Our house: Auerhaus

von | 03.12.2015 | Belletristik, Buchpranger

Birth, school, work, death. Soll das etwa alles sein im Leben? Um sich das Gegenteil zu beweisen, ziehen die fünf jugendlichen Protagonisten aus Bov Bjergs neuem Roman „Auerhaus“ zusammen in eine WG und versuchen dort, das Leben ihres Freundes Frieder zu retten. Wie ihnen das gelingt, hat Worteweberin Annika nachgelesen.

Warum will sich jemand umbringen, noch bevor er überhaupt das Abitur in der Tasche hat? Das kann (oder mag) nicht einmal Frieder selbst richtig erklären, aber die Schlaftabletten hat er trotzdem geschluckt. Jetzt lebt er aber noch und zieht deswegen nach einer Zeit im Heim in eine Wohngemeinschaft. Erst einmal sind sie zu viert: Frieder, Cäcilia, Vera und ihr Freund, der Ich-Erzähler. Später kommen noch Harry und Pauline dazu. Die meiste Zeit verbringen sie damit, zu reden, damit Frieder nicht wieder auf dumme Gedanken kommt. Dann ist da natürlich noch die Schule, und bald auch das Abitur, Partys, die erste Liebe und die Polizei, die nicht ganz damit einverstanden ist, dass die Jugendlichen ihre Schränke mit geklauten Lebensmitteln füllen.
Trotzdem fühlen sie sich frei und irgendwie auch glücklich im „Auerhaus“, denn so wird ihr Haus von den Dorfbewohnern nach dem Song von Madness benannt, der in der Küche rauf und runter läuft. Irgendwann ist es damit aber doch vorbei. „Wir hatten immer so getan, als ob das Leben im Auerhaus schon unser richtiges Leben wäre, also ewig. Frieder sagte: ‚Du hast die Augen zu und treibst auf deiner Luftmatratze, ein sanfter Wind weht und du denkst, geil, jetzt lebe ich für den Rest meines Lebens hier in dieser Lagune, in der Südsee. Und dann machst du die Augen auf und merkst, es ist bloß ein Nachmittag am Baggersee, und zack ist der auch schon vorbei.’“
Für die Jugendlichen ist das Auerhaus nur eine Episode auf dem Weg zu so etwas wie dem „Erwachsensein“. Plötzlich ist jeder wieder für sich, ist alleine. Wie das so funktioniert, könnte man vielleicht als „ambivalent“ beschreiben, und damit ein Wort verwenden, das für Höppner manchmal auch einfach „beschissen“ heißen kann. Aber nicht muss.

Das Auerhaus steht in einer kleinen Stadt, in den 80er Jahren, da, wo man noch voller Angst die Einladung zur Musterung aus dem Briefkasten zieht, wo die alten Nachbarn kein Wort Englisch sprechen, von wo aus man nach Berlin trampt, um einfach mal raus zu kommen und wo man nichts Schlimmeres anstellen kann, als an Heiligabend den Gemeindetannenbaum umzuschlagen.
Von jeder einzelnen Seite in Bov Bjergs Roman schlägt einem dieses Lebensgefühl entgegen, vermischt mit dem Gefühlswirrwarr der Jugend. „Auerhaus“ ist aber deshalb weder nur ein Buch für solche, die selbst aus den 80ern stammen, noch nur für solche, die selbst grade mit den Problemen des Erwachsenwerdens kämpfen. Die klare, unverblümte Sprache holt einen beim Lesen direkt ab, und jeder, der selbst einmal 18 war, kann sich wohl in dem einen oder anderen Satz selbst wiederfinden.
Gleichzeitig ist der Ich-Erzähler, den man nur unter seinem Nachnamen Höppner kennenlernt, sehr sympathisch und authentisch. Da verzeiht man ihm auch gerne, dass er die Geschichte nicht von Anfang bis Ende erzählt, sondern seine eigene Reihenfolge einhält. Oder, dass er erst versucht, ein schönes Ende zu erfinden, um dann aber doch festzustellen, dass das richtige Leben keinen Autopilot hat. Da sind die Landungen härter. Diese harten Landungen können manchmal sogar zu Tränen rühren, selbst wenn in „Auerhaus“ nie absichtlich auf die Tränendrüse gedrückt wird. Wer also Lust hat auf einen Abstecher zurück in die Jugend oder eben auf das richtige Leben, ohne Autopilot, der ist bei „Auerhaus“ genau richtig.


Auerhaus. Bov Bjerg. Blumenbar. 2015.
Mehr über Bov Bjerg und „Auerhaus“ erfahrt ihr am 05.12.15 bei den Feuilletönen!

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  1. Auf Umwegen zum Auerhaus – Bücherstadt Kurier - […] man sagt, Bov Bjergs Coming-of-Age-Roman „Auerhaus“ habe in Deutschland ziemlich abgeräumt, dann ist das wohl nicht übertrieben. Während Bremens…

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