Michelle Zauner verarbeitet den Krebstod ihrer koreanischen Mutter schmerzhaft ehrlich in „Tränen im Asiamarkt“. Bücherstädterin Vera ist ihr gefolgt.
Der Untertitel von Michelle Zauners Memoir bringt auf den Punkt, worum es geht: „Eine Geschichte von Trauer, Liebe und koreanischem Essen”. Michelle ist das Kind einer Koreanerin und eines weißen Amerikaners und irgendwie gehört sie nirgendwo richtig dazu. In der Schule fragt man sie, woher sie wirklich kommt. Und vor einem intensiven Zugang zur Kultur ihrer Mutter verschließt sie sich lange. Erdrückt von einer Mutterliebe, die sich durch viel zu ehrliche Kommentare und gleichzeitig durch winzige Gesten ausdrückt, möchte Michelle ausbrechen, Musikerin werden.
„Für mich sollte mit fünfundzwanzig eigentlich alles seinen Platz finden. Dann wurde es das Jahr, in dem das Leben meiner Mutter zu Ende ging und meins auseinanderfiel.” (S. 21)
In diesem Jahr erhält ihre Mutter die Diagnose Krebs und Michelle ist damit konfrontiert, wie wenig sie ihre Mutter in den letzten fünfundzwanzig Jahren wirklich kennen gelernt hat. Wer ist diese Frau, die ihre Liebe mit Essen zeigt, mit Reisen nach Südkorea, mit Einblicken in ihre Identität, die Michelle niemals ganz verstehen konnte? Es folgen Monate zwischen Verleugnung, Pflege, guter Momente, schlechter Momente – und vielen Überlegungen zu Leben und Tod.
Zauner beschreibt schmerzhaft, wie sie ihrer Mutter beim Verschwinden zusieht: einer stolzen Frau, die viel auf ihr Aussehen und die Qualität ihres koreanischen Essens gibt. Wie hilflos man ist, wenn dieser Frau die Haare ausfallen und der Körper zerbrechlich wird, weil kein Bissen mehr schmeckt.
„Worauf kann ich mich überhaupt noch freuen, Michelle? […] Ich kann nicht einmal mehr Kimchi essen.” (S. 164)
Und sie beschreibt, wie man im Sterben das Leben feiern kann: mit Familie, mit Erinnerungen, mit Neuanfängen. Dass etwas anfängt, wenn etwas anderes zu Ende geht. Michelle selbst verarbeitet ihre Trauer, indem sie sich der koreanischen Küche annähert. Gerichte kocht, deren Rezepte sie nun nicht mehr von ihrer Mutter lernen kann, sondern von YouTube.
„Tränen im Asia-Markt“ ist kein leicht zugängliches Buch. Die Erinnerungen sind sehr intim und Zauner lässt auch schonungslose Details nicht aus, sodass die Kapitel Pausen einfordern. Es ist berührend, wie sie zwischen den Kulturen navigiert, während sie versucht, sich selbst zu finden. Dabei tut es weh zu wissen, dass sie nie all das geben und sein kann, was ihre Mutter braucht. Es tut weh, die schönen Momente der Kindheit mit erwachsenen Augen zu betrachten und festzustellen, dass die Eltern nicht so gut waren, wie man geglaubt hat. Und dass man nie verstehen kann, wie die mütterliche Liebe wirklich war.
„Tatsächlich war meine Mutter sowohl mein erstes als auch mein zweites Wort: Umma und dann Mom. Ich rief in zwei Sprachen nach ihr. Selbst damals muss ich gewusst haben, dass niemand mich je so lieben würde wie sie.” (S. 262)
Ein ehrliches Fazit: Eigentlich wollte ich Michelle Zauners Memoir „Tränen im Asia-Markt“ für unser BK-Themenjahr lesen, denn mich interessierte vor allem die Kombination aus interkulturellem Umgang mit Familienbeziehungen, Essen, und Trauer. Bis zur Hälfte des Buches war ich fast schon enttäuscht, weil ich nichts von dem spüren konnte, für das dieses Buch so gelobt wird. Dass mich Michelles Schicksal nicht berührte. Dann starb jemand in meiner eigenen Familie. Und die Sätze wurden plötzlich lebendig.
Tränen im Asia-Markt. Michelle Zauner. Aus dem Amerikanischen von Corinna Rodewald. Ullstein. 2021.
[tds_warning]Contentwarnungen: Krebs, Tod, Erwähnung von Suizid, Drogen[/tds_warning]
[tds_note]Ein Beitrag zum Themenjahr #OwnVoicesBK. Hier findet ihr alle Beiträge.[/tds_note]
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