Eine Maschine organisiert das Leben der Menschen und wird als Gott angebetet. E. M. Forsters dystopischer Entwurf einer maschinengesteuerten Zukunft aus dem Jahr 1909 klingt heute leider längst zu normal, findet Worteweberin Annika. Sie hat dem Hörspiel „Die Maschine steht still“ gelauscht.
Ein neues Zeitalter der Gereiztheit, Isolation und Apathie hat begonnen, in dem es einen Knopf für alles gibt: für Literatur, Bäder, Isolation, Kommunikation, ja sogar für den Moment, wenn einem ein Wort nicht einfällt. Die Menschen leben in unterirdischen Waben, vermeiden jeden persönlichen Kontakt und „das Grauen des direkten Erlebens“. Eine regelmäßige narkoleptische Pause löscht alle unnützen Gedanken der Menschen aus – ein Reset, dem sich Kunó schließlich entzieht. Er ist von der Erdoberfläche fasziniert, trainiert sich Muskeln an, um der Wabe entkommen zu können, bittet seine Mutter Vasháti gar um ein Treffen. „Wir haben einen Teil von uns eingebüßt“, erzählt er ihr.
Wie Engel befreit, vom Makel der Persönlichkeit
Doch Vasháti schämt sich für ihren aufmüpfigen Sohn, mit dem sie ja eigentlich auch gar nichts mehr verbindet. Familie spielt in dieser Welt keine Rolle, Mutterpflichten enden mit der Geburt. Ganz kann Vasháti Kunós Worte aber nicht vergessen. Während sich in den Waben die Ausfallerscheinungen häufen und der mechanische Glaube offiziell eingeführt wird, geht ihr Kunós Warnung nicht aus dem Kopf: „Nicht mehr lange, und die Maschine steht still.“
„Aber wer braucht schon das Original, wenn er ein doppelt so scharfes Abbild haben kann. Abbilder sind die wahren Bilder der Wirklichkeit.“
So weit weg von uns ist sie nicht, diese Welt. Im Gegenteil, im Jahr 2019 sind wir abhängig von mannigfaltigen Maschinen, können viele unserer Probleme per Knopfdruck lösen und legen mehr Wert auf Abbilder – schöne Fotos auf Instagram zum Beispiel – als auf Erlebnisse. Dieser aktuelle Hintergrund macht E. M. Forsters Geschichte besonders beklemmend. Fast hat man das Gefühl, als hätte er es geahnt. Die Technikversessenheit, an die Forster beim Schreiben wohl dachte, liegt jedoch fern von den Fragen nach Künstlicher Intelligenz oder ständiger Erreichbarkeit, die uns heute beschäftigen.
Push ebx 16
Im Booklet des Hörspiels findet sich ein erhellender Text von NDR-Redakteur Michael Becker, der Forsters Kurzgeschichte in den Kontext der heutigen und der damaligen Zeit einbettet. Außerdem erklärt er die Unterschiede zwischen der Hörspielfassung und der ursprünglichen Erzählung, zum Beispiel das veränderte Ende oder die Maschinensprache, die Kubin die Figuren immer wieder einwerfen lässt. In einem Glossar werden alle Begriffe erklärt, zum Beispiel steht Jump FFT 8 für „mein Gott!“ und Push ebx 16 ist ein Ausdruck der Begeisterung.
Das Hörspiel entstand unter der Regie von Felix Kubin, der auch die Bearbeitung und Komposition beisteuerte. Dass elektronisch-akustische Experimente sein Spezialgebiet sind, stellt er bei dieser Produktion eindrucksvoll unter Beweis. Er verwebt rhythmische Elektro-Pop-Songs, futuristische Reklame, Choräle, Sprechchöre, Maschinengeklapper und Codeschnipsel zu einem Hörspiel mit Sogwirkung. Da kann man nur sagen: Jump FFT 8, ist das gut!
Die Maschine steht still. E.M. Forster. Regie, Bearbeitung und Komposition: Felix Kubin. SprecherInnen: Achim Buch, Susanne Sachsse, Rafael Stachowiak u.a. Produktion: NDRkultur. DAV. 2019.
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