In Antoine Laurains neuem Roman „Die Melodie meines Lebens“ geht es um Musik, Vergangenheit und neue Chancen. Aber auch um einen gesellschaftlichen Blick auf unsere Gegenwart, findet Worteweberin Annika.
Vor dreißig Jahren waren die Hologrammes eine ambitionierte New-Wave-Band. Inzwischen sind aus den Mitgliedern Ärzte, Künstler, Präsidentschaftskandidaten, Antiquitätenhändler, Gutsbesitzer und Rechtspopulisten geworden. Beim Mittfünfziger Alain trudelt dann jedoch ein Brief mit einer Anfrage eines Plattenlabels ein – leider viele Jahre zu spät.
Für Alain wird nun die Frage danach, was gewesen wäre, wenn, brennend und krempelt sein Leben um. Die Vergangenheit wird für ihn wieder lebendig, all die Hoffnungen der Jugend, die er in seinem jetzigen Leben als Arzt in einer unglücklichen Ehe nicht wiederfindet, ebenso übrigens wie die Kassette mit den Aufnahmen von damals. Er versucht, Kontakt zu den alten Bandmitgliedern herzustellen, um ein weiteres Exemplar aufzutreiben. So lernen die Leser ganz unterschiedliche Charaktere mit ihren persönlichen Geschichten kennen.
Ein buntes Figurenkabinett
Im Fokus steht schnell nicht mehr Alain, obwohl seine Figur einen Rahmen um die Handlung bildet. Vor allem aber begleiten wir das Schicksal von Jean-Bernard Mazart, genannt JBM. Während einer Talkshow wird der erfolgreiche Geschäftsmann in die Rolle des neuen Präsidentschaftskandidaten hineingeredet und obwohl er sich anfangs sträubt, scheint er schnell alle anderen Kandidaten zu überflügeln. Unterstützt wird er dabei von seiner liebenswerten Assistentin Aurore, aber auch von der schlagkräftigen Domitile und ihrem Team aus Medienprofis, die mit Fotos und Berichten JBMs Image aufbessern wollen.
Fast von Kapitel zu Kapitel wechselt die Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird. Teilweise sind Kapitel eingeschoben, in denen Randfiguren im inneren Monolog ihre Sicht auf die Geschehnisse preisgeben. So wissen die Leser bald mehr als die einzelnen Figuren, aber lange auch nicht alles, denn natürlich hat sich Laurain die ein oder andere unerwartete Wendung aufgehoben. So kommt es doch noch zu (augenzwinkernden) Happy Ends, wo ich schon nicht mehr damit gerechnet hätte.
Politik und Medien
Gleichzeitig sind die Happy Ends aber auch nicht das, was diesen Roman ausmacht. Zwar verspricht der hellblaue Umschlag mit der roten Kassette und dem Band in Herzform romantische Unterhaltungsliteratur, wie man sie inzwischen wohl von Laurain erwartet, doch „Die Melodie meines Lebens“ ist weniger ein Roman fürs Herz, als vielmehr eine unterhaltsame Gesellschaftsstudie.
Mit JBM und Sébastien Vaugan wird die gegenwärtige politische Lage Frankreichs zwischen Rechtspopulismus und der Hoffnung auf einen jungen, unkonventionellen Politiker wie Macron angedeutet. Frédéric Lejeunes zum Islam konvertierter Sohn ist verschwunden, vielleicht nach Syrien. Der Künstler Lepelle kann mit seiner Installation „Bubble“ erst Aufmerksamkeit erzeugen, als alles aus dem Ruder läuft. Wohl auch ein Blick auf die Macht und das Sensationsinteresse der Medien, die ja schließlich auch die Verantwortung für das Interesse an JBM tragen, kontrolliert von Domitile.
Und ebenfalls die moderne Technik ist es, die Kopfschütteln auslöst, wenn Lejeune per Handy Bilder von einem Furunkel am Gesäß zur ärztlichen Begutachtung an Alain verschickt. In was für einer Zeit leben wir eigentlich, kann man sich da fragen, und fast schon verstehen, dass der inzwischen zum Antiquitätenhändler gewordene Texter der Band, Pierre, an der Gegenwart zerbricht und in seinem Schaufenster „Der Tod des Marat“ nachspielt.
Trotzdem kommt der Roman natürlich nicht ganz ohne eine Liebesgeschichte aus, die eine der Figuren für die Vergangenheit entschädigen wird. So wird der Roman zu einer gelungenen Mischung: eine unterhaltsame Fassade, hinter der aber mehr steckt. „Die Melodie meines Lebens“ ist intelligent, unterhaltsam und würde sicherlich auch Lesern gefallen, die mehr als nur Romantik suchen, wenn sie sich von der Gestaltung des Einbands nicht abschrecken lassen.
Die Melodie meines Lebens. Antoine Laurain. Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Atlantik. 2017.
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