Über den zweiten Weltkrieg wurde schon viel Literatur für Kinder und Jugendliche geschrieben, mehr oder weniger gute Texte. Für seinen Roman „Verloren in Eis und Schnee“ hat sich Davide Morosinotto mit zwei russischen Zwillingen in den Wirren des Krieges beschäftigt. Worteweberin Annika hat sie durch Eis und Schnee begleitet.
Wenn ich lese, in einem Buch gehe es um den Zweiten Weltkrieg, weckt das inzwischen nicht mehr sonderlich mein Interesse. Das ist schade, ich weiß, aber uninteressante Schullektüren zum immergleichen Thema haben sich da ausgewirkt. Da ich aber ein großer Fan von Davide Morosinottos „Die Mississippi-Bande“ bin, wollte ich auch seinen neuen Roman unbedingt lesen. Ein Glück, denn „Verloren in Eis und Schnee“ macht vieles anders als andere Kriegsliteratur.
Die Zwillinge Viktor und Nadja wachsen in Leningrad auf. Ihre Eltern arbeiten dort in der Eremitage, die inzwischen ein Museum ist, und die Kinder lieben es, im Museum zu stöbern und zu spielen. Doch die Deutschen rücken auf Leningrad zu, und die Kinder sollen mit vielen anderen mit dem Zug in Sicherheit gebracht werden. Viktor muss seinem Vater versprechen, immer auf Nadja aufzupassen, und so eng, wie sich die beiden miteinander verbunden fühlen, sollte das doch eigentlich kein Problem sein. Aber es kommt anders als geplant und beide werden mit unterschiedlichen Zügen weggebracht. Von nun an ist Viktors einziges Ziel, Nadja wiederzufinden und sein Versprechen zu halten. In den Wirren des Krieges und im eisigen russischen Winter ist das jedoch nicht einfach…
Schuldig oder unschuldig?
Der Roman besteht aus den Tagebuchaufzeichnungen von Viktor und Nadja, die von ihren Eltern zum Abschied einige Hefte bekommen haben, um alles genau aufzuschreiben. Die Texte werden nach den geschilderten Ereignissen von einem russischen Oberst durchgesehen und sortiert. Um ein Urteil über die beiden zu fällen, fügt er immer wieder Kommentare hinzu, zum Beispiel über die Paragraphen, gegen die die Kinder gerade verstoßen haben. Zwischen den einzelnen Heften gibt er kurze Zwischenberichte über seine momentane Einschätzung ab. Alles mit dem Ziel, am Ende einen seiner beiden Stempel zu verwenden: schuldig oder unschuldig.
Auch wenn die Situation mit den beiden Stempeln etwas aufgesetzt erscheint und auch manche Kommentare aus Erwachsenensicht nicht sehr realistisch wirken, fügt diese Situation dem Roman eine weitere spannende Handlungsebene hinzu, denn natürlich möchte man das Urteil des Obersts erfahren.
Ein Hingucker
Optisch macht „Verloren in Eis und Schnee“ ähnlich wie Morosinottos letztes Buch „Die Mississippi-Bande“ viel her, nur dass hier tatsächlich jede Seite recht aufwändig gestaltet ist: Alle Seiten haben einen leicht angegrauten Ton erhalten, um direkt den Eindruck alter Dokumente zu erwecken. Nadja und Viktor schreiben in unterschiedlichen Farben, die Kommentare des Obersts haben eine weitere. Hinzu kommen viele Fotos, Karten und Zeichnungen, die die Kinder ihren Berichten hinzufügen.
Der Krieg wirkt sich natürlich stark auf das Leben der Kinder aus: Sie sind mit Hunger, Bombenangriffen, Gewalt und immer wieder auch dem Tod konfrontiert. Teilweise geraten sie in ausweglos erscheinende Situationen, aus denen sie sich wieder befreien müssen.
„Der Winter kommt und mit dem Winter kommt der Feind. Er fegt alles weg. Menschen, Gedanken, meine Welt, so wie sie war und nie wieder sein wird. Alles ist zerstört. Aber ich lebe noch. Ich werde unter der Schneedecke warten, wie die Glut, die unter einen dünnen Ascheschicht weiterglüht. Ich bin Nadja. Und ich bin hier.“ (S. 193)
Immer scheint zwischen den Worten aber etwas Hoffnung hindurch, Hoffnung darauf, einander wiederzufinden, auf das Ende des Krieges und auf ein Wiedersehen mit den Eltern. Der Roman zeigt, zu welch grausamen Handlungen eigentlich ganz „normale“ Menschen im Krieg fähig sind und er ergreift nicht Partei für eine Seite. So wie es grausame Deutsche gibt, treten auch herzlose Russen auf und die Kinder begreifen, dass alle nur Menschen sind. Im Nachwort weist Morosinotto darauf hin, dass er Krieg wie seine Figuren für sinnlos hält und das im Roman zeigen wollte. Es gelingt.
„Verloren in Eis und Schnee“ ist ein aufwändig gestalteter Roman, der durch seine interessante Erzählweise im Tagebuchformat mit Kommentaren glänzt und eine wichtige Botschaft vermittelt. Eine große Empfehlung!
Verloren in Eis und Schnee. Die unglaubliche Geschichte der Geschwister Danilow. Davide Morosinotto. Aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi. Thienemann Verlag. 2018. // Die Rezension zu „Die Mississippi-Bande“ gibt es hier.
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