Schauer auf hohem Niveau

von | 23.10.2018 | #Todesstadt, Buchpranger, Graphic Novels, Comics, Manga, Specials

Neben H.P. Lovecraft war Edgar Allan Poe eines der Horrorgenies seiner Zeit. 2012 erschien im Knesebeck-Verlag mit „Das verräterische Herz und andere unheimliche Geschichten“ eine Sammlung von vier seiner Gruselgeschichten. Geschichtenerzähler Adrian und Geschichtenzeichnerin Celina schauert es nicht nur bei den Geschichten, sondern sie bewundern auch die fabelhaften Illustrationen.

In der ersten Geschichte, „Das verräterische Herz“, erzählt ein Mann detailliert, wie er den Hausherren, der gleichzeitig sein Arbeitgeber ist, ermordet und wie ihn das gleichmäßige Pochen dessen Herzens langsam aber sicher in den Wahnsinn treibt.

In „Die Methode von Doktor Teer und Professor Feder“ besucht ein junger Arzt eine abgelegene Nervenklinik und wird nach einem kurzen Gespräch mit dem Leiter zu einem Bankett eingeladen, an dem auch die restlichen Angestellten des Hauses teilnehmen. Während die einzelnen Gäste Geschichten von Geschehnissen in der Anstalt erzählen, fällt dem jungen Besucher auf, wie seltsam sich die Anwesenden verhalten.

Die Geschichte „Die längliche Kiste“ handelt von eben jener namensgebenden Kiste, welche ein Künstler an Bord eines Passagierschiffs bringt, um mit dieser zusammen mit seiner Familie nach New York überzusetzen. Ein alter Freund des Künstlers, welcher zufällig ebenfalls an Bord ist, rätselt darüber, welches Geheimnis diese Kiste bergen könnte.

„Die Tatsachen im Fall Valdemar“ stellt sich die Frage, was passiert, wenn ein Toter nicht stirbt. Wenn er in seinem Körper gefangen wird und seine Seele nicht dem verfallenden Fleisch entkommen kann.

Der Horror des menschlichen Verstandes

Edgar Allan Poe gilt neben seinem großen Einfluss auf Kriminalgeschichten auch als Pionier im Genre des sogenannten Gothic Horrors. So basiert der Horror in diesen vier Geschichten weniger auf körperlichen, dafür aber zum großen Teil auf psychologischem Grusel. Poe spielt mit dem Gedanken von Irrsinnigen, Wahnhaften und jene, die an der Schwelle dessen stehen, was der menschliche Verstand verkraftet. Schon als Poes Protagonist in der ersten Geschichte – „Das verräterische Herz“ – haarklein schildert, wie und was ihn Stück für Stück in den Wahnsinn treibt, lässt detailgetreu nachempfinden, welcher Wahn im Geiste diese Mannes umherspukt.

Bilder, die Geschichten erzählen

Die von Zeichner Gris Grimly zu den Geschichten gestalteten Illustrationen unterstreichen wunderbar die einzelnen Szenen und lassen die Betrachter die Geschichte noch intensiver erleben. Die Zeichnungen spiegeln eben jenen Wahnsinn wider, den Poe in seinen Geschichten darstellt. In dem bildlich gestalteten Werdegang der vorkommenden Personen kann man genau ablesen, wie sie immer weiter dem Irrsinn verfallen. Wirkten die Figuren anfangs noch, dem Zeichenstil entsprechend, normal, so ändert sich über die Geschichte hinweg die Gestik und Mimik dieser. Zum Ende hin wirken sie geradezu überspitzt und verzerrt. Unter anderem wird dies in der zweiten Geschichte – „Die Methoden von Doktor Teer und Professor Feder“ – an den Handlungen der Tischgesellschaft erkennbar, welche beinahe einer Szene aus „Alice im Wunderland“ entsprungen scheinen.

Die Illustrationen wirken wie aquarellierte Zeichnungen, was an den Farbverläufen und ihren prägnanten Konturen zu sehen ist. Besonders Hintergründe sind farblich nuanciert abgestimmt und geben die Atmosphäre wieder, wobei die unheimlichen Szenen immer düsterer wirken. Die Figuren weisen eine ausgeprägte und stilbewusste Gestik und Mimik auf. Durch den Zeichenstil und die farbliche Gestaltung ist ein hoher Grad an Dynamik in den Illustrationen zu erkennen.

Ist es ein Bilderbuch oder ein Comic?

Durch die fließenden und dynamisch zusammenhängenden Bilder macht das Buch beinahe den Eindruck eines Comics. Auch da Gris Grimly gerne Rahmen und Umrandungen für einzelne Textpassagen sowie eine Art Sprech- und Denkblasen verwendet. Es ist jedoch mehrheitlich ein Bilderbuch, welches allerdings Elemente vom Comic mit einbezieht. Somit wird die Geschichte untermalt und eine gelungene Illustrationsform entsteht. So gibt es etwa Sprechblasen, die aber trotzdem einen Teil des Fließtextes enthalten oder eine in drei Panels ablaufende Sequenz der Geschichte, die dazu dient, die Veränderung einer Figur über einen bestimmten Zeitraum in Szene zu setzen.

Ein Spaß am Gruseln

„Das verräterische Herz und andere unheimlich Geschichten“ hüllen die vier hier aufgeführten Werke des Altmeisters in ein unheimlich bemerkenswertes, neues Gewand ein. Das Buch regt zum immer wieder Durchblättern und Reinlesen an. Die Geschichten sind keine typischen Lagerfeuergeschichten, sondern eher etwas für ruhige Momente. Auch wenn es eher ein hochgradig atmosphärisch und dynamisch illustriertes Bilderbuch ist, so werden auch Fans von Comics wie der „Sandman“-Reihe oder „Fables“ auf ihre Kosten kommen. Dieses Werk ist ein tolles Beispiel dafür, dass Bilderbücher nicht gleich Kinderbücher sind.

Das verräterische Herz und andere unheimliche Geschichten. Edgar Allan Poe. Illustration: Gris Grimly. Übersetzung: Gundula Müller-Wallraf. Knesebeck. 2012.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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