Pass auf, was du sagst!

von | 20.08.2018 | #Kunterbunt, Gedankenkrümel, Kreativlabor, Specials

Wie oft habe ich schon gehört, dass gendergerechte Sprache Blödsinn ist. Und andernorts wird vom „Diktat der politischen Korrektheit“ gesprochen. Mir liegt dazu schon länger etwas auf der Zunge, das ich gerne einmal loswerden möchte. – Von Zeilenschwimmerin Ronja

Vor einiger Zeit hielt ich gemeinsam mit einer Kommilitonin in einem sprachwissenschaftlichen Seminar ein Referat über gendergerechte Sprache und ihre unterschiedlichen Ausprägungen, von Studierenden über StudentInnen, Student_innen und Student*innen bis hin zu dem eher experimentell-provokativ gemeinten Ansatz der StudentX (gesprochen: Studentix).*

Universitäten gelten oft als Brutstätte solcher angeblich umständlicher Ideen. Doch obwohl wir uns an einer in den 70er-Jahren gegründeten Universität befanden, in einem germanistisch-sprachwissenschaftlichen Seminar, dessen Teilnehmer*innen zu sicherlich 90% (wie in den meisten Germanistik-Seminaren) tatsächlich Teilnehmerinnen waren, gab die überwältigende Mehrheit bei einer kleinen Umfrage an, auf gendergerechte Sprache kaum oder gar keinen Wert zu legen oder sich von ihr im Lesefluss gar gestört zu fühlen. Es war in der Tat ein Mann, der sich als überzeugtester Verfechter des Genderns unter unseren Zuhörer*innen herausstellte.

Wirklich überrascht und auch etwas enttäuscht waren wir jedoch, als unsere Dozentin aussagte, sie glaube nicht an den Sinn des Genderns, sie glaube nicht, dass die Sprache die Macht hätte, unser Denken und Handeln zu beeinflussen. Eine Aussage, die umso verblüffender ist, wo sie doch von einer Frau getroffen wurde, die ihren Lebensunterhalt mit der Untersuchung von Sprache verdient, also davon überzeugt sein sollte, dass Sprache wichtig genug ist, um eine solche Untersuchung notwendig zu machen.

In diesem Gedankenkrümel, oder eher Gedankenkuchen, möchte ich darlegen, warum ich vom Gegenteil ausgehe, warum ich überzeugt bin, dass Sprache sehr wohl unser Denken und Handeln beeinflusst. Ich möchte auf Kritikpunkte eingehen und auch darauf hinweisen, wie unachtsam wir manchmal mit Sprache umgehen.

Sprache und Denken

Denken beeinflusst unsere Sprache, denn ein Satz muss erst erdacht werden, bevor er gesprochen oder geschrieben werden kann. Wenn es in diese Richtung funktioniert, wieso sollte es dann nicht auch umgekehrt der Fall sein? Gendergerechte Sprache ist nicht der Zweck an sich, sondern durch gendergerechte Sprache soll das Augenmerk auf ein gesellschaftliches Problem gelenkt werden. Durch das Gendern von Texten soll darauf hingewiesen werden, dass Teilnehmer eben nicht nur männliche Teilnehmer sind, sondern auch weibliche und jene, die sich weder der Kategorie männlich noch weiblich zuteilen lassen können oder wollen. Gendergerechte Sprache ist im Prinzip wie ein Stolperstein fürs Gehirn, das die stetigen Hinweise registriert, ob nun bewusst oder unbewusst. Solche Änderungen in der Sprache, im Sprachgebrauch, im Denken sind langwierige Prozesse, aber ohne kontinuierliche Arbeit dauern sie noch länger.

Genauigkeit

Wir denken in Bildern und Gefühlen. Aber ein großer Teil der Gedanken, die wir bewusst wahrnehmen, findet in Sprache statt. Und wir drücken unsere Gedanken in Sprache aus. Eine Änderung beziehungsweise der Versuch einer Änderung der Sprache führt langfristig auch zu einer Änderung in den Gedanken und ihrem Ausdruck. Im Falle von gendergerechter Sprache würde ich statt Äderung auch eher das Wort „Erweiterung“ nutzen. Sprache kann ein unglaublich präzises Werkzeug zur Verständigung sein. Dass „Teilnehmer“ sowohl Einzahl männlich, Plural männlich und Plural männlich-weiblich-gemischt sein kann, kann zum einen als eine Vereinfachung betrachtet werden. Zum anderen macht es die Sache aber auch etwas ungenau. Wenn es also auf Präzision ankommt, zum Beispiel damit sich niemand ausgeschlossen fühlt, bietet also die gendergerechte Sprache Möglichkeiten, die die deutsche Sprache sonst nicht hätte. Mit Teilnehmer, Teilnehmerin und Teilnehmer*innen kann sehr genau dargestellt werden, wer gemeint ist.

Zur Kritik

Es sind zwei Hauptkritikpunkte, die besonders oft angeführt werden: 1. Gendern macht Texte unnötig kompliziert, sieht unschön aus und stört den Lesefluss. Und 2. ist Gendern unnötig, da das generische Maskulinum doch alle mit einschließt. Was stellen wir uns also so an?

Zu 1: Kompliziert ist nur, was wir kompliziert machen. Tatsächlich habe ich früher auch mal behauptet, dass das ewige „SchülerInnen“ in den Mitteilungen meiner Schule meinen Lesefluss behindern würde. Bis ich irgendwann festgestellt habe, dass dem nicht so ist. SchülerInnen ist nicht nur kürzer als „Schüler und Schülerinnen“, es liest sich auch schneller. Im Endeffekt ist es bloß Gewöhnungssache. Manchmal gibt es Formulierungen, die zum Gendern denkbar undankbar sind. Oft lassen sich aber Alternativen finden, die einfacher und klarer sind. Sicher, dafür muss man auch mal länger überlegen. Aber sollte das Überlegen nicht grundsätzlich zum Formulieren dazugehören? Wirklich gute, schöne oder präzise Texte entstehen selten, ohne wiederholtes Umschreiben, Reformulieren, Löschen, Überdenken und Korrigieren. Sprache ist eben sehr komplex (daher gibt es ja überhaupt die Sprachwissenschaft). Und egal von wem für wen gerade formuliert wird: Ein gewisses Minimum an Mühe sollte das Gegenüber wohl erwarten können. In diesem Sinne ist gendergerechte Sprache ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung.

Zu 2: Ausgehend von Respekt und Wertschätzung stellen wir uns so an, weil es um 50% der Menschheit geht, sogar etwas mehr, bedenken wir all jene, die sich einer Zuteilung in die Gruppen männlich/weiblich entziehen (möchten). 50% (und mehr) der Menschheit sprachlich erkennbar miteinzubeziehen, sollte jede Mühe rechtfertigen.

Zwang und Zweck

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Gendergerechte Sprache soll kein Zwang sein. Es ist vollkommen akzeptabel, wenn jemand, egal wer, sich dagegen entscheidet, eine der vielen Varianten zu nutzen. Es gibt auch keine richtige oder falsche Variante. Ebenso muss man nicht versuchen, das Wort „man“ vollständig zu vermeiden, weil es von „Mann“ abgeleitet ist. Es kann ein sehr hilfreiches Wort sein. Gendergerechte Sprache ist immer mit einer Zweckfrage verbunden: Wo macht der Einsatz Sinn und wo nicht? In der gesprochenen Sprache ist gendergerechte Sprache zum Beispiel schwieriger umzusetzen, weil Formulierungen nicht wieder überarbeitet werden können. Gesprochene Sprache ist schnell. Aber vieles kann über Gestik und Mimik hinzugefügt werden. Die Schnelligkeit gesprochener Sprache entschuldigt dennoch nicht alles. Ein gewisses Bewusstsein für die Sprache sollte vorhanden sein. Es lohnt sich, ein klein wenig zu zögern, wenn dadurch auch nur ein Mensch weniger verletzt wird. Und nicht vergessen: Was eine Verletzung der Gefühle ist, bestimmen die Betroffenen selbst.

Alles, was ich über gendergerechte Sprache gesagt habe, gilt auch für politisch korrekte Sprache. In diesem Zusammenhang möchte ich einen weiteren Grund anbringen, warum Achtsamkeit mit Sprache so wichtig ist: Der allergrößte Teil der Wörter, die wir benutzen, hat eine Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende alte Geschichte. Jedes Wort durchläuft eine Entwicklung. Manche Wörter geraten in Vergessenheit, stehen im Duden als „veraltet“. Andere erleben einen sogenannten Bedeutungswandel. Frau etwa (bzw. frouwe) war im Mittelhochdeutschen nur die Bezeichnung für Frauen höherer Stellung. Heute ist dieses Wort die Anrede für alle Frauen. Sprache ist immer im Wandel. Oder wie eine andere Sprachwissenschaftsdozentin an meiner Uni es ausdrückte: Stellt es euch wie einen Trampelpfad vor. Der Weg zur Bushaltestelle führt an der Wiese vorbei. Ein Mensch nimmt die Abkürzung über die Wiese, ohne die Absicht zu haben, einen Trampelpfad zu schaffen. Aber die anderen Menschen machen es ihm nach, weil dieser Weg kürzer ist.

Drei Beispiele

Zurück zu dem, was ich eigentlich sagen wollte: Jedes Wort hat also seine eigene Geschichte. Und wie das mit Geschichten so ist: manche sind schön, andere nicht. Ein Wort wird als politisch nicht korrekt bezeichnet, weil seine Verwendung in der Vergangenheit heute schlechte Assoziationen hervorruft. Ein Beispiel: Das Wort „Neger“ wurde in der Kolonialzeit von „den Weißen“ als Bezeichnung für „die Schwarzen“ benutzt, parallel zu Ausdrücken wie „Wilde“ und „Mohren“. Es ist Ausdruck des gewaltsamen Verhältnisses zwischen Herrschenden und Sklav*innen. Diese Verbindung bleibt und macht das Wort daher politisch inkorrekt und beleidigend. Es kann vorkommen, dass es durch übereifrige Suche nach Alternativen zu Verschlimmbesserungen kommt. Bestes Beispiel dafür ist das für den „Irrsinn“ der politisch korrekten Sprache gern angebrachte Wort „maximalpigmentiert“, das a) wegen unterschiedlicher Hauttypen ohnehin nicht auf jede Person mit dunklerer Hautfarbe zutreffen kann und b) klingt wie eine Krankheit. Aber das macht die Suche nach und vor allem Verwendung von Alternativen nicht weniger sinnvoll.

Ein weiteres Beispiel: Es gibt den Ausspruch „Jedem das Seine“. Er wird oft verwendet und lässt sich auch oft verwenden. Auch ich habe ihn schon häufig benutzt. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem mir bewusst wurde, was am Tor des Konzentrationslagers Buchenwald steht, so geschrieben, dass es die Häftlinge von Innen lesen konnten: „Jedem das Seine“. Die Nazis haben diesen Spruch natürlich nicht erfunden. Aber wie sie es mit so vielem gemacht haben, haben sie ihn für ihre Zwecke eingespannt und damit ihren Abdruck darauf hinterlassen. „Jedem das Seine“ hat für mich seitdem mehr als nur einen bitteren Nachgeschmack. Das gleiche gilt auch für andere Wörter, etwa „Lügenpresse“ oder „völkisch“.

Nur noch ein letztes Beispiel: Seit ein paar Jahren merke ich, dass das Wort „Gutmensch“ gehäuft benutzt wird, um mehr oder weniger (meist mehr) ernst gemeint abfällig über Menschen zu sprechen, die sich stark sozial engagieren, besonders wenn sie dabei mal übers Ziel hinausschießen. Aber diese Verwendung ist paradox: Wie kann es schlecht sein, ein guter Mensch, also „Gutmensch“ zu sein?

Auf Sprache achten

Wenn wir Wörter mit negativer Konnotation nutzen, ohne die Absicht, diese Konnotation hervorzurufen oder damit jemandes Gefühle zu verletzen, verhindert das trotzdem nicht, dass diese Verbindung bei anderen hervorgerufen wird. Das kann zu Missverständnissen führen, die wiederum zu Auseinandersetzungen führen können. Aber über Kommunikation lässt sich das sicher oft klären. Wichtig ist dabei immer, zu bedenken, dass nicht alle, die negativ besetzte Wörter nutzen, sich dessen auch voll bewusst sind. Und jemand, der drauf hingewiesen wird, dass er oder sie ein verletzendes oder unpassendes Wort gebraucht hat, sollte wissen, dass dieser Hinweis nicht gleich ein Angriff auf die eigene Person ist. Es ist eine Hilfestellung, damit man beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation das Wort vielleicht nicht mehr oder sehr viel vorsichtiger verwendet.**

Was möchte ich mit diesem Pamphlet ausdrücken? Sprache ist als Ausdruck und gleichzeitig Grundlage unseres Denkens unglaublich wichtig. Sie ist ein komplexes Kommunikationswerkzeug, das alle Möglichkeiten für präzise Aussagen und dennoch viel Interpretationsspielraum bietet. Sprache kann genauso verbinden wie verletzen. Sie ist die Grundlage, auf der unser Zusammenleben funktioniert. Ohne Sprache keine Kommunikation, ohne Kommunikation keine gesellschaftliche Organisation. Auf Sprache zu achten, sich mit ihr Mühe zu geben, ist daher keine verschwendete Zeit. Sprache ist der Ausdruck unserer selbst.

* Das generische Femininum (liebe Leserinnen) lasse ich hier außen vor, da ich es nicht als gendergerecht betrachte. Schließlich verhält es sich wie das generische Maskulinum, nur für das andere Geschlecht. Außerdem wird es wegen des gewohnten generischen Maskulinums oft nur als Witz wahrgenommen oder gar nicht erst als generisch (also alle einschließend) verstanden.

** Ein gutes Beispiel für (konstruktive) Kommunikation zwischen beiden Parteien ist der englischsprachige Podcast „Conversations With People Who Hate Me“ des amerikanischen Schauspielers und Spreches Dylan Marron, der in jeder Folge mit einem Menschen spricht, der ihm eine beleidigende Nachricht geschickt hat.
www.dylanmarron.com/podcast/

Ein Beitrag zum Special #Kunterbunt. Hier findet ihr alle Beiträge.
Bild: pexels.com, Illustration: Zeilenschwimmerin Ronja

 

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

Wir sind umgezogen!

Wir sind vor einer Weile umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner