Ein Kind auf der Suche nach seinem Vater, ein Road-Trip durch Kanada und die USA, faszinierende Begegnungen und Zerstörung: Das ist Ashley Littles „Niagara Motel“. Worteweberin Annika hat die Protagonisten auf ihrer Reise ins Erwachsenwerden begleitet.
Der elfjährige Tucker zieht mit seiner Mutter Gina von Motel zu Motel, von Kleinstadt zu Kleinstadt. Denn Gina ist Stripperin, immer auf der Suche nach neuen Kunden. Außerdem hat sie Narkolepsie, eine Krankheit, die dazu führt, dass sie in den ungünstigsten Situationen einfach einschläft. Für Tucker bedeutet das viel Verantwortung.
„Jeder hat mal einen Tag frei, mein Junge.“ „Ich nicht.“ „Hast du denn einen Job?“ „Ja, den härtesten Job von allen.“ „Und welcher ist das?“ „Ich bin ein Kind.“ (S. 62)
Als Gina auf der Straße plötzlich einschläft und mit starken Verletzungen im Krankenhaus landet, muss Tucker sich ohne sie zurechtfinden. Er kommt übergangsweise in ein Heim, wo er von den meisten Jugendlichen gehänselt wird. Mit Meredith, die jeden Nachmittag an der gleichen Ecke auf Freier wartet und noch dazu schwanger ist, freundet er sich hingegen an. Die beiden hecken einen Plan aus: weg aus Niagara Falls, rein ins Abenteuer. Genauer: Tuckers Dad suchen, nur für den Fall, dass Gina irgendwann nicht mehr für ihn da sein kann. Von seinem Dad weiß er allerdings so gut wie gar nichts, außer dass er braune Haare hat und in einer Bar in Boston arbeitet. Für Tucker sind das eindeutige Indizien, dass es sich um den Seriencharakter Sam Malone handeln muss. In Boston angekommen stellt sich hingegen heraus, dass es so einfach dann doch nicht ist. Für Tucker und Meredith geht die Fahrt also weiter. Unterwegs treffen sie auf die unterschiedlichsten Menschen, finden Freunde und wachsen über sich hinaus.
Littles Roman besticht mit witzigen Dialogen und Tucker als altklugem, kindlich-naivem Erzähler. Sein unverstellter Blick auf die Welt sorgt für Komik, ist gleichzeitig aber auch enttarnend. Im Roman spiegelt sich das Lebensgefühl der 1990er Jahre, als Nirvana und Gameboys gerade in Mode kamen. Die Road Novel erzählt vom Erwachsenwerden, von Freundschaft und von den Spielarten des Lebens. An einigen Stellen ist das unerwartet hart und grausam, an anderen einfach nur schön. „Niagara Motel“ macht Spaß, kann aber auch überraschen – eine unterhaltsame Reise durch die USA und die Zeit.
Niagara Motel. Ashley Little. Übersetzung: Katharina Naumann. Rowohlt Polaris. 2017.
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