Heilung durch Wohlbefinden

von | 11.12.2015 | Belletristik, Buchpranger

Kann man allein durch den Glauben und mit Hilfe der Natur eine unheilbare Krankheit „bekämpfen“? Der österreichische Schriftsteller Thomas Sautner hat sich dieser Frage für seinen aktuellen Roman „Die Älteste“ angenommen und sie in eine unterhaltsame Geschichte verpackt. – Von Zeichensetzerin Alexa

Eine Kräuterhexe im Wald

Wie eine Hexe lebt sie zurückgezogen im Wald: die Alte, deren Name Lisbeth ist und außerhalb ihrer Welt bekannt ist. Wunder soll sie vollbracht und kranke Menschen, die von Ärzten bereits aufgegeben wurden, geheilt haben. Nach Sophies Diagnose ergreift ihre Freundin die Chance, klammert sich an diesen letzten Strohhalm Hoffnung und bringt sie zu der Alten. Diese ist alles andere als begeistert – selbst den mitgebrachten Tabak, Schnaps und Kaffee will sie im erster Augenblick nicht annehmen, obwohl dies zu den sogenannten „Spielregeln“ gehört. Wer ihre Hilfe annehmen will, muss diese drei Dinge mitbringen und ihren – recht seltsamen – Anweisungen folgen.

Lisbeths Gastfreundschaft lässt jedoch zu wünschen übrig: den Koffer der jungen Frau bezeichnet sie als UFO, die mitgebrachten Geschenke als Gift. Sophie will schon gehen, als die Alte es sich doch anders überlegt und ihr die erste Aufgabe gibt: sie soll nun Feuer machen. Die junge Frau, die in ihrem Alltag mit Dingen wie Feuerzeug und Streichhölzer vertraut ist, ist ohne diese gleich überfordert. Wie soll sie denn bitte Feuer machen? Auch die anderen Aufgaben fordern viel Geduld und Umstellung. Hier im Wald herrschen nämlich ganz andere Gesetze. Und andere Abläufe. Jene ohne Hektik und Stress.

Mit der Natur – gegen die Natur

Sophie merkt bald, wie sie zur Ruhe kommt, wie sie entspannt, wie ihre Gedanken andere Richtungen und Kreise einschlagen. Sie beginnt, sich wohl zu fühlen. Doch wird ihr die Natur helfen, den Hirntumor zu besiegen? „Besiegen“ oder „bekämpfen“ sei auch der falsche Ansatz, so die Alte, man müsse dem Krebs Liebe und Licht schicken, denn dieser habe all das Schlechte, das Sophie in den letzten Jahren verdrängt hatte, in sich aufgenommen. Der Stress, der tue den Menschen nicht gut.

„Ich griff mir an die Schläfe. Und versuchte dieses verbeulte Ding in meinem Kopf nicht mehr als gemeine, tickende Zeitbombe zu empfinden, sondern als lebendiges, mir wohlgesinntes Wesen, das eng, ganz eng zu mir gehörte. Es mag sich lächerlich anhören, aber ich bekam feuchte Augen.“

Während Sophie sich mit der Natur vertraut macht, verbraucht die Alte freudig ihren Tabak, trinkt Kaffee und Schnaps. Ob das schädlich sei? Warum sollte etwas schlecht sein, das einem gut tut? Die Ansichten der Alten sind nicht immer nachvollziehbar, doch die Art wie sie mit den Menschen und dem Leben umgeht – auf eine verrückte, humorvolle Weise – rückt die Methoden in den Hintergrund und spendet nicht nur der Protagonistin Hoffnung.

Grundlage: wahre Begebenheiten und Personen

„Die Älteste“ ist eine Geschichte, die nicht aus dem Nichts kommt: Im Nachsatz erzählt der Autor von einer Waldviertler Jenischen namens Lisbeth W., die von den Nationalsozialisten in mehrere Konzentrationslager deportiert wurde. Viele aus ihrer Familie starben, sie überlebte und landete in einem Waldviertel, wo sie u.a. als Kräuterfrau und Heilerin arbeitete. Sie starb im Alter von neunzig Jahren. Ihr Urenkel Martin Flicker bringt heute den Menschen den Nutzen von Heilkräutern und den wertschätzenden Umgang mit der Natur näher.

Diese und andere Personen sowie weitere Überlieferungen finden Platz in diesem Roman. Die Fiktion, die durch die Rolle der Protagonistin konstruiert wird, passt sich den Fakten an und schmückt sie zu einer Geschichte, die eine mögliche Begebenheit darstellen kann, aber nicht muss. Passend zu den Figuren scheint auch der Schreibstil, der zwischen einfachen und komplexen Sätzen wechselt und so bestimmte Situationen verdeutlicht. Das Fehlen von Anführungszeichen stört in diesem Roman überhaupt nicht, da durch Absätze und voran- sowie dahintergestellte Namen stets klar ist, wer spricht. Dieser Punkt ist für die Atmosphäre der Geschichte sogar förderlich: es entsteht das Gefühl einer erzählten Geschichte, einer, der man am Lagerfeuer sitzend lauscht und sich vorstellt, die Älteste könnte jeden Moment zwischen den Bäumen hervortreten. Nur um dann schweigend da zu sitzen, zu rauchen, zu trinken und sich einfach des Lebens zu freuen. Und vielleicht ist auch genau das der Appell an uns: zu leben, solange wir es können.

Die Älteste. Thomas Sautner. Picus Verlag. 2015.

[tds_note]Erfahrt am 12.12.15 bei den Feuilletönen mehr über den Autor und Sautners Werk „Fremdes Land“.[/tds_note]

 

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

  1. Avatar

    Das ist eine wirklich schöne Geschichte. Die im Buch, was ich nach deinen Worten glaube und die von dir selber erzählte. Und wenn etwas wichtig ist, dann sich am Leben zu freuen. Es gibt nichts Besseres. 🙂

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