In einer Zeit, in der Vampire zu glitzern begonnen haben und sich „vegetarisch“ – heißt: von Tierblut – ernähren, tritt man Vampirromanen in allen Genres skeptisch entgegen. Furio Jesis neu aus dem Italienischen übersetzter Roman beseitigt die alte Furcht und zeigt eine andere Art von Vampiren. Wortklauberin Erika konnte in „Die letzte Nacht“ hineinlesen und sich davon überzeugen.
Was wäre, wenn …?
„Was wäre, wenn …?“ scheint der italienische Intellektuelle, Wissenschaftler und Schriftsteller Furio Jesi 1962 sein Gedankenexperiment begonnen zu haben, welches er bis 1970 vollendet und unter dem Titel „Die letzte Nacht“ ad acta legt.
Vampire sind ein uraltes Geschlecht, so alt wie die Welt und noch vor dem Menschen Wesen, die auf dem Erdenrund wandeln. Graf Dracula residiert als ältester und angesehenster Vampirfürst in der Andachtsburg. Er zehrt von der Erde, er ist beinahe die Erde, wenn er schläft. Kurz vor Weihnachten erscheint eines Nachts ein Zeichen. Es kündigt nicht die Wiederkehr Christi an, sondern vielmehr den nahenden Untergang des Menschengeschlechts. Für die Vampire stellt es ein willkommenes Zeichen dar: Und tatsächlich bestätigt die Nachfrage im Paradies, dass es ihnen nun vorbestimmt ist, die Welt zurückzuerobern.
Ein uraltes Geschlecht
Vampire waren in der Romanwelt Jesis einmal die Herrscher der Erde. Als schiere Gottheiten wurden ihnen Menschenopfer dargebracht und Blut von Menschenopfern benetzte die Altäre. Sie sind ein mythisches Volk und stehen auf Du und Du mit den Engeln des Herrn. Furio Jesis Bild der Vampire ist anders als jenes, wie man es in der „Twilight“-Reihe von Stephanie Meyer findet oder im „Interview mit einem Vampir“ von Anne Rice. Die Vampire sind nicht blutrünstig, aber sie sind auch keine Pseudo-Vegetarier. Es sind schlichtweg alte Wesen, die dazu verurteilt wurden, vertrocknetes Blut zu trinken wie Aasfresser – da erscheint es gar natürlich, dass sie an die alte Glorie anknüpfen wollen.
Vampire von Innen und Außen
Der Roman besteht aus einer Montage an Szenen, welche einerseits die Reaktion der Menschen beschreibt, welche auf einen Vampir treffen – es muss nicht gesagt werden, dass diese nicht sehr positiv ausfällt, abgesehen von einer Ausnahme – sowie andererseits die Indifferenz der Vampire gegenüber den Menschen. Für sie sind die Menschen Blutkonserven, die nicht sterben dürfen, sondern vielmehr in Kellern zusammengetrieben werden. Das Bild der vampirischen Welteroberung ist düster. Doch zugleich scheinen kleine Helden darin hervor. Der Puppenspieler Faraqat zum Beispiel, der sich darum bemüht, mit seinen Puppen den Herrn davon zu überzeugen, den Menschen doch beizustehen.
Engel, Vampire, der Herr und der Tod
Interessant ist an Furio Jesis Roman vor allem der Umgang mit verschiedenen Figuren aus der Christlichen und folkloristischen Glaubenswelt. Hier steht „der Herr“ – von dem niemals explizit als Gott gesprochen wird – neben dem Tod, der sein Soll bei den Vampiren einfordert. Erzengel Gabriel und Michael diskutieren mit den Vampiren. Inmitten dessen stehen die Menschen, die einen wirren Kriegszustand verursachen und im Grunde genommen vor diesen uralten Mächten so kraftlos dastehen wie die Marionetten in Faraqats Werkstatt.
Autor um des Schreibens Willen
Laut dem gelungenen Nachwort von Barbara Kleiner schrieb der Italiener, der sich wohl als modernes Multitalent bezeichnen lassen kann, vor allem zum Spaß neben der Forschung. Eigentlich hätte die Erzählung nicht veröffentlicht werden sollen – allerdings ließ sich seine Witwe dazu überreden, den Roman herauszugeben. Das Nachwort, das die Übersetzerin Barbara Keliner verfasst hat, gibt zusätzlich zum Roman einen Einblick in diesen vielseitigen Autor, der sich stark mit Mythen auseinandersetzte. Kleiner bemüht sich redlich, gerade diese Vielseitigkeit Jesis hervorzuheben, was ihr deutlich gelingt. „Die letzte Nacht“ bildet gemeinsam mit Paul Leppins „Severins Gang in die Finsternis“ den Auftakt der von Thomas Ballhausen herausgegebenen Reihe „Bibliothek der Nacht“ und beweist, wie vielschichtig Phantastische Literatur eigentlich sein kann. Auf weitere Bände kann man gespannt sein, zumal sich derart große nationale und thematische Vielfalt darin verbirgt.
Die letzte Nacht. Furio Jesi. Edition Atelier. 2015.
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