Sonderbare Träume, ein Holzsammelverbot im Wald und merkwürdiges Gerede über Mehrarbeit und Wirtschaftswachstum … Was hat das alles zu bedeuten? Mit „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“ wagen sich die (Wirtschafts-)Podcaster und Journalisten Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt an den Versuch, eine Geschichte für Kinder zu schreiben, die die gängige Ideologie des Kapitalismus hinterfragt. Und es ist ihnen gelungen, findet Bücherstädterin Luisa.
Die Geschwister Karl und Rosa leben im Königreich Feudalia und gehen dort einem bäuerlichen, vorindustriellen Leben nach. Doch als die beiden eines Tages im Wald eine große Absperrung vorfinden, die ihnen das Holzsammeln verbietet, wird ihre kleine Welt schnell auf den Kopf gestellt.
Vom Feudalismus zum Kapitalismus
Die Königin verkündet ihren Beschluss, sich mit den Fabrikbesitzern der Nachbarinsel Capitalia zusammenzuschließen, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Binnen kürzester Zeit sieht sich die Bevölkerung gezwungen, ihre Höfe zu verlassen und in die Stadt zu ziehen. Statt Holz im Wald zu sammeln, müssen Karls und Rosas Eltern nun in einer Holzfabrik schuften – für einen Lohn, der kaum zum Leben reicht. Viele Kinder werden ebenfalls in die Fabrik geschickt und wer nicht arbeitet, kommt ins Arbeitshaus. Langsam beginnen die Geschwister, das herrschende System zu hinterfragen. Denn eigentlich waren den Bauern und Bäuerinnen in der Stadt Reichtum und Wohlstand für alle versprochen worden. Und doch profitieren nun nur einige wenige Fabrikbesitzer von dem erarbeiteten Reichtum. Muss das denn so sein? Und was kann man dagegen unternehmen?
„Von allem ist reichlich da, genau wie Sense und Hippe es uns damals erzählt haben. Dennoch können wir uns kaum etwas davon kaufen!“ (S. 96)
Kapitalismuskritik in Kinderbuchform
Mit erfrischend kindlicher Naivität trauen sich die Geschwister – deren Namensvetter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sich ebenfalls für Arbeiter*innenrechte einsetzten – Fragen zu stellen und nachzuforschen. Die Theorien zu politischer Ökonomie und Marxismus werden so anschaulich und kindgerecht erklärt. Vom Verlag empfohlen ist das Buch ab 10 Jahren. Doch trotz der altersentsprechenden Sprache und Erzählweise, können sowohl Kinder als auch alle politisch Interessierten etwas von diesem Buch mitnehmen.
Geschickt in die Geschichte eingeflochten werden kapitalistische und marxistische Begriffe und Theorien, die anschließend in anschaulichen Allegorien erklärt werden. So etwa, wenn die Kinder auf dem Marktplatz an einem wettkämpferischen Spiel teilnehmen, nur um danach zu realisieren: „Selbst wenn der Wettbewerb gerecht wäre – es können gar nicht alle schaffen, das Spiel zu gewinnen. Nein, es sollen gar nicht alle schaffen. Es sollen nicht alle zur gleichen Zeit im Ziel ankommen. Sogar wenn alle gleich viel Zeit zum Üben und gleich gute Reifen hätten, würde am Ende nur einer gewinnen – und alle anderen sind Verlierer.“ (S. 130) Die Geschichte spinnt sich um die Erklärung politischer Theorie herum auf – und das merkt man leider auch, wenn es um die Charaktere geht, die stellenweise flach und leblos wirken. Ich kann mir vorstellen, dass es manchen Kindern dadurch schwerfallen könnte, sich in Karl und Rosa einzufühlen, ihre Probleme nachzuvollziehen und sich mit den beiden zu identifizieren.
Ein Kinderbuch, das zum Nachdenken anregt
Das Buch behandelt die Anfangstage des Kapitalismus, der gerade das feudale Leben ablöst – und bleibt durch seine Erklärungen über die Funktionsweise und Ideologie des Kapitalismus trotzdem hochaktuell. Dabei wird das feudale Leben keineswegs romantisiert. Es wird jedoch aufgezeigt, dass der Kapitalismus ebenfalls so manches Übel mit sich bringt und zu keiner nennenswerten Verbesserung der Lebensumstände geführt hat.
Zudem beeindruckt das Buch durch eine wortgewandte Sprache, die den Wortschatz von Kindern auf spielerische Art und Weise erweitert. Bereichert wird die Geschichte noch durch wunderschöne Schwarz-Weiß-Illustrationen von Nick-Martin Sternitzke, die das beklemmende Gefühl des Kapitalismus treffend übermitteln. Und ja, das Buch kann Kinder politisieren, aber es indoktriniert sie nicht, sondern bringt ihnen viel mehr bei, dass es wichtig ist, Fragen zu stellen, nachzubohren, wenn man etwas nicht versteht und anderen Menschen nicht blind zu vertrauen, sondern sich eine eigene Meinung zu bilden und sich zu wehren, wenn man ungerecht behandelt wird. Insgesamt zeigt das Buch eindrucksvoll, wie komplexe gesellschaftliche Themen kindgerecht vermittelt werden können und bietet zugleich eine wertvolle Grundlage für Diskussionen über Gerechtigkeit und Solidarität – für Kinder und Erwachsene gleichermaßen.
Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut. Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt. Insel. 2024.
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