Hinter den Kulissen von „Stolz und Vorurteil“

von | 11.02.2016 | Belletristik, Buchpranger

Was passierte eigentlich im Hintergrund, während sich Elizabeth Bennet unsterblich in Mr. Darcy verliebte? Was machten währenddessen die Hausangestellten? Dieses Gedankenexperiment hat die englische Autorin Jo Baker gewagt und entstanden ist daraus der Roman „Im Hause Longbourn“. Worteweberin Annika hat nachgelesen, für wen er sich lohnt.

Über 200 Jahre ist es inzwischen her, dass Jane Austens Roman „Stolz und Vorurteil“ erschien und die Herzen der Leser(innen) im Sturm eroberte, doch auch heute noch ist die gesellschaftskritische Liebesgeschichte beliebt wie kaum eine andere. Neben zahlreichen Verfilmungen ist Austens Klassiker auch auf dem Buchmarkt immer noch relevant. In Jo Bakers Roman „Im Hause Longbourn“ geht es allerdings nicht mehr primär um Lizzy, Jane und ihre Schwestern, sondern um die, die hinter den Kulissen stehen: Die Hausmädchen, Köchinnen, Stallburschen und Diener.
Die Heldin des Romans ist das Hausmädchen Sarah, das schon seit Kindertagen im Hause Longbourn in Anstellung ist und sich mit den anderen Dienern um die Wäsche, das Essen und den Haushalt der Familie Bennet kümmert. Eigentlich aber sehnt sie sich nach der Freiheit und einem Leben weit ab von Longbourn. Als der neue Hausdiener James Smith auftaucht, ist Sarah zuerst skeptisch, denn er scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten. Und auch James geht Sarah aus dem Weg, jedoch hat er andere Motive: Er versucht, seine für die junge Dienerin aufkeimenden Gefühle zu unterdrücken. Dies gelingt ihm allerdings nicht und schließlich erkennt auch Sarah, dass sie mehr für James empfindet. Alles könnte nun so schön sein, wäre da nicht noch James dunkles Geheimnis, das ihn und Sarah wieder auseinandertreibt…

Romantik nach Schema F

Wer schon einmal einen Film von Rosamunde Pilcher oder Inga Lindström im Fernsehen verfolgt hat, dem könnte das Muster von Bakers Roman bekannt vorkommen: Ein junges Mädchen trifft auf ihren Traumprinzen mit dunkler Vergangenheit, die beiden streiten sich ein bisschen, finden dann doch zusammen, aber werden durch einen Schicksalsschlag wieder getrennt, den sie nur überwinden können, weil ihre Liebe zueinander so stark ist. Im Falle von „Im Hause Longbourn“ ist das ganze einmal in die Vergangenheit katapultiert worden, so dass nun nicht mehr Börsencrashs oder Autounfälle dem Glück des Paares im Wege stehen, sondern die Armee und das Dienstverhältnis der Protagonisten. Trotzdem ist die Geschichte nicht weniger voraussehbar.
Das allein mag noch kein Problem sein, schließlich funktionieren auch zahlreiche Liebesromane nach dem gleichen Schema und werden trotzdem begeistert verschlungen. Von einer Geschichte, die sich auf den Klassiker „Stolz und Vorurteil“ beruft und sich diesen als Vorbild nimmt, könnte man dennoch etwas mehr erwarten, als einen 08/15-Plot. Natürlich muss man dem Roman zugestehen, dass der Verlauf der Geschichte schön ausgearbeitet ist und man, wenn man sich darauf einlässt, eine solide Geschichte geliefert bekommt. Nur den Vergleich mit „Stolz und Vorurteil“ sollte man besser meiden.

Ein großes Vorbild

Das gilt auch für die Sprache. Jane Austens Romane begeistern viele Leser wegen ihrer faszinierenden und aus heutiger Sicht eher altmodisch anmutenden sprachlichen Gestaltung und der gewitzten Erzählerin. Nichts davon findet sich bei Jo Baker. Mag sein, dass es heute nicht mehr modern wäre, so zu schreiben wie es Jane Austen vor über 200 Jahren getan hat. Aber schön wäre es trotzdem gewesen, jedenfalls für diejenigen, die das Vorbild kennen und schätzen.
Ebenjene werden wohl auch über manche Enthüllung, die Baker über die Heldinnen aus „Stolz und Vorurteil“ macht, nicht sehr begeistert sein. Wem Lizzy, Jane, Mr. Darcy und Konsorten ans Herz gewachsen sind, der wird sicherlich nicht gerne lesen, dass diese sich rücksichtslos gegenüber ihren Dienstboten verhalten, eigentlich viel oberflächlicher sind als gedacht und vielleicht sogar eine Leiche im Keller liegen (oder halt ein uneheliches Kind mit der Haushälterin gezeugt) haben. Allein schon das kann eine eher negative Grundeinstellung heraufbeschwören, die es schwer macht, mit den Helden aus „Im Hause Longbourn“ zu sympathisieren.

Unterhaltung für Romantiker(innen)

Trotz all den Beschwerden muss man „Im Hause Longbourn“ aber zugestehen, dass die Idee des Romans eine sehr schöne ist, nämlich zu erzählen, was so alles im Hintergrund abläuft, ohne dass die Herrschaften es bemerken. Auch, dass die Erzählung sowohl am Anfang als auch am Ende über Austens Vorlage hinausreicht, ist interessant. Besonders schön ist die Einbettung der einzelnen Kapitel in das Original: Als Kapitelüberschrift dient jeweils ein Zitat aus „Stolz und Vorurteil“, das es auch leichter macht, das Kapitel eben dort zu verorten.
Insgesamt ist „Im Hause Longbourn“ solide Unterhaltung für Romantiker(innen) und Fans des 19. Jahrhunderts. Für Fans von „Stolz und Vorurteil“ hingegen scheint es eher weniger geeignet, solange diese mit der Erwartung einiger Enthüllungen oder gar einer zweiten Jane Austen an die Lektüre herangehen. Wer hingegen die Geschichte für sich und eher unabhängig von der Vorlage betrachtet, könnte in diesem Roman auch eine recht vergnügliche Lektüre entdecken.

Im Hause Longbourn. Jo Baker. Aus dem Englischen von Anne Rademacher. Knaus. 2014.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Ach, schade. Ich bin ein großer Fan von „Stolz und Vorurteil“ und wollte diesen Roman eigentlich auch lesen. Aber Liebesromane nach Schema F sind überhaupt nichts für mich. Trotzdem eine interessante Grundlage, die sich die Autorin da ausgesucht hat. 🙂

    Antworten
  2. worteweberinannika

    Ja, die Grundlage fand ich auch super, aber hatte mir deutlich mehr von diesem Buch erwartet. Dann doch lieber noch einmal das Original lesen 😉

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