Miss Yang geht ins Finish – Der Kryger-Diamant (Teil III)

von | 31.05.2019 | Kreativlabor

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Was bisher geschah:

Isa Yang, die Tochter eines Hongkong-Chinesen und einer Deutschen, ist damit betraut worden, ein Päckchen von Berlin nach Hannover zu transportieren. Bald jedoch bemerkt sie, dass sie verfolgt wird. Als ehemalige Mitarbeiterin des Britischen Geheimdienstes ist Isa aber mit allen Wassern gewaschen und kann sich zunächst der Verfolgung entziehen. Im Zug von Berlin nach Hannover stellt sie jedoch fest, was ihr von ihrem Chef Frankie nicht mitgeteilt worden ist: In dem Päckchen befindet sich ein berühmter Diamant! Sie nähert sich nun dem Ziel ihrer Reise, der niedersächsischen Landeshauptstadt, immer noch in Sorge, verfolgt zu werden …

Hier geht es zum 1. Teil der Geschichte: Miss Diamant – Der Kryger‐Diamant (Teil I)
2. Teil: Miss Yang macht eine Entdeckung – Der Kryger‐Diamant (Teil II) [/tds_note]

Miss Yang geht ins Finish – Der Kryger-Diamant (Teil III)

Langsam fuhr der Zug in den Bahnhof ein, draußen war es längst dunkel. Vor Isa standen noch mehrere Reisende, doch endlich konnte auch sie aussteigen. Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts – und ihre Befürchtungen wurden wahr! Ihre Verfolger! Die verbliebenen zwei Frauen und der stämmige Mann! Schnell sprintete Isa in Richtung Treppe, um vom Bahnsteig nach unten ins eigentliche Bahnhofsgebäude zu gelangen. Dann wandte sie sich nicht etwa zum nächstbesten Ausgang, sondern rannte in Richtung des anderen, weiter entfernteren. Der führte zum Bahnhofsvorplatz mit König Ernst August auf seinem Ross.

Trotz der späten Tageszeit war im Bahnhof noch vergleichsweise viel los. Ständig musste Isa entgegenkommenden Passanten ausweichen. Zwischendurch warf sie einen Blick nach hinten. Während der stämmige Mann Schwierigkeiten hatte, das Tempo zu halten, waren die beiden Frauen sportlicher und Isa weiterhin auf den Fersen. Die sah sich nun damit konfrontiert, dass eine größere Menge junger Leute, Partyvolk wohl, ihr den Weg versperrte.

Kurzentschlossen stürzte Isa zur nächsten Treppe, wieder nach oben. Dort stand eine S-Bahn. Isa schlüpfte hinein und drehte sich drinnen in Richtung der beiden Verfolgerinnen um – und war verblüfft! Die eine Verfolgerin war  mit einer schwergewichtigen Dame kollidiert. Die andere hingegen war, im Bemühen, den beiden auszuweichen, auf den kräftigen Begleiter der Dicken aufgelaufen … Es herrschte Konfusion, vor allem die dicke Frau drohte fast handgreiflich zu werden … Als die beiden Verfolgerinnen schließlich die Bahn erreichten, war es zu spät; sie fuhr los! Isa erhaschte noch den wütenden Blick der einen, dann waren die beiden Frauen auch schon aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Isa kannte sich glücklicherweise aus, wusste, dass sie binnen kürzester Zeit am Bahnhof Nordstadt die Bahn wieder verlassen konnte; die Fahrt dauerte nur etwas mehr als eine Minute. Am Bahnhof angekommen lief sie schnell die Treppe nach oben und durch einen schmuddeligen Gang ins Freie. Hier fuhr eine Straßenbahn, doch zu dieser Uhrzeit, kurz nach halb zehn, war nichts zu sehen.

Isa schaute nach links und sah ein Taxi, das am Fahrbahnrand stand. Der Fahrer stand an den Wagen gelehnt und rauchte. Isa trat auf ihn zu und fragte: „Sind sie frei? Ich habe es eilig, muss nach Linden[1] …“ Der Taxifahrer wirkte unschlüssig – alles andere als ein freundlicher Mensch, so schien es Isa, die innerlich vor Ungeduld zerging, bloß weg wollte, um ihren Auftrag endlich zum Abschluss zu bringen. Deutlich nahm sie wahr, wie der Mann überlegte, schließlich sagte er: „Will eigentlich Feierabend machen …“ Aha, er war auf Geld aus! Isa zog einen Zwanziger aus der Tasche, riss ihn durch und reichte ihm die eine Hälfte! Das entlockte dem Taxichauffeur ein Grinsen: „Geht klar! Steigen Sie ein!“

Nachdem ihm die Adresse genannt worden war, fuhr der Chauffeur los, legte einen professionellen Fahrstil an den Tag. Schneller als der Durchschnittsfahrer, aber auch nicht rasend. Isa hingegen griff zu ihrem Mobiltelefon und rief die angegebene Nummer, um ihr Kommen wie verabredet anzukündigen. Eine Männerstimme meldete sich nur mit „Hallo“. Isa sagte, sich an den vereinbarten Wortlaut mit dem Codenamen haltend: „Spreche ich mit Jörg?“ „Der bin ich. Und Sie sind …?“ „Hier ist Melanie, bin in ein paar Minuten da.“ „In Ordnung, ich sage Christina Bescheid.“

Das war die korrekte Erwiderung, das Überbringen des Päckchens möglich, andernfalls hätte es geheißen: „Christina ist leider nicht da.“ Auch die übrigen Sätze des Wortwechsels waren vorher vereinbart worden, alles war plangemäß. Isa legte auf. Sie lehnte sich zurück und dachte darüber nach, wie sie von ihren Verfolgern hatte aufgespürt werden können. Es konnte nur so gewesen sein, dass die dritte Person im Berliner Hauptbahnhof, während die beiden anderen die benachbarten Züge inspiziert hatten, Isa bemerkt und die anderen via Mobiltelefon herbeigerufen hatte. Im letzten Augenblick hatten diese dann den Zug besteigen können, um die Verfolgung bis nach Hannover fortzusetzen. Aber jetzt, so hoffte die Eurasierin, war sie endlich ohne Verfolger und in der Lage, den Diamant zu überbringen!

Trotz zweier Ampelstopps erreichte das Taxi in weniger als zehn Minuten das Fahrziel.  Nachdem er die andere Hälfte des zerrissenen Scheines erhalten hatte, wendete der Fahrer, während Isa noch am Fahrbahnrand wartete, grüßend die Hand hebend. Als das Taxi verschwunden war, ging sie die zehn Hausnummern weiter zu der richtigen Adresse – eine Vorsichtsmaßnahme, die vielleicht noch einmal von Bedeutung sein konnte …

Das Klingelschild trug den Allerweltsnamen „Schulz“. Isa drückte zweimal kurz und dreimal lang, es verging eine gewisse Zeit, dann wurde sie eingelassen. Das Apartment befand sich im Erdgeschoss, eine dunkelblonde Frau in mittleren Jahren stand im hellen Eingang der Wohnung. Jenseits davon, im hinteren Bereich des Flurs, erkannte Isa eine Hintertür, die wohl in einen Innenhof führte …

Die Frau bemerkte ihren Blick und lächelte, fragte aber nur in einem Deutsch mit deutlich erkennbarem slawischen Akzent: „Sie kommen aus London, nehme ich an?“ „Über Berlin, ich musste noch ein Geschenk besorgen.“ Auch dieser Wortwechsel war ein vereinbarter Code, so dass Isa eingelassen wurde und sich die Tür hinter ihr schloss. Die Frau reichte ihr die Hand, sagte: „Mein Name ist Ewa.“ „Meiner lautet Melanie“, entgegnete Isa, woraufhin die andere leise lächelte, als wüsste sie genau, dass es sich um ein Pseudonym handelte.

Ewa machte eine einladende Geste, es ging einen kahlen Flur entlang in ein nur mit einem Tisch und drei Stühlen möbliertes Zimmer ohne Bilder. Auf einem der Stühle saß ein unscheinbarer Mann in den Dreißigern, der bei ihrem Eintreten aufstand. Das einzig Auffällige an ihm war, dass er Handschuhe trug. Der Mann musterte Isa mit ruhigem Blick, meinte dann nur: „Genau wie von Frankie beschrieben. Sie sind ein interessanter Typ Frau. Ich bin Jörg.“ „Angenehm, Melanie“, antwortete Isa. „Jörg“ sagte: „Sie müssen schon entschuldigen, es sieht hier ziemlich trist aus, bald aber zieht jemand anderes ein.“

Alle drei setzten sich an den Tisch, und Ewa schaute ihr Gegenüber auffordernd an, während „Jörg“ anführte: „Ich muss gleich weg und wäre Ihnen nun dankbar, wenn Sie uns Ihr, äh, Mitbringsel zeigen könnten.“ Isa lächelte, holte das Päckchen aus ihrer Handtasche und legte es auf den Tisch. Achtlos riss Ewa das Papier auf, nahm dann dankbar das ihr von Isa entgegen gereichte kleine Messer und durchschnitt den Klebestreifen, der den kleinen Geschenkkarton verschloss. Dann hielt sie den Beutel in der Hand, wobei Isa auffiel, dass Ewa fast unmerklich zitterte, so erregt war sie. Schließlich öffnete sie den blauen Beutel, ohne sich an Isas Gegenwart zu stören, von der sie doch annehmen musste, dass die den Inhalt dieses Beutels nicht kannte …

Beide Frauen und „Jörg“ schauten auf den Diamanten, fast atemlos ob seiner Schönheit, seines fast schon unwirklichen Glanzes. Es wirkte beinahe so, als gäbe es nur noch diesen Stein. Die Blicke der drei waren eine ganze Zeit gefesselt von dem Edelstein, bis schließlich Ewa den Bann brach, indem sie mit bewegter Stimme sagte: „Sie wissen gar nicht, was das für mich bedeutet …“ Die Eurasierin erwiderte: „In der Tat ein wunderschöner Edelstein!“ Ewa nickte, verbarg den Diamant wieder in dem Beutel, steckte diesen in eine Jackentasche. Dann griff sie zu einem Mobiltelefon, das sie aus einer anderen Tasche ihrer dünnen Jacke zog, gab eine Nummer ein und sagte etwas in einer slawischen Sprache – wohl Polnisch, dachte Isa.

Nachdem sie den Anruf erledigt hatte, meinte Ewa erklärend: „Ich habe soeben die Zahlungsanweisung gegeben. Ihr Boss wird in Kürze den Rest des Geldes per Boten erhalten. Die Anzahlung hatte er ja bereits gekriegt und jetzt weiß ich, dass wir die richtigen engagiert haben. Es tut gut, mit jemandem Geschäfte zu machen, der noch so etwas wie einen Ehrenkodex kennt. Auch wenn Sie den Stein für Geld überbracht haben, kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin! Auch Ihnen, Herr … Jörg.“

Bevor irgendjemand etwas darauf erwidern konnte, begann das auf dem Tisch liegende Handy Ewas zu vibrieren. Die griff danach, las eine Nachricht, erbleichte und stieß gepresst hervor: „Wir müssen hier weg – kommen Sie mit mir, durch den Hintereingang im Hausflur, schnell!“ Alle drei sprangen auf. Isa, die Handtasche in der linken, den Griff des Trolleys in der rechten Hand, folgte Ewa mit schnellen Schritten zur Wohnungstür. Jörg hingegen verschwand durch eine andere Tür und ward nicht mehr gesehen. Die beiden Frauen jedoch eilten weiter. Zuerst in den Flur und danach schnell nach links, ohne den Lichtschalter zu betätigen. Gut, dass Isa beim Betreten des Flures den Hintereingang wahrgenommen hatte!

Instinktiv folgte sie Ewa in der Dunkelheit bis zur Tür des Hintereinganges. Dann in den Hof, während hinter ihnen das Licht im Flur anging! Schnell über den Hinterhof zu dem Durchgang gegenüber. Dort stand ein Auto mit laufendem Motor! Die Hintertür des Wagens war geöffnet. Zuerst sprang Ewa hinein, dann Isa mit Handtasche und dem Trolley. Als der Wagen anfuhr, erhaschten sie einen Blick auf die schattenhaften Umrisse einer Person, die gerade den Innenhof überquerte – zu spät! Der Wagen nahm schnell Fahrt auf, der Fahrer, ein nach Knoblauch riechender Mann in mittleren Jahren mit Schnauzbart, gab richtig Gas! Die beiden Frauen auf dem Rücksitz blickten zurück, sahen eine schwarze Gestalt auf der Straße, von einer trüben Laterne beschienen, die erregt die Faust schüttelte … Beide Frauen sahen sich im Halbdunkel des Wagens an und lächelten erleichtert, während der Fahrer beschwingt zu pfeifen anfing …

Epilog

London, in der Nähe von Elephant & Castle, südlich der Themse, eine kleine Wohnung an einem bewölkten Vormittag. Isa Yang war gerade von ihrem Postfach zurückgekommen, hatte drei Briefe mitgebracht. Zwei hatte sie sich bereits angesehen, bevor das Teewasser zu kochen angefangen hatte. Nichts Wichtiges bisher. Es verblieb nur noch ein Brief. Der war von Frankie. Erneut griff die Eurasierin zu ihrem Brieföffner. Der Tee war nun fertig und duftete in ihrem Becher, mit ein bisschen Milch, aber ohne Zucker. Isa seufzte zufrieden, während sie geschickt die Klinge führte und den Umschlag aufschnitt.

Ein paar Wochen waren seit den Ereignissen in Deutschland vergangen, sie hatte ihr Geld erhalten und ihr Brüderchen aus dessen Schwierigkeiten befreit. Zwei, drei kleine Jobs hatte sie seitdem erledigt, nun hatte sie frei und war richtig schön entspannt, aber auch neugierig. Denn in Frankies Umschlag waren ein Zettel und ein zweiter Umschlag. Auf dem Zettel stand nur: „Eine kleine Nachricht vom Kontinent.“ Was mochte dieser letzte Umschlag enthalten, fragte sie sich.

Endlich hatte sie ihn geöffnet, entnahm ihm ein Blatt gefaltetes Zeitungspapier. Isa stutzte, setzte sich auf, war erst einmal erstaunt … Dann entfaltete sie das Zeitungspapier und wusste Bescheid! Denn in dem Zeitungsausschnitt war Ewa zu sehen, in einem schicken Kleid, vor einer Glasvitrine, flankiert von mehreren Anzugträgern. Und in der Vitrine – kaum zu sehen, darum mit einem Pfeil markiert – das musste der Diamant sein. Isa konnte in der Bildunterschrift nur mit den Worten „Kraków“, „Kryger“ und „Diament“ (also „Diamant“) etwas anfangen, aber das war eindeutig genug, auch wenn ihr der Rest des offenbar polnischen Textes unverständlich war. Quer über das Bild stand mit Kugelschreiber geschrieben: „Thank you! Grüße von Ewa und Jörg!“ Isa lächelte und griff nach ihrem Becher, um einen Schluck Tee zu nehmen. Sie schaute hinüber zum Fenster, doch sie sah nicht den bewölkten Londoner Himmel, sondern vor ihrem inneren Auge erschien ein Stein von sanftem Rosa, von betörendem Glanz.

Text: Stadtbesucher Jürgen Rösch‐Brassovan
Illustration: Geschichtenzeichnerin Celina

[1] Stadtteil, ehemaliger Arbeiterbezirk der malerischen Sorte

 

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