Nina Hundertschnee im Interview

von | 21.03.2020 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

„Normal“ gibt es. Denn – und hier möchte ich Richard von Weizsäcker zitieren – „es ist normal, verschieden zu sein.“ Jeder Mensch ist etwas Besonderes und doch sind wir in vielen Dingen auch gleich.

Mit „Leopeule“ hat Nina Hundertschnee ein Bilderbuch über das Anderssein geschrieben. Anlässlich des Welttags des Down-Syndroms am 21. März hat sie Worteweberin Annika verraten, was für sie „normal“ bedeutet, wie man Vorurteile abbaut und welche Rollen Eulen für sie spielen.

Bücherstadt Kurier: Mögen Sie sich unseren Leserinnen und Lesern kurz vorstellen?

Nina Hundertschnee: Ich bin Nina Hundertschnee, Schriftstellerin, 41 Jahre alt, komme aus Berlin und lebe dort mit meinem Mann, meinen beiden Kindern und ganz vielen Büchern.

BK: Gerade wurde Ihr Bilderbuch „Leopeule“ veröffentlicht. Worum geht es denn in der Geschichte und wie kamen Sie auf das Thema?

NH: Leopeule ist eine kleine Eule, die anders als ihre Geschwister zur Welt kommt. Ihre Federn sind mit unzähligen Punkten übersät und all das, was die anderen Eulenkinder können, fällt ihr schwer. Aufgrund ihres Andersseins traut sie sich selbst nichts zu – bis sie entdeckt, dass auch sie ein ganz besonderes Talent besitzt.

2016 ist meine Tochter mit Behinderung zur Welt gekommen. Die Ärzte sagten uns nach der Geburt voraus, was unsere Tochter voraussichtlich alles nicht können wird. Vieles davon hat sich als unzutreffend herausgestellt. Statt Statistiken zu trauen, sollte man auf sein Herz hören und unvoreingenommen sein. Das bedeutet nicht, das Anderssein nicht wahr zu nehmen. Es bedeutet, einem Menschen, ganz gleich, wie er auf die Welt gekommen ist, mit Liebe und einer positiven Erwartungshaltung zu begegnen: Nämlich der, dass in ihm etwas Wertvolles steckt.

BK: Auf die kleine Leopeule im Buch reagieren die anderen Vögel zuerst mit Überraschung. Die Eltern versuchen, sie zu waschen, damit sie wird wie die anderen Eulen. Waren die Reaktionen in Ihrem Umfeld vergleichbar, als Ihre Tochter mit Trisomie 21 geboren wurde?

NH: Überraschung ist ja eigentlich etwas Normales in so einer Situation, gerade, wenn Eltern erst nach der Geburt erfahren, dass ihr Kind mit einer Behinderung zur Welt gekommen ist. Leopeules Eltern versuchen die Flecken abzuwaschen, da sie zunächst nicht recht glauben können, was sie sehen. Trotzdem lieben sie Leopeule. Nach der Geburt meiner Tochter hat mein direktes Umfeld toll reagiert, uns zur Geburt unserer Tochter beglückwünscht und sie wie jedes andere Kind behandelt. Genau das wünsche ich mir auch vom weiteren Umfeld.

BK: Viele Reaktionen haben sicherlich ihren Ursprung in Vorurteilen. Wie kann man die abbauen?

NH: Der beste Weg ist sicher zu zeigen, dass man nicht unter seinem Anderssein „leidet“. Wenn man sich selbst und sein Leben so akzeptiert, wie es ist und eine positive Lebenseinstellung hat, strahlt diese auch auf andere aus und bewirkt einen Wandel. Es gibt viele tolle Blogs, die Vorurteile abbauen, zum Beispiel notjustdown.com oder madeformotti.de.

BK: Am Ende erkennen alle Vögel im Wald, dass die Leopeule „genau wie wir ein ganz besonderes Tier“ ist. „Normal“ hingegen gibt es gar nicht. Wie prägt das Ihren Familienalltag?

NH: Oh, doch, „normal“ gibt es. Denn – und hier möchte ich Richard von Weizsäcker zitieren – „es ist normal, verschieden zu sein.“ Jeder Mensch ist etwas Besonderes und doch sind wir in vielen Dingen auch gleich. Genau so ist auch unser Familienalltag: Ganz normal mit ein paar Besonderheiten.

BK: Kennen Sie andere Kinderbücher zum Thema Trisomie 21 oder Anders-Sein und Diversität, die Sie unseren Leserinnen und Lesern ans Herz legen können?

NH: Ich mag die Bücher von Lauren Child sehr gerne, weil sie Vielfalt in humorvollen Geschichten aus dem kindlichen Alltag verpackt. Zu Trisomie 21 kann ich Birte Müllers Buch „Planet Willi“ und „Florian lässt sich Zeit“ von Adele Sansone empfehlen.

BK: In „Leopeule“ sind die Protagonisten Eulen und andere Vögel. Haben die eine besondere Bedeutung für Sie?

NH: Meine Mutter sammelt Eulen, ich war meine ganze Kindheit von ihnen umgeben. Insofern war es nur eine Frage der Zeit, bis ich ein Buch schreibe, das sich um Eulen dreht.

BK: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie Kinderbuchautorin wurden?

NH: Ich habe mir schon als Kind Geschichten ausgedacht, sie aufgeschrieben und an Freunde verschenkt. Für mich war schon früh klar: Ich werde Schriftstellerin. Dass ich für Kinder schreibe, hat sich daraus ergeben, dass mir einfach viele Geschichten für Kinder einfallen. Ich habe aber auch Ideen für eine ältere Zielgruppe. Ich schreibe einfach das auf, was mich fasziniert und was „aus mir raus will“.

BK: Welche Projekte haben Sie als nächstes geplant? Gibt es schon Ideen für neue Bücher?

NH: Als nächstes erscheinen von mir eine Sammlung mit Adventskalendergeschichten und ein neues Pixi-Buch von Albert Einschwein. Ich habe einen fertigen Roman in der virtuellen Schublade und eine Hand voll Ideen für neue Bücher. Eins davon ist für Erwachsene.

BK: Was lesen Sie selbst in Ihrer Freizeit denn eigentlich am liebsten?

NH: Am liebsten lese ich gerade humorvolle Bücher.

BK: Und wie ist das mit Ihren Kindern – lesen Sie ihnen aus Ihren eigenen Büchern vor, oder haben sie andere Favoriten?

NH: Wir gehen gerne in die Bücherei und dort suchen sich meine Kinder dann ganz alleine das aus, was ihnen gefällt. Außerdem habe ich noch Bücher aus meiner Kindheit, die ich toll fand, und die ich gerne vorlese. „Pony, Bär und Apfelbaum“ und die Geschichten von Willi Wiberg zum Beispiel. Und natürlich sind meine Kinder die ersten, die meine Geschichten hören dürfen!

BK: Unsere typischen, bücherstädtischen Fragen dürfen natürlich nicht fehlen: Welche Frage haben Sie sich schon immer für ein Interview gewünscht und was ist Ihre Antwort darauf?

NH: Die nächste Frage finde ich großartig und für die Antwort musste ich nicht lange überlegen.

BK: Und zum Schluss: Wenn Sie selbst ein Buch wären, welches wäre das dann?

NH: Ganz klar: Die Unendliche Geschichte.

BK: Vielen Dank für das Interview!

Foto: Hoffotografen Berlin

 

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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