Zwei Paare und eine Single-Freundin, ein Wochenende im Sommerhaus – was soll da schon schief gehen? In „Schöne Scham“ geht vieles schief und gibt zugleich einen Anstoß, der zumindest das Leben von Amalia grundlegend ändern soll.
Ein gemeinsames Wochenende an der Ostsee, für die Paare Kata und Lenny und Amalia und Christian keine Besonderheit. Die befreundeten Paare verbringen viel Zeit miteinander und kennen sich bereits seit Jahren. Dieses Mal ist aber auch Ola dabei und mit ihr ein neuer Blick auf die Freunde, ihre Beziehungen und eine starke feministische Stimme, für die Schweigen keine Option ist. Die Stimmung ist zunehmend aufgeladen und schon in Kleinigkeiten wie der Frage, wem das Anzünden des Grills gelingt, oder einem unangekündigten Spaziergang von Amalia und Ola droht die Eskalation.
Machtmissbrauch, Scham, Selbstermächtigung
Bei der Ankunft im Ferienhaus überrascht Christian seine Freundin mit einem Zimmer voller Rosen. Immer wieder betont er, wie sehr er Amalia liebt, bedeckt sie mit kleinen Berührungen, weicht ihr kaum von der Seite. Eine Romantik, die Kata in ihrer Beziehung mit Lenny vermisst, in der es immer wieder Streitereien gibt. Ola hingegen ist irritiert von so viel Aufhebens und entdeckt auch zwischen Amalia und Christian Anspannung: Blicke, aus denen nicht Liebe spricht, ein Zucken unter der Berührung des Partners, das nicht von Erregung rührt, und eine Wachsamkeit in jeder Reaktion Amalias, die nicht zu dem Bild des verliebten Paares passen will.
Auch wenn sie ihre Beobachtungen und damit verbundenen Sorgen zu Beginn nicht ausspricht, geraten Ola und Christian wiederholt aneinander – zu unterschiedlich sind die Ansichten beider und Ola, anders als der Rest der Feriengemeinschaft, nicht darum bemüht, auf Christians Launen und Stimmungen Rücksicht zu nehmen. Am Ende stehen sie alle vor zwingenden Entscheidungen: Wie befreie ich mich aus einer selbstzerstörerischen Beziehung? Ist machtmissbrauchendes Verhalten zu entschuldigen? Wiegt Scham mehr als Selbstbestimmung? Ab wann ist Nicht-Einmischen Komplizenschaft? Und wie lange kann ich über ein offensichtliches Fehlverhalten hinwegsehen?
Sensibel, direkt, ungeschönt
Bianca Nawrath erzählt uns dies und mehr aus Sicht von Amalia, Kata und Ola. In kurzen Kapiteln bekommen wir die Ereignisse von den drei Frauen erzählt. Wir erfahren von ihren Gedanken und Gefühlen und bekommen Einblick in die Vergangenheiten und Familiengeschichten der Protagonist*innen. Der jungen Autorin gelingt es, auf diese Weise tiefgründige Figuren zu zeichnen und Spannung aufzubauen. Und auch uns Leser*innen lässt sie darüber nachdenken, wie wir reagieren würden, ob wir schon einmal aus Scham oder Unsicherheit ein Fehlverhalten gedeckt oder entschuldigt haben und ab wann unser Schweigen Gefahr für jemanden bedeuten kann.
Nawrath erzählt ungeschönt, direkt, aber sensibel von dem, was die Frauen erleben, was sie fühlen und wie sie ihr eigenes Verhalten betrachten. Nicht alles wird Wort für Wort ausgesprochen, doch zugleich wird nichts versteckt. Die unterschiedlichen Blickwinkel der Freundinnen schaffen ein vielschichtiges Bild, das dem tiefgreifenden Thema toxischer Machtstrukturen und (weiblicher) Solidarität gerecht wird.
„Schöne Scham“ – eine Mischung aus psychologischer Tiefe, starken weiblichen Figuren, ein bisschen Humor und Erotik, Freundschaft, Liebe und Frauenpower.
Schöne Scham. Bianca Nawrath. Frankfurter Verlagsanstalt. 2025.



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