Patrick Modianos „Gräser der Nacht“ ist wie ein Spaziergang an kalten, regnerischen Tagen: Während man den Weg entlangläuft und den Erinnerungen nachhängt, nimmt man den Regen nicht wahr – bis einen die Realität wieder einholt.
Die Empfindungen scheinen noch genauso frisch wie damals, als Protagonist Jean die junge Dannie kennenlernte. Nun betrachtet er ihre Begegnung mit zeitlichem Abstand aus einem anderen Blickwinkel und bemerkt die Anzeichen, die er einst übersehen hatte. Zum wiederholten Male fragt er sich, weshalb sie so plötzlich verschwunden war und was es mit den Mordfällen auf sich hatte.
Reine Fiktion ist dieser Roman nicht: Hier findet sich die Affäre Ben Barka wieder. Am 29. Oktober 1965 wurde der Exilpolitiker entführt und ermordet. Bis heute wurde der Fall nicht gänzlich aufgeklärt.
„Gräser der Nacht“ ist ein sehr ruhiger Roman, der beherrscht wird von einer klaren, leichten Sprache. Ein Roman, der keinen richtigen Spannungsbogen aufzuweisen hat und doch auf seine Art zu fesseln vermag. Es ist wie die Sehnsucht nach dem stillen Meer, das einem leise Geschichten erzählt und einen in Sicherheit wiegt, auch wenn man weiß, dass nichts und niemand sicher ist – und im Hintergrund erklingt das Piano Frédéric Chopins.
„Ich benutzte nur Empfindungen, die ich gehabt habe, und Stimmungen, in denen ich gelebt habe“, verrät Modiano in einem Interview. Dass er das literarisch umzusetzen vermag, ist zweifellos. Und dennoch verblasst die Geschichte um den Protagonisten in einem Nebel aus Leichtigkeit – was bleibt sind stimmungsvolle Stadtbilder und bitterzarte Erinnerungen.
Gräser der Nacht, Patrick Modiano, Elisabeth Edl (Übersetzerin), Hanser, 2014
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