In „Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ von Graham Moore treten zwei ganz unterschiedliche Männer in die Fußstapfen des berühmten Meisterdetektivs. Worteweberin Annika hat sich mit dem Hörbuch ins viktorianische London gelauscht.
Der Mann, der Sherlock Holmes tötete, ist natürlich kein anderer als Sir Arthur Conan Doyle persönlich. 1893 entschied er, der populären Reihe um den genialen Detektiv ein Ende zu machen. Erleichtert notierte er im Dezember des Jahres in seinem Tagebuch: „Killed Holmes“. Er hoffte darauf, sich von nun an den Geschichten zu widmen, für die er sich wirklich interessierte – und für die er berühmt werden wollte. Doch Holmes Tod missfiel der Leserschaft und wurde von Doyle nach acht Jahren, 1901, wieder zurückgenommen.
Graham Moores Roman spinnt sich um die Ereignisse im Jahr 1900, die Doyle möglicherweise dazu geführt haben könnten, Holmes wiederauferstehen zu lassen. Auf zwei Zeitebenen erzählt er von Verbrechen und Ermittlungen, die einem Detektiv wie Sherlock Holmes würdig wären.
Zwei Männer in Holmes‘ Fußstapfen
Im Jahr 1900 landet im Briefkasten von Sir Arthur Conan Doyle eine Briefbombe. War es ein Fan des Meisterdetektivs (sein Name ist in Doyles Haus tabu), der dessen Tod noch immer nicht verkraftet hat? Ein beigelegter Zeitungsbericht führt den Schriftsteller und seinen Freund Bram Stoker auf eine andere Fährte. Das Gespann untersucht den Mord an einer jungen Prostituierten mit einer seltsamen Tätowierung und stößt bald noch auf weitere Todesfälle. Doch die Ermittlungen – Beschattungen, Verkleidungen und Revolvergebrauch inklusive – verlaufen teils holprig.
Gut 100 Jahre später ist Sherlock Holmes zur Kultfigur aufgestiegen. Und nicht nur das, es gibt ganze Tagungen, bei denen sich sogenannte „Sherlockianer“ mit Arthur Conan Doyles Werk befassen. Auf einer solchen Tagung befindet sich der Literaturwissenschaftler Harold, jüngstes Mitglied der „Baker Street Irregulars“. Ein Tagebuch von Doyle, das ein anderer Sherlockianer gefunden zu haben meint, ist hier Gesprächsthema Nummer eins. Doch bevor Alex Cale seine Entdeckung präsentieren kann, wird er getötet. Harold begibt sich mit Unterstützung der Journalistin Sarah auf die Spuren seines Vorbilds und die Suche nach Doyles Tagebuch.
Blutige Botschaften und rätselhafte Symbole
Kapitelweise wechseln sich die beiden Zeitebenen und die beiden Fälle ab. Das sorgt für Spannung und kann Page-Turner-Effekte hervorrufen. Beide Kriminalfälle sind angemessen düster und in Doyle-Manier mit rätselhaften, blutigen Botschaften und Symbolen gespickt, die die Ermittler und Leserinnen und Leser vor neue Herausforderungen stellen. Zumindest ich war immer wieder von den Ereignissen überrascht (natürlich bin ich auch kein Meisterdetektiv…).
Trotzdem ist „Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ ein bisschen mehr als nur spannende Krimiunterhaltung. Viele Details über den Autor Arthur Conan Doyle werden eingewoben und machen den Roman durchaus auch informativ. Für Fans des Schriftstellers und seiner berühmtesten Figur ist dieser Roman also genau richtig, doch andere Gestalten der englischen Literatur haben hier ebenfalls einen Auftritt. So geht es um Bram Stoker, dessen Idee eines untoten Grafen damals noch als Spinnerei abgetan wurde, und den auf Abwege geratenen Oscar Wilde. Immer steht für diese Männer auch die Frage im Raum, was von ihnen in Erinnerung bleiben wird.
Das Hörbuch
Das Hörbuch wurde von David Nathan eingelesen, der als Sprecher bereits vielfach ausgezeichnet wurde. Seiner Lesung kann man angenehm folgen. Er verkörpert die Figuren mit schauspielerischem Talent. Etwas aufgelockert wird das Hörbuch durch atmosphärische Musik, die bei manchen Kapitelübergängen gespielt wird und Zeit zum Rekapitulieren der Ereignisse gibt. So bestand bei mir bei einer Gesamtspieldauer von etwas mehr als sieben Stunden nie die Gefahr, gedanklich abzuschweifen (ansonsten ja leider oft ein Nebeneffekt des Hörbuch-Hörens…). Im Gegenteil, dieses Hörbuch hat mich komplett in seinen Bann gezogen!
Der Autor Graham Moore ist übrigens nicht nur in der Buchbranche, sondern auch in Hollywood zu Hause. Als Drehbuchautor kennt man ihn zum Beispiel für „The Imitation Game“, für das er 2015 einen Oscar erhielt. Mit „Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ beweist er, dass er auch von Unterhaltung in Buchform etwas versteht.
Der Mann, der Sherlock Holmes tötete. Graham Moore. Übersetzung: Kirsten Riesselmann. Gekürzte Lesung mit David Nathan. Lübbe Audio. 2019.
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