1.
Unruhig wippte Ferda auf dem Toilettensitz hin und her und warf alle paar Sekunden einen Blick auf ihr Smartphone. Fünf Minuten zu spät, dachte Ferda und wurde mit jeder weiteren Minute nervöser, aber auch ungehaltener. Schließlich war nicht sie es gewesen, die eine Nachricht in irgendeinen Spint gesteckt hatte. Zwar hatte sie auf jene Nachricht wie verlangt mit einer Uhrzeit reagiert, doch da hatte Ferda gehofft, dass sich die Verfasserin auch daran halten würde.
Nach einem weiteren Blick auf ihr Handy sprang Ferda schließlich auf. Sie hatte die Hand bereits an der Klinke, als sie hörte, wie die Toilettentür geöffnet wurde.
Jemand betrat die Kabine zu ihrer Rechten und setzte sich hin. „Sorry, meine Uhr geht falsch“, meldete sich eine weibliche Stimme aus der Nachbarkabine. „Wenn du willst, weswegen du gekommen bist, setz dich und wir reden.“
„Woher weißt du, dass ich noch hier bin?“, fragte Ferda, die dachte, sie hätte keinen Mucks von sich gegeben.
„Magie!“, antwortete die Person trocken. „Also, zehn für eine Flasche.“
„Klappt das wirklich?“ Ferda biss sich auf die Unterlippe. Das tat sie immer, wenn sie sich unsicher über eine Entscheidung war, die sie zu treffen hatte. „Ich meine …“
„Mach dir keinen Kopf. Hatte bisher nur zufriedene Kunden.“
„Aber wie …?“ Auch wenn sie nun hier saß und sich dazu entschieden hatte, der Nachricht zu folgen, begann sie nun, da es immer realer wurde, zu zweifeln.
„Magie.“ Ein weiteres Mal lag diese Ernsthaftigkeit in der Stimme der Person in der Nachbarkabine, als stünde sie vollkommen hinter ihrem Glauben, dass es wirklich Magie war.
Erneut begann Ferda auf dem Toilettensitz, auf den sie sich wieder gesetzt hatte, hin und her zu wippen. Was sollte sie tun? Seit wann glaubte sie an Magie?
„Meine Pause ist gleich vorbei“, meldete sich die Stimme. „Was ist jetzt?“
Ohne noch länger nachzudenken, zog Ferda einen Zehn-Euro-Schein aus ihrer Tasche und reichte ihn unter der Toilettenwand hindurch. Anstelle dessen wurde etwas Kleines und Kaltes in ihre Hand gelegt. Als sie die Hand zurückzog, befand sich darin ein verkorktes Fläschchen.
„Ist ganz einfach: Trink ´s aus, warte 20 Minuten und dann geh zu dem Typen, oder dem Mädchen, was weiß ich, worauf du stehst. Er oder sie sollte dich dann mit ganz anderen Augen sehen. Vorsicht, könnte bitter schmecken.“
„Sollten Liebestränke“, Ferda glaubte kaum, dass sie das Wort wirklich aussprach, „nicht süß schmecken?“
Ein abfälliges ts! Erklang aus der Nachbarkabine. „Viel Spaß“, wünschte die Stimme, dann öffnete sich die Kabinentür und Schritte entfernten sich.
Etwas perplex, über das, was hier gerade geschehen war, konnte Ferda sich nicht bewegen, während sie das Fläschchen in ihrer Hand anstarrte. Erst, als die Toilettentür ins Schloss fiel, konnte sie sich wieder rühren.
„Was mach ich denn hier bloß?“, fragte Ferda in die leeren Toilettenräume hinein, schüttelte den Kopf und steckte das Glasfläschchen, an dem ein Schildchen mit dem Wort Trix befestigt war, in ihre Tasche.
2.
„Da bist du ja!“, bellte eine Stimme und ehe Beatrice Fuck! zu Ende denken konnte, stand auch schon ein Schrank von einem Jungen vor ihr.
„Jetzt bist du fällig, du Schlange … äh Schlampe“, drohte der Schrank mit seinem Zeigefinger. „Dein Dreck ist Dreck.“
„Was willst du, Thomas?“, fragte Beatrice. Der Junge war zwei Köpfe größer als sie und doppelt so breit, dennoch versuchte sie gelassen zu bleiben.
„Dein Dreck ist DRECK!“, brüllte Thomas.
Beatrice brach einen Moment den Blickkontakt ab, um sich umzuschauen. Hoffnungsvoll suchte sie nach einem Lehrer, der sie vor Thomas‘ Wut bewahren konnte. Jedoch war sie mit Thomas allein auf dem Schulhof.
„Du wiederholst dich.“ Sie nahm wieder Blickkontakt auf.
„Du hast Dreck verkauft! Mach es rückgängig!“
Beatrice musterte Thomas von Kopf bis Fuß. Eindeutig hatte er zugelegt und erinnerte sie nun an den Hulk, nur, dass Thomas nicht grün war. „Hast du dich an die Anweisungen gehalten?“, fragte Beatrice. Sie hoffte, man könne mit Thomas besser reden als mit dem wütenden Hulk.
„Du meintest, ich soll es nehmen, dann krieg ich mehr Muskeln.“
Vor Beatrice‘ inneren Augen verwandelte sich der Hulk in einen grünhäutigen Ork.
„Ein Tropfen pro Tag?“, hakte sie prüfend nach.
„J… ja“, brachte er stockend heraus. „Aber dein Dreck ist Dreck.“
Thomas wurde rot, doch Beatrice wusste nicht, ob es vor Wut oder vor Scham war. Ihm war wohl bewusst, dass er Mist mit der Dosierung gebaut hatte, wollte es aber nicht zugeben. Er begann zu schnauben wie ein Stier und Beatrice sah sich schon von dieser puren Masse an Muskeln in die Wand gerammt. Schnell kramte sie ein Fläschchen hervor und reichte es Thomas.
„Geht auf´s Haus. Trink´s aus, geh schlafen. Das sollte helfen“, erklärte sie ihm. Sie hoffte, dass trink´s aus verständlicher war als ein Tropfen pro Tag.
Thomas schnaubte immer noch. Beatrice sah es in seinem Kopf rattern. Wahrscheinlich fragte er sich, ob er ihr dieses Mal trauen sollte. Schließlich riss er ihr das Fläschchen grob aus der Hand und zog stampfend von dannen.
Erleichtert atmete Beatrice durch. Der neue Trank würde sein Problem lösen, er würde schlafen, wie Dornröschen. Zwar keine 100 Jahre, dennoch zwei Tage. Danach wären die Muskelberge verschwunden und mit der geringen Muskelkraft, die ihm verbleiben würde, wäre er kaum noch eine Gefahr.
3.
Erschöpft ließ Beatrice sich in den alten Sessel fallen und betrachtete ihren Arbeitstisch. Dieser war vollgestellt mit verschiedenen Gerätschaften: leeren Fläschchen, Destillierkolben sowie Einmachgläsern mit Kräutern und Flüssigkeiten.
Sie seufzte und öffnete ihre Umhängetasche. Die Fläschchen, die sie nicht hatte verkaufen können, stellte sie beiseite, dann zog Beatrice die fünf rot-weißen Scheine heraus und betrachtete sie nachdenklich.
Eigentlich ist es falsch, dachte sie. Hilfreich, aber falsch. Liebe konnte süchtig machen, schneller Muskelaufbau zum Angeben war verlockend und trinkbare Konzentration war für Klausuren für einige unabdingbar. Am Ende war sie auch nur eine Dealerin für Drogen der anderen Art.
Während Beatrice noch in Gedanken war, klopfte es an der Tür. „Süße, wir haben dir das Gartenhaus nicht zur Verfügung gestellt, damit du dich darin ständig einschließt. Was machst du denn da drin?“
Beatrice stand auf und begann die Utensilien vom Tisch in eine Holztruhe zu räumen. „Weltherrschaftspläne“, antwortete sie.
„Na gut.“ Besonders glücklich war ihre Mutter nicht über Beatrice‘ Sarkasmus, dennoch hakte sie nicht weiter nach. „Essen ist fertig. Hilf bitte, den Tisch zu decken.“
„Okay.“ Beatrice räumte die letzten Sachen weg, dann verließ sie das Gartenhaus.
Text: Geschichtenerzähler Adrian
Bild: RODNAE Productions / Pexels
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