In Zusammenarbeit mit dem NDR, dem SWR sowie dem in Berlin befindlichen Futurium hat der Suhrkamp Verlag mit „2029 – Geschichten von Morgen“ eine Sammlung von elf Erzählungen unterschiedlicher Autor*innen herausgebracht, in der diese ihre Visionen einer Zukunft in Deutschland präsentieren. Geschichtenerzähler Adrian ist von der Thematik sehr angetan.
Nach zwei Vorworten der Herausgeber dieser Geschichtensammlung steigt das Buch „2029 – Geschichten von Morgen“ mit der Erzählung „Ich bin dein Mensch“ von Emma Braslavsky ein. Diese ist stark an die schwedische Fernsehserie „Real Humans“ aus dem Jahr 2012 angelehnt und beschreibt die geheime Beziehung zwischen einer Paartherapeutin, die große Stücke auf die Liebe zwischen Menschen setzt, und einem Androiden.
Die zweite Geschichte, „Hoffnung ruft Angst“ von Dietmar Dath, eröffnet einen Hackerangriff und einen Mord aus verschiedenen Blickwinkeln. Da diese Erzählung mit mehreren nicht nachvollziehbaren Zeitsprüngen konfus geschrieben ist, ist es schwer wiederzugeben, was hier genau passiert.
Die nachfolgenden Geschichten beschreiben weitere, unterschiedliche Szenarien. In „Requiem“ geht eine Ermittlerin der Frage nach, ob ein Tod die Folge des technischen Versagens eines Narkoseroboters war oder ein von einem Menschen herbeigeführtes, absichtliches Tötungsdelikt. „Flackern“ erzählt von dem Kontakt mit Aliens, in „Neu-Berlin“ regieren die Krankenkassen und „Das Haus“ gewährt einen Einblick, wie das Haus der Zukunft aussehen kann.
Schwankende Spannung
Die Erzählungen unterscheiden sich nicht nur in der Länge – sie variiert von elf Seiten bis über hundert – sondern ebenso in der Spannung, der Erzählweise und dem Realismus. Dies ist natürlich den verschiedenen Autor*innen geschuldet, die alle ihre eigene Art haben, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Dies ist ein zweischneidiges Schwert.
Während etwa die Geschichte „Requiem“ von Karl Wolfgang Flender mit spannenden Wendungen sowie einem Ende, das genug Interpretationsspielraum bietet, inszeniert ist, tröpfeln andere nur vor sich hin. Beispielsweise gibt die Geschichte „SNOOZE (Version 2.7)“ von Leif Randt, in der dargestellt wird, wie Träume als Video aufgezeichnet werden, zwar eine spannende Grundprämisse vor, lässt jedoch jegliche Höhepunkte vermissen.
Realismus?
Ebenso zweischneidig ist der gewählte Buchtitel und hier vor allem die Zahl – „2029“. Durch diese Jahreszahl sind stets Zweifel ebenso wie Überraschung beim Lesen der unterschiedlichen Geschichten vorhanden. Wie realistisch ist dieses Szenario für das Jahr 2029?
Bei einigen Geschichten, wie etwa „Requiem“ oder „Das Haus“, ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass dies in neun Jahren möglich sein wird. Dass dann die Krankenkassen oder ein Orwell-ähnlicher Staat in Totalüberwachung bestimmen werden, ob wir in hochmodernen, entkriminalisierten Großstädten leben dürfen oder in barbarischen Zuständen außerhalb davon, fällt eher unter unrealistische Dystopie. Nicht, dass die letzten beiden Szenarien unmöglich wären, doch es ist schwer vorstellbar, dass so etwas in einer Dekade, ohne große Gegenwehr, durchgesetzt wird. Von der Entführung von Menschen durch Aliens mal ganz abgesehen.
Irgendetwas fehlt
Obwohl die einzelnen Geschichten aus „2029 – Geschichten von Morgen“ einen Einblick in mögliche Zukunftsvisionen geben, schafft es keine davon, ein fassbares Gefühl für die Welt, in der sie spielt, aufzubauen. Die Geschichten beschreiben eher Einzelschicksale von Personen, als das große Ganze zu betrachten. Wenn die Figuren dazu noch unzureichend charakterisiert sind, sodass oftmals Tiefe fehlt, ist es umso schwerer, sich in ihre Lage hineinzuversetzen beziehungsweise ihr Handeln nachzuvollziehen.
Eben jener Punkt, dass das World-Building ziemlich außen vor bleibt, zehrt an der Langzeitmotivation beim Lesen, sodass bald Langeweile aufkommt und die Geschichten immer weniger fesseln. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet und es kommt das Gefühl auf, nicht abgeholt zu werden.
Zukunft oder Fantasie?
Die Geschichten, die das Buch „2029 – Geschichten von Morgen“ bietet, sind zwar abwechslungsreich, eröffnen jedoch jeweils immer nur einen sehr kleinen Bildausschnitt darauf, wie Teilaspekte der Zukunft aussehen könnten. Das Gesamtbild bleibt hinter vielen Fragezeichen verborgen. Das Niveau eines Philip K. Dick („Bladerunner“) oder eines George Orwell („1984“) – auch wenn einige Autor*innen sich von letzteren inspiriert haben lassen – wird nicht erreicht.
2029 – Geschichten von Morgen. Herausgegeben von: Stefan Brandt, Christian Granderath, Manfred Hattendorf. Mit Geschichten von: Karl Wolfgang Flender, Dirk Kurbjuweit, Emma Braslavsky u.a. Suhrkamp Verlag. 2019.
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