Nehmt eure Sprache ernst!

von | 21.06.2014 | Gedankenkrümel, Kreativlabor

Die Sprache ist also ein zweischneidiges Schwert, sie ist wahrscheinlich die mächtigste Waffe der Welt, die, wenn sie richtig eingesetzt wird, sowohl den Beginn als auch das Ende eines Krieges herbeiführen kann.

Bild: Winfried Braun, Buchstaben-Salat, piqs.de

Maow„. Wird dieser Laut in der Küche vernommen, ist schon alles klar: Der Napf soll gefüllt werden. Kommt er aber aus dem Eingangsbereich, dann soll die Tür zur Außenwelt geöffnet werden. Zwar kann dieser bezaubernde Ton in seiner Intensität variieren, je nachdem wie groß das Bedürfnis nach dem Gewünschten ist, die Botschaft bleibt trotzdem immer dieselbe. Es ist ein kleines Phänomen, wie die gemeine Hauskatze mit einem einzigen Laut all ihre alltäglichen Ziele erreichen kann. Und wir Menschen? Wir benutzen im Schnitt 15.000 Wörter pro Tag und sind trotzdem nicht immer in der Lage, unserem Willen Ausdruck zu verleihen. Sprachbarrieren begegnen uns immer wieder, sei es im Elektronikmarkt, wenn der Verkäufer verzweifelt versucht dem Kunden klar zu machen, dass die DDR1 RAM nicht mehr in die DDR3 Slots passen, obwohl sie doch eigentlich fast gleich aussehen, oder auch in der Schule, wenn die Entschlüsselung der DNA mehr Unklarheiten aufwirft als sie lösen sollte.

Natürlich ist dieses Problem wenig verwunderlich, immerhin geht für den Menschen der Gebrauch der Sprache – zum Glück – weit über die Mitteilung des Hungergefühles hinaus. Zählt man fachsprachliche Terminologien hinzu, dann hat allein die deutsche Sprache rund fünf Millionen Ausdrücke gehortet. Man müsste sich also theoretisch vom ersten Atemzug bis zur letzten Einbalsamierung – selbst nachts – alle acht Minuten einen neuen Terminus aneignen, um der momentanen Sprachvielfalt komplett gewachsen zu sein. Doch wenn man am Ende glaubt, man habe die unendliche Komplexität der scheinbar vertrauten Muttersprache gemeistert, dann wirft einem plötzlich ein Teenager Begriffe wie „Selfie“ oder „swag“ an den Kopf. Während Microsoft Word noch routinemäßig einen roten Balken unter die genannten Begriffe setzt, hat sich der Duden schon Derartiges angeeignet: Ersteres wäre demzufolge ein Foto von sich selbst, was aber „swag“ genau heißen soll, das ist noch nicht genau geklärt.

Was jedoch schon seit Längerem klar ist, ist der immer größer werdende Einfluss des Englischen. Die Zahnpasta hat nun den „whitening effect“, Nokia ‚connectet people‘ und für Adidas ist sowieso ’nothing impossible‘; Anglizismen verbreiten sich durch die Werbung und die immer gigantischere Datenflut aus dem Internet rasanter als je zuvor. Schon wieder wäre man selbst mit fünf Millionen Waffen in seinem deutschen Vokabular völlig schutzlos dem Dauerfeuer der Sprachentwicklung ausgeliefert.
Aber nicht nur die Fremdsprachen machen einem zu schaffen, wenn man nicht mit der Zeit geht. Liest man zum Beispiel ein Biologiebuch aus den 90er Jahren, so scheint der Begriff „Neger“ eine harmlose Bezeichnung für einen Menschen schwarzer Hautfarbe zu sein. Würde man einen solchen Text in einer Vorlesung des 21. Jahrhunderts rezitieren, stünden die Chancen nicht schlecht, dass manch ein Zuhörer vor lauter Empörung den Raum verließe. So und noch viel schneller kann sich nämlich die Konnotation eines Begriffes ändern.
Wenn man aber das Spiel der Sprache samt den Begleiterscheinungen aller Wörter meistert, kann dies Menschen vor dem sicheren Tod vor Gericht retten, gleichzeitig aber auch ein ganzes Volk in den Untergang führen. Tröstende Worte können tiefe emotionale Wunden heilen, die zuvor durch verletzende Parolen zugefügt wurden. Die Sprache ist also ein zweischneidiges Schwert, sie ist wahrscheinlich die mächtigste Waffe der Welt, die, wenn sie richtig eingesetzt wird, sowohl den Beginn als auch das Ende eines Krieges herbeiführen kann.
Aus diesem Grund werden in einem Regime Andersdenkende auch sofort mundtot gemacht, denn für Diktatoren ist die größte Bedrohung nach wie vor das Wort. Denn auch wenn man den Schlagstock an Stelle eines Gesprächs einsetzen kann, so werden Worte immer ihre Macht behalten. Diese Worte lassen nämlich einen Sinn erschließen und für die, die bereit sind zuzuhören, formulieren sie die Wahrheit und die soll in einer Diktatur möglichst lange unentdeckt bleiben.

Im Laufe der Geschichte haben schon viele Dichter und Denker die Macht und die Gefahren der verbalen Kommunikation erkannt; nicht umsonst bezeichnet Fritz Mauthner sie als Teufelin, die dem Mensch falsche Versprechungen macht und ihm das Herz raubt. Wenn man bedenkt, dass rund zwanzig Jahre nach Mauthners Tod durch Großaufgebote der Redekunst Millionen Menschen in den Krieg geschickt wurden, dann kann man ihm durchaus beachtliche Weisheit zugestehen.
Hätte sich das Volk zu dieser Zeit nicht auf die Scheinklarheit z.B. des Begriffen „Endsieg“ verlassen und etwas mehr Zeit mit der Interpretation des Wortes verbracht, wären vielleicht weniger Bürger dem (Ver-)Führer in den Tod gefolgt.
Doch der Mensch sieht die Sprache gern als etwas Selbstverständliches an, ohne sich ihrer Kraft überhaupt bewusst zu werden. Er reduziert ihren Gebrauch lieber auf elementare Ausmaße wie die Beschaffung des Essens. Ganz im Stile der Hauskatze wird auf tiefgründigere Gespräche verzichtet und die Bekämpfung des Hungergefühls fokussiert. Erst recht, wenn man die Komplexität der Sprache erstmal erkannt hat, wird einem – oder mir persönlich zumindest – erst bewusst: Manchmal wäre diese Einsilbigkeit unserer stolzen Fellknäuel doch beneidenswert, oder?

Elias
(Gastbeitrag)

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

3 Kommentare

  1. Avatar

    Interessanter Beitrag! Und gut geschrieben! Ich muss jetzt über meinen eigenen Sprachgebrauch nachdenken. Danke, das war ein toller Denkanstoß! (:

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    • Avatar

      Vielen Dank für die netten Worte! Ich hatte ehrlich gesagt nicht erwartet, bei meiner ersten Veröffentlichung überhaupt Feedback zu erhalten – das motiviert einen ungemein zum Weiterschreiben!

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