noch Vorstellungen dieses Schauspiels statt.

Der Richter und sein Henker. Altonaer Theater. Hamburg. 27.02.2022-09.04.2022.

Michelle-Denise Oerding

Michelle-Denise Oerding

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