Licht kann ja eine Metapher für so vieles sein, für Wissen, für Verständnis, für Wohlwollen, für Orientierung, aber auch dafür, nicht genau unterscheiden, keine klaren Grenzen ziehen zu können. Man muss das Licht gleichermaßen als Wellen und als Teilchen betrachten, weil es sich sowohl auf die eine als auch auf die andere Weise verhält. Es ist nicht eindeutig.
Der neue Roman von Selim Özdogan, „Wo noch Licht brennt“, ist kürzlich im Haymon Verlag erschienen. Im Rahmen einer Blogtour ist der Roman nun vom 16. bis 20. August zu Gast auf verschiedenen Literaturseiten – so auch im Bücherstadt Kurier. Worteweberin Annika hat mit dem Autoren des Romans über seine Arbeit, die Türkei und den anatolischen Blues gesprochen.
BK: Worum geht es in deinem neuen Roman?
SÖ: Es geht um das Innenleben einer verheirateten Frau mit zwei erwachsenen Töchtern. Sie ist in der Türkei aufgewachsen, dann nach Deutschland gezogen, später zurück in die Türkei und jetzt ist sie wieder in Deutschland. Der Roman beleuchtet ihr Leben von den 90er Jahren bis ungefähr in die heutige Zeit.
BK: Ich habe das Licht im Roman als eine Metapher für Gefühl und für Herzlichkeit gelesen. Wo brennt denn eigentlich noch Licht?
SÖ: Licht kann ja eine Metapher für so vieles sein, für Wissen, für Verständnis, für Wohlwollen, für Orientierung, aber auch dafür, nicht genau unterscheiden, keine klaren Grenzen ziehen zu können. Man muss das Licht gleichermaßen als Wellen und als Teilchen betrachten, weil es sich sowohl auf die eine als auch auf die andere Weise verhält. Es ist nicht eindeutig.
BK: Dein Roman erscheint zu einer Zeit, in der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland leider wieder oder immer noch ein wichtiges Thema ist. Denkst du, „Wo noch Licht brennt“ kann ein Gegengift liefern, wie das der Klappentext verspricht?
SÖ: Ich glaube nicht, zumindest auf keinem direkten Weg. Zum einen gibt es das, was Henry Rollins preaching to the perverted nennt. Die Menschen, die sich für so ein Buch interessieren und bei denen man einen Resonazraum findet, sind ohnehin häufig ähnlicher Meinung. Zum anderen wird eine verkürzte, verzerrte mediale Darstellung immer mehr Leser finden als ein Roman von 300 Seiten. Doch möglicherweise kann ein Roman helfen, die eigene Wirklichkeit so weit zu verschieben, dass die veränderte Perspektive auf vielfache, nicht direkt sichtbare Weise in der Welt wirkt.
BK: Gül und Fuat stellen fest, dass ihre Zeit in Deutschland ihren Blick auf die Türkei verändert. Noch deutlicher zeigt sich das in den nächsten Generationen, Güls Enkel kennen viele der Traditionen nicht mehr und sprechen nur selten Türkisch. Wie ist dein eigenes Verhältnis zur Türkei?
SÖ: Ich kenne das Land, weil ich als Kind viel dort war, ich fühle mich dort wohl, weil ich die Sprache kann und gerne spreche, doch ich glaube, ich habe keine enge emotionale Bindung.
BK: Du selbst bist zweisprachig aufgewachsen, deine Romane schreibst du aber auf Deutsch. War das eine bewusste Entscheidung? Und wonach hast du das entschieden?
SÖ: Zum einen kann ich besser Deutsch als Türkisch, einfach weil es meine Alltagssprache ist, zum anderen kenne ich Deutschland viel besser. Ich lebe hier, wieso sollte ich auf Türkisch schreiben wollen? Hinzu kommt der pragmatische Grund, dass in der Türkei weniger gelesen und somit auch weniger Geld mit Büchern verdient wird.
BK: Die Protagonistin Gül spricht hingegen kaum Deutsch und als Leser(in) merkt man manchmal, dass hinter den Formulierungen Güls türkische Sprachstrukturen oder Gedanken liegen, das fand ich sehr interessant. Andere Autoren hingegen bauen oft die „fremde“ Sprache mit in ihre Texte ein, das gibt es in „Wo noch Licht brennt“ nicht. Wie entscheidet man als Autor, welche Strategien wie in diesem Fall besser in einen Roman passen?
SÖ: Ich versuche immer alles, was ich als exotisierend empfinde, wegzulassen. Das, was man als orientalisch, blumig, überladen lesen könnte, versuche ich zu vermeiden. Ich will nicht, dass es fremd wirkt, ich will es ja so nah wie möglich an den Leser bringen, keine Hürden aufbauen und keine Vorurteile bestätigen. Gleichzeitig möchte ich aber eine bestimmte Haltung dem Leben gegenüber transportieren und das geht nicht, wenn ich mich nur in vorgefertigten Sprachmustern bewege.
BK: Im Roman ist die Rede von einem „anatolischen Blues“, der über das Blut weitergegeben wird. Denkst du, es gibt Eigenschaften, die ganze Völker verbinden, oder sind das nicht auch Vorurteile?
SÖ: Es gibt Tendenzen, die einer Kultur inne wohnen, sich aber auch verändern können, denke ich. Melancholie findet in bestimmten Kulturen eben mehr Raum und das hat einen Einfluss auf die Menschen, die in dieser Kultur aufwachsen. Aber, wenn wir die Melancholie als Beispiel nehmen: man findet sie ja auf die ein oder andere Weise überall, es scheint eine menschliche Konstante zu sein. So gesehen verbinden alle Konstanten alle Völker, aber wir nehmen sie als trennend wahr, weil die Ausprägung dieser Eigenschaften unterschiedlich ist.
BK: Mir ist Gül beim Lesen richtig ans Herz gewachsen, und auch dir scheint sie nah zu sein, immerhin ist das schon dein dritter Roman über diese herzliche Frau und ihre Familie. Wie geht es nun weiter? Kannst du dich so leicht von Gül verabschieden?
SÖ: Als ich den Roman geschrieben habe, dachte ich: Endlich werde ich nach 12 Jahren diese Figur entlassen können. Als er dann fertig war, war ich doch sehr wehmütig, dass ich sie nun nicht mehr begleiten werde. Ich versuche dankbar zu sein und nach vorne zu schauen.
BK: Auf deiner Website kündigst du jetzt schon Romane für 2019 und 2021 an und hast auch die Titel schon parat. Wie geht das? Sind die schon fertig?
SÖ: Ich habe viele Ideen, aber zu wenig Zeit, um alles umzusetzen. Manche Projekte sind in meinem Kopf ziemlich bunt, lebendig und detailliert. An dem Roman, von dem ich annehme, dass er 2019 erscheint, sitze ich zurzeit. Die Idee zu Bassschamanen beschäftigt mich schon seit einigen Jahren, aber es ist ein großes Projekt und ich schaue immer, ob ich nicht mal zwei Jahre Zeit am Stück finde, um daran zu arbeiten und verschiebe es immer wieder. Dann gibt es noch einige kleinere Projekte, die ich auch aufschiebe und die manchmal während des Aufschiebens einfach größer werden. Und irgendwo, irgendwie während ich das alles mit mir herumtrage, entscheidet sich dann, was ich als nächstes in Angriff nehme und was vermutlich als übernächstes.
BK: Bei uns im Bücherstadt Kurier ist es üblich, ein Interview mit zwei besonderen Fragen abzuschließen, die ich auch dir jetzt gerne stellen möchte. Erstens: Wenn du selbst ein Buch wärst, welches wäre es dann?
Das, was Melanie gesucht hat:
I wish I could find a good book to live in
Wish I could find a good book
Well if I could find a real good book
I’d never have to come out and look at
What they done to my song
Oder anders herum: Ich wäre lieber ein Song.
BK: Und welche Frage wolltest du schon immer mal in einem Interview gestellt bekommen und was wäre deine Antwort darauf?
SÖ: Wie kommst du dazu, so ein Hörbuch wie Capsaicin zu machen? Ich arbeite gerne mit Rhythmus, Klang und Stimme. Und ich hatte den Eindruck, für diese bisher unveröffentlichten Texte ist ein Hörbuch die angemessene Form, um in die Welt zu gehen.
BK: Vielen Dank für das Interview!
Dieses Interview erscheint im Rahmen einer Blogtour. So geht’s weiter:
17.08. Katharina schreibt auf 54books über die Bedeutung von Geld in dem Roman
18.08. Eva-Maria hat sich auf Schreibtrieb das Sehnsuchtsmotiv vorgenommen
19.08. Kat widmet sich der Erzählform auf ihrem Teesalon
20.08. Zum Abschluss gibt es auf Literaturschock ein weiteres Interview
Buchverlosung!
Gewinne ein Exemplar des Romans „Wo noch Licht brennt“! Schreib uns einfach bis zum 21.08.17 (15:00 Uhr) eine E-Mail an info@buecherstadtkurier.com und beantworte folgende Frage: „Über welches Land oder welche Kultur wolltest du schon immer mal einen Roman lesen?” Der Gewinner / die Gewinnerin wird hier in den Kommentaren bekannt gegeben und per E-Mail informiert. Wir wünschen viel Glück!
Weitere Informationen zur Blogtour gibt es hier.
Mehr über das Projekt Capsaicin erfahrt ihr hier.
Wo noch Licht brennt. Selim Özdogan. Haymon. 2017.
Foto: Tim Bruening
Liebe Bücherstädter,
das Los hat entschieden: Lennart K. erhält ein Exemplar des Buches „Wo noch Licht brennt“. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!
Die BK-Redaktion