In „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ erzählt Chantal-Fleur Sandjon sprachgewaltig in Versform von der ersten (eigentlich zweiten) Liebe, Gewalt, Rassismus und Mut. Worteweberin Annika war schon lange nicht mehr so berührt von einem Roman.
Es ist eine Liebesgeschichte, wie es sie im Jugendbuch und im Literaturbetrieb allgemein viel öfter bräuchte: eine zwischen queeren Schwarzen Figuren. Nova und Akoua, zwei Schwarze Teenagermädchen, treffen zufällig aufeinander und sofort ist es um sie geschehen. Novas zweite Liebe (denn die erste ist immer die Selbstliebe) gilt einem Mädchen, das für sie zu einer strahlenden, Schwarzen Sonne wird, „Schmetterlingsjazz im Hinterhof meiner Seele“ (S. 178). Nicht lange, dann sind die beiden ein Paar.
Neuanfang
Nova, die Ich-Erzählerin im Roman, macht gerade einen Neuanfang. Ihr eingegipster Arm erinnert noch an die Gewalt des Stiefvaters, der sie, ihr Halbbruder Cosmos und die Mutter viel zu lange ausgeliefert waren. Im neuen Leben, in einer neuen Wohnung, soll jetzt kein Platz mehr für den Mann sein, der im Text über weite Strecken nur als er auftaucht. Seinetwegen beendet Nova ihre Karriere im Rollkunstlaufteam, das von seiner Schwester geleitet wird. Dafür macht sie Platz für Akoua.
„Und ich / ich tanze / vor den leuchtenden Sternen in meinem Zimmer / auf meinen Rollschuhen durch die Straßen / mit Mama & Cosmos durch die ganze Wohnung / denn das hier ist wirklich mein Leben / mein neues, volles Leben.“ (S. 160)
Irgendwann taucht er an der Schule auf. Der Schmetterlingsjazz gerät ins Stocken: Kann Nova sich jetzt auf die Beziehung zu Akoua einlassen? Kann sie ihr von ihrer Vergangenheit und ihren Verletzungen erzählen? Und verhindern, dass er in ihr Leben zurückkehrt?
Verletzlich und heilend
„Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ ist ein poetischer Text, der sensibel von der vollen Bandbreite der Gefühle und Stimmungen erzählt, himmelhochjauchzend und tief verzweifelt. Beim Lesen habe ich gelacht und geweint, mit der Protagonistin mitgefiebert und gelitten. Zur Liebesgeschichte, nicht zu cheesy, aber romantisch, gesellen sich harte Themen, über die im Jugendbuch selten gesprochen wird: die Gewalt des Vaters, die Alkoholprobleme der Mutter, das Einnässen des kleinen Bruders, der von der Angst überwältigt wird. Trotzdem fand ich den Roman immer lebensfroh – und hatte das dringende Bedürfnis, ihn in einem Rutsch durchzulesen. Die Schwere und die Leichtigkeit halten sich hier die Waage und verdeutlichen einmal mehr die Ambivalenz, die Novas Leben und ihre Beziehung zu Akoua ausmacht:
„Dass wir uns das nicht nehmen lassen / Schwarz und schön / stark und weich / queer und femme / verletzlich und heilend / und so voller Liebe / zu sein / das ist die größte Revolte / die wir beginnen können.“ (S. 190)
Neben den Themen ist die sprachliche Ausgestaltung von Chantal-Fleur Sandjons Roman einfach eine Wucht. Die Autorin erzählt oft poetisch, verwendet stimmungsvolle Metaphern und kontrastiert mit einfachen, starken Passagen. Dazu kommt, dass nicht nur Nova im Roman zum Schmetterlingsjazz tanzt, auch die Sprache darf hier mittanzen: Der Satz bildet wie in der konkreten Poesie nach, wenn Novas Welt Kopf steht, ihre Gefühle Loopings schlagen oder ihr Akoua als Sonne aufgeht. Die Form des Versromans ist hierzulande zwar noch eher unbekannt in der Jugendliteratur, Chantal-Fleur Sandjon setzt sie aber meisterlich um. „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ steht damit zurecht auf der Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2023 und findet so hoffentlich noch viele Leser*innen, egal ob jung oder alt, Schwarz oder weiß!
Die Sonne, so strahlend und Schwarz. Chantal-Fleur Sandjon. Thienemann. 2022.
0 Kommentare