Magisches Jugendbuch, holprig übersetzt

von | 03.11.2017 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Endlich auf Deutsch erschienen! Buchstaplerin Maike war sehr gespannt darauf, ob Rainbow Rowells „Carry On“ auch übersetzt funktioniert, immerhin lebt das Buch von der Magie der Worte. Leider verpufft der sprachliche Zauber in „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“…

Er ist der Auserwählte. Seine Allmacht wurde prophezeit, die magische Welt vom größten aller Feinde zu befreien. Aber da muss sich irgendwer vertan haben … Simon Snow geht nun schon das achte Jahr auf die britische Zauberschule Watford, und jetzt bahnt sich der Showdown an: Die Beziehung zu Simons Freundin kriselt. Simons Erzfeind und Mitschüler Baz lässt sich hingegen nicht blicken, um Simon zu schikanieren. Simon hat seine Zauberkräfte ganz und gar nicht unter Kontrolle – brandgefährlich, wenn „Der Hinterhältige Schatten“, der die Magie aus der Welt stiehlt, immer neue Angriffe verübt. Zu viele Rätsel auf einmal! Warum sieht der „Schatten“ aus wie Simon? Was hat der Schulleiter mit all dem zu tun? Ist Baz ein Vampir? Und wie geht man damit um, wenn man plötzlich mit seinem ewigen Erzfeind eine Liebesbeziehung führt?

Fanfiction oder verwaistes Jugendbuch? Beides!

Ich habe die englische Originalfassung bereits kurz nach der Erscheinung 2015 gelesen. Meine Bewertung zu inhaltlichen und erzählerischen Raffinessen (und Schwächen) gilt daher nach wie vor. Rowells „Simon Snow“ ist fiktive Hauptfigur einer Harry-Potter-ähnlichen Buchreihe aus dem Roman „Fangirl“. „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“ ist wiederum die Fanfiction, die Cath in „Fangirl“ schreibt. Der Roman lässt sich so auf zweierlei Weisen lesen: Als Kommentar auf Fankultur und Jugendbuchkonventionen – und als eigenständige Geschichte.

Vom Plot klingt es wie der achte Band einer Jugendbuchreihe, steht aber für sich allein. Das bringt einige Schwierigkeiten mit sich, die leider nicht immer besonders gut gelöst werden. Sieben Jahre Abenteuer an einer Zauberschule in Nebensätzen zu erklären, das wirkt eher störend. Denn anstatt die LeserInnen selbst die Lücken füllen zu lassen, wird manches gleich doppelt und dreifach erläutert. Und auch die Aufteilung der Kapitel hilft nicht, das Buch flüssig zu lesen. Von Kapitel zu Kapitel ist die Geschichte aus der Ich-Perspektive einer anderen Figur erzählt, was sie einerseits näher bringt und möglich macht, dass wir mehr wissen als die einzelnen Figuren. Aber andererseits ist dadurch einiges zu vorhersehbar. Und die unterschiedlichen Stimmen ähneln sich zu sehr, sodass man beim Lesen durcheinander kommt.

Kauderwelsch statt Sprachmagie?

Das, was mich bereits bei meiner ersten Lektüre auf Englisch begeistert hat, ist die originelle Interpretation von Magie und Zaubersprüchen. Denn in Rowells Welt sind es keine toten Sprachen, denen Zauberkraft innewohnt, im Gegenteil. Je lebendiger eine sprachliche Wendung, umso stärker ist sie als Zauberspruch: Geflügelte Worte, Sprichwörter, Kinderreime, Liedzeilen. Doch das sind genau die sprachlichen Wendungen, die schwer bis unmöglich übersetzt werden können. Leider gelingt es der Übersetzerin nicht immer, und viel zu häufig sind einzelne Stellen holprig und sinnentstellt wiedergegeben, als wäre die Übersetzung unter Zeitdruck entstanden.

Bei der Übersetzung der Zauberworte fehlt der rote Faden, wie nah sich am englischen Original orientiert wird. Mal finden sich gute Entsprechungen im Deutschen, dann aber wird scheinbar eins zu eins übersetzt, sodass der „magische“ Charakter eines geflügelten Wortes nur in Verwirrung umschlägt. Das zeigt sich gerade bei Zaubern, die aus englischen Liedzeilen stammen. Die Eindeutschung bekannter Textzeilen zerstört den Eindruck von Lebendigkeit – wer würde darauf kommen, dass der Zauber „Melde dich mal“ (S. 50) eine Anspielung auf den Sommerhit „Call Me Maybe“ ist, den auch deutsche LeserInnen noch im Ohr haben werden. An anderen Stellen wird jedoch der englische Text beibehalten („U Can’t Touch This“, S. 237)) – mehr als verwirrend.

Pixies? Fairies? Egal, Hauptsache Fabelwesen.

All das stört den Lesefluss an sich genug, aber leider ist das noch nicht das Ende. Nur einige Beispiele: Die Übersetzung zeigt sich einerseits kreativ beim Übertragen von Fabelwesen, die es bei uns nicht gibt („numpties“ werden zu „Bratzen“), andererseits wird plötzlich kein Unterschied zwischen zwei unterschiedlichen Spezies gemacht: „fairies“ und „pixies“ sind nun beides „Feen“. Und dann haben sich einige grobe Übersetzungsfehler eingeschlichen. Es ist nicht dasselbe, ein Leben zu haben „that passes the Bechdel test“ oder eines „abseits des Bechdel-Tests“ (S. 312). Genauso wenig wird ein Vampir Angst haben, vor anderen Menschen zu essen, da seine „Fangzähne knacken“ (S. 385) – wahrscheinlich verrät ihn eher, dass die „fangs pop“, also „herauskommen“.
Ich hoffe, dass in einer neuen Auflage die gravierenden Schwächen der Übersetzung behoben werden, denn „Simon Snow“ hat durchaus Potenzial, den Jugendbuchmarkt mit einem Augenzwinkern aufzumischen.

Wer kann, sollte Rainbow Rowells Welt um Simon Snow unbedingt auf Englisch erkunden. Denn inhaltlich lohnt es sich durchaus. Gerade wenn es darum geht, vermeintlich immer gleiche Fantasy-Jugendbücher sowohl zu parodieren als auch mit ganz neuen Ideen aufzuwarten, hat „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“ durchaus einiges zu bieten.

Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow. Rainbow Rowell. Übersetzung: Brigitte Jakobeit. dtv. 2017. BK-Altersempfehlung: 13 Jahre.

Carry On! Auf ungewöhnliche Weise gewöhnlich

Fangirls l(i)eben eben anders

 

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