Sabine Wilharm

von | 06.04.2015 | Buchpranger, Im Interview, Stadtgespräch

„Das Schöne am Illustrieren ist übrigens, dass es ein künstlerischer Beruf ist und Künstlern, auch halben, wird ja mehr Freiheit und Spontanität zugestanden.“

Zeichensetzerin Alexa im Gespräch mit der Illustratorin Sabine Wilharm.

BK: Zuletzt erschien das Bilderbuch „Kann ich wohl!“ im Aladin Verlag. Worum geht es da?

SW: Der Inhalt hängt im gewissen Sinn mit meiner Biografie zusammen, denn ich war die Jüngste zu Hause, die anderen waren mir immer voraus und konnten das, was ich nicht konnte. In diesem Buch geht es um einen kleinen Hund, dessen ältere Geschwister auch alles besser machen, aber er behauptet ständig mit großem Selbstbewusstsein „Ich kann das wohl!“, weil er mithalten will. Kann er natürlich nicht, aber zum Schluss gelingt ihm etwas Wichtiges für alle.

BK: Wie gestalten Sie Ihre Illustrationen? Welche Materialien verwenden Sie am liebsten und wie gehen Sie dabei vor?

SW: Die Zeichnungen für Bücher entstehen in mehreren Stufen. Zuerst gibt es Skizzen, sehr grob, sehr frei. Darin geht es vor allem um Idee und Komposition, also den Bildaufbau und etwas darum, wie Figuren am besten zueinander stehen. Ich arbeite dabei auch schon an Ausdruck und Stimmungen. Wichtig ist, dass die Skizzen grob und undeutlich sein dürfen, ich muss schnell von einer zur nächsten gehen können und nicht an Details kleben bleiben, um Ideen schnell einzufangen und die Ahnung einer Zeichnung zu bekommen.
Wenn ich das Gefühl habe, dass die Richtung stimmt, kommen mehr Skizzen von Einzelheiten dazu und irgendwann ist gut, ich scanne die Skizzen in den Rechner und arbeite mit Photoshop und angeschlossenem Zeichenbrett weiter. Da feile ich an den Zeichnungen bis ich finde, dass ich nichts mehr an ihnen verbessern kann und zum Schluss entsteht die Reinzeichnung, schon mit Farben. Die wird dann auf Zeichenpapier ausgedruckt und mit Buntstiften und Acrylfarben bearbeitet, bis das Gefühl entsteht, dass sie fertig ist. Ich muss eine Freude daran haben, dann kann ich sie aus der Hand geben.

BK: Was macht für Sie persönlich eine gute Illustration aus?

SW: Sie muss Leben haben.

BK: Wollten Sie schon immer Illustratorin werden?

SW: Nein, früher wusste ich gar nicht, dass es den Beruf gibt, obwohl ich ja selber illustrierte Bücher besaß. Ich habe mir nicht klar gemacht, dass wirkliche, normale Menschen Bücher machen können. Ich wollte eher freie Künstlerin werden, als ich in der Kunstschule anfing, weil ich dachte, dass ich dort meine Verzweiflung und Begeisterung an der Welt zum Ausdruck bringen könnte. Aber dann wurde das Gebiet der Illustration sehr spannend und ich habe gemerkt, dass ich gerne etwas erzähle. Und auch, dass mir eine Leitplanke gut tut, ein Wegweiser durch ein Thema. Die gibt mir ein Text. Inzwischen mache ich auch ohne Texte Zeichnungen, aber früher habe ich jeden Strich angezweifelt. Ich war fürchterlich unsicher.

BK: Wie fühlen Sie sich heute, wenn Sie Ihre Illustrationen betrachten?

SW: Bei manchen staune ich und weiß, dass ich sie so nicht mehr machen könnte, bei anderen ärgere ich mich über Fehler. Die fallen mir immer stärker auf.

BK: Haben Sie in Situationen gezeichnet, in denen Sie nicht sollten? Zum Beispiel im Unterricht?

SW: Selbstverständlich, wenn mir langweilig war. Inzwischen gibt es solche Situationen nicht mehr, weil ich für mich weiß, wann es angebracht ist, zu zeichnen und wann nicht. Zum Beispiel setze ich mich nicht hin und zeichne jemanden so, dass er es merkt, ohne ihn zu fragen. Das ist eine sehr unangenehme Situation für den anderen (und kann es darum möglicherweise auch für einen selbst werden), denn man dringt in gewissem Sinn in seine Privatsphäre ein. Wenn ich Menschen, die ich sehe, zeichnen möchte, versuche ich, genau hinzusehen und ein paar Striche so zu setzen, die mir helfen, aus der Erinnerung heraus die Zeichnung fertigzustellen. Es kommt natürlich etwas anderes dabei heraus, als wenn mir jemand Modell sitzt, aber trotzdem ist es immer eine Zeichnung, die ich aus dem Kopf so nicht hätte machen können und durch die ich etwas lerne.

BK: Gibt es Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen beim Illustrieren von Kinderbüchern?

SW: Da ist schwer zu beantworten. Eine Herausforderung ist Illustration eigentlich immer, vor allem, dem Text möglichst gerecht zu werden. Der Autor ist ja in der Regel der erste, der weint, wenn eine Zeichnung weit am Text vorbeizielt oder ihm die Figuren falsch vorkommen. Ein Leser, auch wenn er ein Kind ist, kann das Buch schließlich einfach zuklappen, wenn er es nicht mag. Es kommt bei Kindern sehr auf das Alter an. Es ist wichtig, sie weder zu über- noch zu unterfordern. Kinder sind in keiner Weise dümmer als Erwachsene, sie kennen nur, je nach Alter, weniger von der Welt und auch der Sprache und haben in der Regel am Anfang mehr Vertrauen in einen Text und Bilder, als Erwachsene, die tendenziell kritischer an etwas herangehen. Aber sie lassen sich auch nicht lange hinters Licht führen.
Ich versuche aufzupassen, dass ich nicht zu viel voraussetze, also mit Zeichnungen zum Beispiel auf etwas anspiele, was Kinder weder wissen können noch aus dem Text erfahren. Das wäre in gewissem Sinn überheblich. Andererseits finde ich es für Leser jeden Alters gut, wenn Fragen durch ein Buch auftauchen, also Unbekanntes darin ist. Ich glaube, ich könnte diese Frage nur anhand von konkreten Büchern, die ich illustrieren will, beantworten.

BK: In vielen Ihrer Kinderbücher kommen Tiere vor – Haben Sie selbst Haustiere? Welche Bedeutung haben Tiere Ihrer Meinung nach für Kinder?

SW: Ich habe kein eigenes Haustier, aber eigentlich jedes Tier, das ich wahrnehme, interessiert mich, Tendenz zunehmend. Das bezieht sich inzwischen auch auf Fliegen und Mücken, zum Beispiel, allerdings zieht mich ein Säugetier oder ein Vogel immer noch mehr in den Bann. Fast automatisch bekomme ich Vorstellungen, wie das Tier, das ich da sehe, wohl lebt und seine Welt wahrnimmt, was für es wichtig ist, wodurch es sich wohl oder unwohl fühlt. Biologisch gesehen ist das Unsinn, ich stülpe ihm im Grunde meine Menschenvorstellungen über. Aber ich würde zu gern für kurze Zeit dieses Tier sein und erfahren, wie sich sein Leben anfühlt.
Ich weiß nicht, welche Bedeutung Tiere für Kinder haben, da gibt es bestimmt keine Regel. Das Einzige, was mir einfällt, ist, dass Kinder wie Tiere freier und direkter ihren Bedürfnissen nachgehen (wenn man sie lässt), so wie Tiere es tun (wenn sie können). Erwachsene haben in der Regel die Erziehung verinnerlicht, die in großen Teilen darin besteht, Wünsche aufzuschieben und sich selber auf die Finger zu klopfen.
Das Schöne am Illustrieren ist übrigens, dass es ein künstlerischer Beruf ist und Künstlern, auch halben, wird ja mehr Freiheit und Spontanität zugestanden. Man darf unkonventionell sein, auch wenn man nicht mehr jung ist und sich in einem gewissen Maß verhalten, wie Erwachsene sich normalerweise nicht zu verhalten haben.

BK: Das Thema dieser Ausgabe ist „Kunst“. Welche Bedeutung hat „Kunst“ für Sie persönlich?

SW: Eine schwierige Frage. Inzwischen ist Kunst so mit meinem Leben und Alltag verwoben, dass ich nicht wüsste, wie ich ohne sie wäre. Andererseits ist es mir kaum möglich zu sagen, was sie überhaupt ist. Ich sehe übrigens einen Unterschied zwischen Illustration, der angewandten Kunst und freier Kunst, das nur nebenbei. Vielleicht vor allem das Feld der Möglichkeiten, des Spiels mit Bedeutungen und ihren Umsetzungen. Ein Feld, in dem ich mich auf eine Art kennenlernen kann, die mir sonst wohl nicht möglich gewesen wäre. Aber wie wäre ich ’sonst‘? Kunst von anderen ist für mich eine Möglichkeit, einen Teil des inneren Lebens eines Menschen zu erfahren, ohne dass ich mich dazu verhalten muss. Eine kleinere oder größere Essenz von Erfahrungen eines anderen.
Ich denke, es gibt für Menschen ein paar wichtige Grundthemen, die sich in unendlich viele Variationen aufspalten. Jeder Mensch hat seine eigenen. Liebe, Tod, Neid, soziale Anerkennung, Eifersucht, Angst – so ähnlich. Alle Menschen suchen dauernd bewusst oder unbewusst Lösungen für die Probleme, die sich daraus ergeben. In der Kunst werden diese Grundthemen immer neu gelöst oder zumindest verarbeitet. Und das in einer Weise, die es anderen ermöglicht, ihr Eigenes damit versuchsweise zu verbinden. Insofern haben sich die Menschen mit der Kunst ein Gebiet geschaffen, in dem sie in der Imagination viel mehr erproben können als real in ihrem kurzen Leben. Im Guten wie im Schlechten.

BK: Haben Sie selbst Vorbilder oder Lieblingskünstler?

SW: Ganz viele, dauernd neue, es ist unglaublich, wie viele gute Künstler es gibt und es hört nicht auf. Und ich glaube, dass Künstler – auch angewandte – immer voneinander lernen. Nicht jeder von jedem, aber jeder von einigen.

BK: Und zu guter Letzt: Wenn Sie ein Buch wären, welches wäre es?

SW: Was für eine Frage… Ein nicht sehr dickes, in dem jeder Satz eine gute Form mit dichtem Inhalt hätte vielleicht, das wäre schön.

Dieses Interview erschien erstmals in der 15. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto: Privat

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