„Lies mich!“

von | 15.04.2015 | Belletristik, Buchpranger

„Bevor ich geboren wurde, war alles weiß. Bevor ich geboren wurde, hätte ich alles werden können. Der erste Satz zerstörte das Weiß und machte das übrige Weiß umso weißer. Zu diesem Satz gesellte sich ein zweiter, der einen dritten nach sich zog, der einen vierten mit sich brachte. So begann ich zu wachsen und spürte wonnevoll, wie sich meine Seiten füllten.“

„Lies mich“ von Sara Reichelt – erschienen 2014 im Verlag 3.0 – ist die Geschichte der Entstehung und des Werdegangs eines Buches. Sie erzählt zunächst aus der Perspektive des „Ur-Buches“ oder „Buches Nummer 1“, das unter anderem vom „weißen“ Anfang, von Schreibblockaden und von der Schwierigkeit des Titel-Suchens berichtet. Darauf folgen die Erzählungen von jeweils einem oder mehreren der 24 anderen, identischen Buch-Klone, die sich zu Beginn alle gemeinsam in einem Karton in der Wohnung der „Schöpferin“ befinden, deren Ziel und Wunsch es jedoch ist, ein Publikum zu finden. Der Reihe nach kommen sie alle auf die eine oder andere Weise aus dem Karton und machen sich auf eine abenteuerliche Reise, sei es als Vorleseexemplar der Autorin oder als Reisebegleitung eines ungarischen Herren.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass sich nach jedem Kapitel, also nach jeder Erzählung, ein Gedicht findet, das die Gedanken des berichtenden Buches wiedergibt und nochmals den Inhalt des Kapitels reflektiert. Dies geschieht in einer sehr kunstvollen, aber auch rätselhaften Sprache, die den Leser dazu anhält, gewisse Stellen mehrmals zu lesen und selbst nachzudenken, um die Texte einerseits verstehen, andererseits aber auch Parallelen zum eigenen Leben ziehen zu können.

„Lies mich“ ist sehr angenehm zu lesen: einerseits aufgrund der recht kurzen Kapitel, in denen aber dennoch alles steht, was nötig ist, andererseits wegen der Verbindung von Prosa und Lyrik. Dadurch entsteht eine Art Gesamtkunstwerk, das den Charakter der einzelnen Bücher, ihre individuellen Gedanken und Gefühle so deutlich zum Ausdruck bringt, dass man als Leser richtig mitfiebert und jedem einzelnen Buch nur das Beste wünscht. Denn schlussendlich fordern sie alle nur eines: Lies mich!

Silvia

Lies mich, Sara Reichelt, Verlag 3.0, 2014

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