Nervös klopfte Matthias an die Holztür der Kellerwohnung, die sich sein Vermieter ausgebaut hatte. Als sich eine Weile nichts getan hatte, beschloss er, es später erneut zu versuchen, und machte sich auf den Rückweg. Vielleicht war er noch auf der Arbeit oder unterwegs.
„Herr Sommerfeld?“, rief ihn die rauchige Stimme seines Vermieters.
„Hi, hallo, ich, ähm“, stammelte Matthias, nachdem er sich ruckartig umgedreht hatte, die Hände in den Hosentaschen. Er kniff die Augen zusammen und versuchte sich an die Worte zu erinnern, die er sich auf dem Weg zurechtgelegt hatte.
„Kommen Sie doch erstmal herein, dann brauchen wir das nicht auf dem Flur zu besprechen“, schlug der andere vor und trat einen Schritt zur Seite, um ihn mit einer Handbewegung reinzuwinken.
Matthias nickte und ging mit gesenktem Kopf an ihm vorbei in die Wohnung, die aus einem Katalog stammen könnte. Sie setzten sich an den Esstisch, der aussah, als säße selten jemand daran.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Herr Dohren ihn freundlich.
Überwältigt konnte Matthias die Tränen nicht zurückhalten, die simple Nettigkeit nach all seinen Rückschlägen war zu viel für ihn. Vor drei Monaten war ihm vom Amt der Geldhahn abgedreht worden. Formfehler. Prüfung der Gegebenheiten. Seitdem: Zwiebelportemonnaie. Herr Dohren hatte ihm einen Mietaufschub gewährt, der nun endete. Matthias atmete, von seinem emotionalen Ausbruch erschöpft, tief durch und legte den Kopf in die Hände. Er hörte, wie Herr Dohren für einen Moment den Raum verließ. Kurz darauf stellte er ein Glas Wasser auf den Tisch, das Matthias dankbar annahm.
„Ich hab echt alles versucht, aber ich bekomm immer nur wir melden uns, wenn alles fertig ist von denen zu hören.“ Er dachte an die mageren Ersparnisse aus seinem Studentenjob, die er nicht zum reinen Überleben gebraucht hatte. „Ich hab ungefähr eine halbe Miete zusammen, ich weiß, das ist nicht viel, aber ich brauch diese Wohnung unbedingt!“
Herr Dohren schwieg, hatte sich alles ruhig angehört. Ohne Vorwarnung eröffnete er: „Wenn Sie wirklich etwas beitragen wollen, ohne die Miete zu zahlen, gäbe es etwas, das Sie für mich tun könnten.“
Die Räder in Matthias‘ Gehirn begannen zu arbeiten. Meinte er Hausmeisterdienst oder etwa – ? Seine Verwunderung musste ihm an der Nasenspitze ablesbar sein, denn der andere seufzte.
„Eine Spende sozusagen.“
Matthias hob verwundert die Augenbrauen. „Ich habe doch kein Geld, wie soll ich da etwas spenden?“
„Nicht Geld. Blut.“
Mit offenem Mund starrte Matthias seinen Vermieter an und versuchte das Gesagte zu verarbeiten. „Blut?“, fragte er verdutzt. „Gibt es denn einen Blutspendedienst in der Nähe, wo man gegen Geld spenden kann?“
„Nein, ich meinte eher in einem privateren Rahmen“, antwortete Herr Dohren kryptisch.
Matthias‘ Magen zog sich zusammen. Warum brauchte sein Vermieter Blut? Der andere schien sein Unverständnis, wenn auch nicht sein Unbehagen, zu bemerken, denn er fuhr im Plauderton fort: „Sie sollen mir spenden. Ich besitze die im Krankenhaus üblichen Gerätschaften, die entsprechend steril sind. Mehr als die üblichen Spendenmengen brauche ich nicht.“
„Wofür brauchen Sie mein Blut?“, fragte Matthias skeptisch, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er die Antwort wirklich wissen wollte.
„Um es zu trinken.“
Matthias setzte an, etwas zu sagen, etwas zu fragen, doch aus seiner Kehle entwich nur ein Quietschen.
„Ich bin ein Vampir. Ich ernähre mich in erster Linie von Tierblut, aber Menschenblut ist eine gern gesehene Abwechslung.“
Ein verkapptes Lachen konnte Matthias sich nicht verkneifen, doch dann sah er den Blick seines Vermieters. Er meinte es ernst. Das war kein Scherz.
„Also? Sind Sie einverstanden?“, wollte Herr Dohren, der Vampir, wissen.
Innerlich wägte Matthias seine Möglichkeiten ab. Nahm er das Angebot an, könnte der Vampir auf den Geschmack seines Blutes kommen und mehr wollen, ihm auflauern oder angreifen. Matthias kniff die Augen zusammen. War das überhaupt eine Möglichkeit? Herr Dohren wirkte gefasst und kontrolliert. Und fünfhundert Milliliter Blut für den Wert einer Miete war ein Angebot, das er nicht guten Gewissens abschlagen konnte. Abgesehen davon, dass er nicht wusste, wie der Vampir auf eine Absage reagieren würde, nun da Matthias wusste, was er war. Außerdem wollte der Vampir ihn nicht beißen, um an sein Blut zu gelangen, und umziehen war definitiv keine Option.
„Wissen die anderen Mieter eigentlich, was Sie sind?“, fragte Matthias, als Herr Dohren die Gerätschaften auf dem Esstisch aufbaute. So nervös er auch war, seine Neugierde war doch geweckt worden.
„Die Älteren. Irgendwann kann man nicht mehr verbergen, dass man selbst nicht altert“, erklärte er beiläufig, „Die meisten nutzen meine Wohnungen nur als Übergangslösung und leben nicht lang genug hier, um etwas zu bemerken.“ Er bedeutete Matthias, ihm seine Hand zu geben und stach ihm mit einer kleinen Nadel in die Fingerspitze des Zeigefingers.
„Au!“, protestierte Matthias und zog die Hand weg, um den sich bildenden Blutstropfen abzulecken, doch sein Handgelenk wurde mit einer Kraft festgehalten, die keine weitere Bewegung zuließ.
„Ich prüfe Ihren Eisenwert, so wie es auch bei der Blutspende gemacht wird“, erklärte Herr Dohren trocken und bestimmt, seine Augen so kalt wie seine Hand.
Matthias schluckte und nickte.
Als sich der Test als zufriedenstellend erwies, setzte der Vampir die Nadel gekonnt ein. Anschließend überließ er Matthias seinen Gedanken, während das Blut langsam aus ihm herauslief, indem er sich in ein Nebenzimmer zurückzog. Den Gerätschaften nach zu urteilen, war er bei weitem nicht der erste Mieter oder Mensch, der als Nahrungsergänzungsmittel diente. Vielleicht sollte er sich mit den anderen austauschen, oder sie zumindest informieren, dass nun auch er zur Mahlzeit geworden war.
Das Piepen der Maschine ließ Matthias zusammenzucken. Ehe er sich versah, war die Einstichwunde versorgt und er stand verdattert wieder im kalten Kellerflur.
„Danke, wir sehen uns dann in drei Monaten“, verabschiedete sich der Vampir mit einem Grinsen, das seine scharfen Eckzähne offenbarte, bevor er Matthias die Tür vor der Nase zumachte.
Für einen Moment starrte Matthias vor sich hin, versuchte das Geschehene zu begreifen. Dann schüttelte er den Kopf. Hoffentlich hatte sich bis dahin alles geregelt. Einerseits war die Blutspende eine günstige Alternative, andererseits wollte er nicht mitten in der Nacht überfallen und ausgesaugt werden. Vielleicht sollte er mit den anderen Mietern auch über Schutzmaßnahmen sprechen? Würden sie ihm überhaupt glauben? Seinen Freunden sollte er besser nicht davon erzählen, die erklärten ihn vermutlich für verrückt. Oder fingen an, Herrn Dohren zu belästigen, indem sie ihm ihr eigenes Blut anboten. Da bezahlte er dann doch lieber seine Miete, wie es sich gehörte, um weiter in dem Glauben zu bleiben, dass alles in seinem Haus komplett normal war.
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